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Streit um Armenier: US-Votum kommt türkischer Regierung nicht ungelegen

Ein US-Kongressausschuss hat das türkische Massaker an den Armeniern als "Völkermord" eingestuft. Welche Folgen hat das?

Mit Wut und scharfen Protesten hat die Türkei auf die Forderung nach Anerkennung des Völkermords an den Armeniern durch einen Ausschuss des US-Kongresses reagiert. Der türkische Botschafter in Washington, Namik Tan, wurde zu Konsultationen nach Ankara zurückbeordert, Regierungspolitiker sprachen von einem schweren Schlag für die bilateralen Beziehungen, Nationalisten kündigten antiamerikanische Demonstrationen an.

Das knappe Votum von 23 zu 22 Stimmen im Auswärtigen Ausschuss des Repräsentantenhauses traf die Türkei allerdings nicht unvorbereitet. Wenige Minuten nach Bekanntgabe des Ergebnisses ließ Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan erklären, sein Land sei für ein Verbrechen in Haftung genommen worden, das es nicht begangen habe. Botschafter Tan erhielt den Befehl, sich noch am Freitag ins Flugzeug zu setzen. Präsident Abdullah Gül warnte, die Türkei sei für „negative Konsequenzen“ für die Beziehungen zu Washington nicht verantwortlich.

Auf kein anderes Thema reagiert die Türkei so allergisch wie auf die Frage, ob der Tod mehrerer hunderttausend Armenier in Anatolien im Ersten Weltkrieg Völkermord war oder nicht. Ankara wehrt sich gegen diese Bezeichnung und sagt, die Armenier seien bei einer Umsiedlungsaktion unter schwierigen Kriegsbedingungen ums Leben gekommen. In den vergangenen Jahren hatten mehrere westliche Parlamente den Völkermord anerkannt, was stets Spannungen zur Folge hatte.

Auch jetzt sind türkische Politiker außer sich. Von einer „Beleidigung für die türkische Republik“ sprach die rechtsgerichtete Oppositionspartei MHP. Parlamentspräsident Mehmet Ali Sahin warf den US-Abgeordneten vor, sie hätten einen „inakzeptablen Fehler“ begangen und sich aufgeschwungen, festlegen zu wollen, was geschichtliche Wahrheit sei.

Die USA sind aus türkischer Sicht besonders wichtig. Sollte Washington den Völkermord offiziell anerkennen, würde dies einen internationalen Konsens einleiten, befürchten die Türken. Ankara würde sich über kurz oder lang armenischen Reparations- oder Gebietsforderungen gegenübersehen. So erklärt sich die scharfe Reaktion nach einer bloßen Ausschussentscheidung – die Abberufung eines Botschafters gehört in der Diplomatie zu den heftigeren Formen des Protests, zwischen engen Partnern wie der Türkei und den USA ist sie unerhört.

So ganz will es sich die Türkei mit den Amerikanern dennoch nicht verderben, zumindest so lange, wie das Votum nicht vom Plenum des Repräsentantenhauses übernommen wird. Außenminister Ahmet Davutoglu sagte am Freitag, ein Abzug der türkischen Truppen aus Afghanistan stehe nicht auf der Tagesordnung. Dasselbe gelte für eventuelle Einschränkungen der Nutzung der südtürkischen Luftwaffenbasis Incirlik durch die USA. Incirlik ist eine wichtige Drehscheibe der US-Militärs für die Versorgung der Truppen im Irak und in Afghanistan.

Ohnehin kam das US-Votum für die türkische Regierung nicht ganz ungelegen. Seit Monaten zögert Ankara mit der Ratifizierung von Protokollen zur Einrichtung diplomatischer Beziehungen mit Armenien und zur Öffnung der gemeinsamen Grenze. Innenpolitischer Druck von Nationalisten und Warnungen des türkischen Verbündeten Aserbaidschan hatten Erdogan nach der Unterzeichnung der Protokolle im vergangenen Jahr bewogen, diese vorerst nicht ins Parlament einzubringen. Nun wird dies wohl erst recht nicht geschehen. Die Washingtoner Resolution habe der Türkei „eine Trumpfkarte in die Hand gegeben“, sagt der Istanbuler Politologe Hasan Köni. Ankara habe nun einen nachvollziehbaren Grund dafür, die Protokolle vorerst nicht ins Parlament zu bringen. In der aufgebrachten Stimmung hätten sie ohnehin kaum Chancen, in Kraft gesetzt zu werden.

Für die USA ist das alles indes keine Kehrtwende, wie die Türkei behauptet. Eine ähnliche Resolution hatte derselbe Ausschuss 2007 verabschiedet. Doch damals hatte die Regierung unter George W. Bush den Kongress vor den Folgen für die Beziehungen zur Türkei gewarnt und erreicht, dass die Resolution nicht im Plenum behandelt wird. Diesen Weg will nun offenbar auch die Regierung von Barack Obama einschlagen. Der Präsident wolle sich „sehr hart“ einsetzen, um zu verhindern, dass das Dokument im Plenum des Kongresses behandelt werde, kündigte Außenministerin Hillary Clinton am Freitag bei einem Besuch in Guatemala-Stadt an. 2007 hatten Obama und Clinton als Senatoren für die Resolution gestimmt. Clinton sagt auch heute, die Resolution dokumentiere nur die historischen Fakten. Sie befürchtet aber, dass es ihre Vermittlung zwischen der Türkei und Armenien behindert, wenn das Kongress-Plenum die Resolution verabschiedet. Es wäre am besten, wenn das Eingeständnis des Genozids zuerst von den beteiligten Völkern komme. Auch Obama vermied bisher das Wort „Völkermord“ und spricht von „den tragischen Ereignissen“.

In den USA leben rund 800 000 Armenier, die drittgrößte Konzentration nach Armenien und Russland. Ihre Organisationen stehen hinter der Resolution. Die Türkei hat vergeblich versucht, die Erklärung zu verhindern. Sie schaltete ganzseitige Anzeigen in Zeitungen und schickte acht türkische Abgeordnete in den Kongress, um ihre US-Kollegen umzustimmen.

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