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Ungarns Außenminister Péter Szijjártó ist der Ansicht, dass die EU-Außengrenzen immer noch nicht richtig geschützt werden.

© Peter Kohalmi/AFP

Nach dem TV-Duell zwischen Merkel und Schulz: Ungarns Außenminister spricht von "Scheinheiligkeit"

Nach dem TV-Duell zwischen Kanzlerin Merkel und SPD-Spitzenkandidat Schulz sehen sich die Türkei und Ungarn am Pranger. Die Außenminister der beiden Länder weisen die Vorwürfe zurück.

Bei einer Konferenz im slowenischen Bled wollte der Moderator Nik Gowing vom türkischen Außenminister Mevlüt Çavusoglu und seinem ungarischen Amtskollegen Péter Szijjártó wissen, was sie denn vom TV-Duell vom Sonntagabend in Deutschland hielten. Während der TV-Debatte hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) angemerkt, dass sie sich über ein mögliches Ende der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei mit den übrigen Staats- und Regierungschefs in der EU absprechen wolle. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hatte gesagt, die Verhandlungen müssten beendet werden. Er kritisierte auch Merkels Fehler auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise. Damit habe sie es Regierungschefs wie dem ungarischen Premierminister Viktor Orbán ermöglicht, „sich aus der Verantwortung zu stehlen und uns Deutsche im Stich zu lassen.“

Der türkische Außenminister Çavusoglu spricht von Populismus

Der türkische Außenminister Çavusoglu reagierte in Bled prompt: „Ich frage mich, ob es in dieser Debatte um die Wahlen in Deutschland ging oder eher um die Türkei und Ungarn.“ Ein solches Verhalten sei typisch für einige Länder, in denen radikale Parteien Aufwind haben und die etablierten Parteien deren populistische Rhetorik übernehmen. Daher habe sich das TV-Duell nicht um interne Probleme in Deutschland gedreht, sondern um die Türkei und Ungarn.

Mit Blick auf die EU-Perspektive seines Landes sagte Çavusoglu, die Türkei wolle weiterhin Mitglied werden und sei bereit, weitere Verhandlungen zu starten. Auf die Nachfrage des Moderators, ob die Verhaftungswellen nach dem Putschversuch am 15. Juli 2016 die Aussichten der Türkei verschlechtert hätten, wetterte Çavusoglu, die EU unterschätze die Gefahr für die türkische Demokratie durch solche Umstürzler. Es sei das Recht seines Landes, sicherzustellen, dass keine weiteren Umsturzversuche gestartet werden.

Er selber habe im Außenministerium 25 Prozent der Diplomaten entlassen müssen, weil sie „loyal zu dieser Terrororganisation sind“. Damit meinte Çavusoglu die Gülen-Bewegung. „Ich hatte keine andere Wahl. Bin ich glücklich damit? Nein, auf keinen Fall. Aber sie sind Mitglieder einer Terrororganisation. Wie kann ich mit diesen Menschen zusammenarbeiten?”, erklärte der Außenminister.

Ungarns Chefdiplomat Szijjártó versteht nicht, warum Flüchtlinge immer noch ein Thema sind

Sein ungarischer Amtskollege Szijjártó gab sich nach dem TV-Duell zwischen Merkel und Schulz etwas bedeckter. Szijjártó erklärte, es sei eine „Ehre“, dass Ungarn in der Debatte eine so prominente Rolle gespielt habe. Er wünschte den deutschen Wählern „alles Gute“ für die Wahl. Allerdings habe er sich niemals vorstellen können, dass das Thema Migration auch zwei Jahre nach dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise noch immer die Hauptherausforderung für die EU sein könnte, fuhr Szijjártó fort. Die Situation habe „desaströse Konsequenzen“ für die Sicherheit des gesamten Kontinents.

„In den letzten zweieinhalb Jahren wurde mein Land, oder zumindest die Regierung, immer wieder als Nazis, als faschistisch, als diktatorisch hingestellt. Uns wurde vorgeworfen, wir würden die Menschenrechte nicht achten,” sagte Ungarns Außenminister. Dennoch sei die ungarische Seite immer konsequent in ihrer Forderung gewesen, die EU-Außengrenzen müssten effektiver geschützt werden.

Da dies nicht geschehen sei, sei die Sicherheitslage in Europa nun schlechter als jemals zuvor; die Terrorgefahr sei niemals größer gewesen, erklärte der ungarische Minister. Er freue sich aber, dass europäische Spitzenpolitiker nun endlich anfingen, zwischen Wirtschaftsmigranten und Asylsuchenden zu unterscheiden. Dennoch kritisierte er: „Die europäischen Außengrenzen werden noch immer nicht geschützt. Wir haben uns noch immer nicht darauf geeinigt, wer von außerhalb in die EU hineinkommen darf. Und wir leiden weiterhin unter Scheinheiligkeit und Political Correctness.“

Beim Thema Türkei stand er Çavusoglu zur Seite und warf der EU „Doppelstandards” vor. In der EU gebe es „einige, die lieber Menschenrechte für die Aufrührer und Umstürzler ansprechen, statt die demokratisch gewählte Regierung der Türkei zu unterstützen.“

Übersetzung: Tim Steins

Erschienen bei EurActiv.

Der Tagesspiegel und das europapolitische Onlinemagazin EurActiv kooperieren miteinander.

Georgi Gotev

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