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Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts.

© dpa/Uli Deck

Verfassungsgericht kippt Strafrechtsverschärfung: Einmal freigesprochen gilt für den Rest des Lebens

Auch freigesprochene Angeklagte sollen in Mordfällen wieder vor Gericht kommen, wenn neue Beweise auftauchen – das sah eine Reform der Strafprozessordnung vor. Warum Karlsruhe da nicht mitmacht.

Der Mord an Frederike von Möhlmann bleibt weiter ungesühnt, ihr mutmaßlicher Mörder darf in Freiheit leben. Dies ist das zwiespältige Ergebnis eines Grundsatzurteils des Bundesverfassungsgerichts vom Dienstag zur Rechtskraft von Strafurteilen. Demnach ist es verfassungsrechtlich verboten, einen zuvor rechtskräftig freigesprochenen Angeklagten erneut vor Gericht zu stellen, wenn neue Beweise auftauchen, die auf dessen Schuld hindeuten.

Die damals 17 Jahre alte Schülerin war 1981 vergewaltigt und ermordet aufgefunden worden. Ein Verdächtiger kam in Haft, wurde jedoch nicht verurteilt. Zwar sah das Landgericht seine Schuld damals zunächst als erwiesen an, der Bundesgerichtshof hob das Urteil jedoch auf. In einem weiteren Verfahren sah das Gericht die Beweise als nicht ausreichend an. Umstritten war unter anderem, ob Reifenspuren am Tatort dem Verdächtigen zuzurechnen waren.

Der Vater der Getöteten glaubte weiter an die Schuld des nunmehr rechtskräftig freigesprochenen Mannes und drang auf weitere Untersuchungen. Ein DNA-Abgleich, der in den achtziger Jahren technisch noch nicht möglich war, belegte 2012 Sekretspuren am Slip des Opfers.

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Nach einer Petition des Vaters und hitzigen politischen Diskussionen änderte der Gesetzgeber 2021 die Strafprozessordnung. Die Wiederaufnahme von Strafverfahren zulasten Beschuldigter war zuvor nur unter engsten Voraussetzungen möglich. Nun kam ein neuer Grund hinzu: Neue Beweise – etwa molekulargenetische Untersuchungen wie DNA-Tests – sollten genügen.

Das Recht, nach Abschluss eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens vor einem deutschen Strafgericht wegen derselben Tat nicht erneut strafrechtlich verfolgt zu werden, gilt absolut.

Doris König, Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht hat diese Vorschrift jetzt nach einer Beschwerde des Mannes gegen das Wiederaufnahmeverfahren wegen Verstoßes gegen Artikel 103 des Grundgesetzes für nichtig erklärt. Danach darf „niemand wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden“. Dieses Verbot der Doppelbestrafung enthalte auch ein Verfolgungsverbot, das absolut gelte, heißt es im Urteil. Das Prinzip der Rechtssicherheit habe Vorrang vor dem Prinzip der materiellen Gerechtigkeit.

Zudem stellte das Gericht auch einen Verstoß gegen das so genannte Rückwirkungsverbot fest. Demnach ist es untersagt, Taten als Straftat zu verfolgen, die zum Zeitpunkt ihrer Begehung noch nicht strafbar waren.

Strafrechtler hatten beklagt, dass sich Angeklagte auf den Rechtsstaat nicht mehr verlassen könnten, wenn ein Freispruch später wieder aufgehoben werden könnte.

Die Vizepräsidentin des Gerichts, Doris König, sagte nun bei der Urteilsverkündung: „Das Recht, nach Abschluss eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens vor einem deutschen Strafgericht wegen derselben Tat nicht erneut strafrechtlich verfolgt zu werden, gilt absolut“ – und sogar dann, wenn ein anderes Urteil als der Freispruch das richtige gewesen wäre.

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