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Gil Ofarim neben seinem Verteidiger Alexander Stevens.

© Imago/Star-Media

Update

Verleumdungsvorwürfe gegen Gil Ofarim: Was es noch zu verteidigen gibt

Antisemitismus oder nicht? Der jüdische Sänger Gil Ofarim stritt sich in einem Leipziger Hotel mit einem Mitarbeiter. Der sagt: „Ich habe mich bedroht gefühlt“.

Der Sänger und Schauspieler Gil Ofarim kommt in den großen Saal des Landgerichts Leipzig, wie ihn Millionen vor zwei Jahren kennengelernt haben. In Lederjacke, mit Davidstern an der auffälligen Halskette.

So wie er sich Anfang Oktober vor zwei Jahren in einem massenhaft abgerufenen Instagram-Video präsentierte: knappe zwei Minuten, in denen er dem Mitarbeiter eines Leipziger Hotels einen antisemitischen Übergriff unterstellt.

Der Vorfall hatte schockiert, doch schnell kamen Zweifel an Ofarims Darstellung auf. Nun ist es der Künstler, der sich Vorwürfe anhören muss: Die Leipziger Staatsanwaltschaft klagt ihn wegen Verleumdung an und sieht eine Falschverdächtigung darin, dass er seine belastenden Angaben vor der Polizei wiederholte.

Es steht Aussage gegen Aussage, ein klassischer Fall.

Alexander Stevens, Verteidiger von Gil Ofarim

Zudem habe er eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben, als er Unterlassungsforderungen gegen Medienberichte stellen ließ. Mit Blick auf die entstandenen Kosten sprechen die Ankläger sogar von Betrug.

Gil Ofarim bestreitet alles. Eine Aussage wolle er zurzeit nicht machen, sagt sein Anwalt Alexander Stevens am Dienstag, stattdessen holt dieser selbst zu einer Art Rundumschlag aus. „Fünf große Lügen“ würden die Öffentlichkeit bestimmen. Nun sei es „für die Gesellschaft wichtig, dass die Wahrheit ermittelt“ werde. „Es steht Aussage gegen Aussage, ein klassischer Fall.“

Ofarims Aussage ist seinem Anwalt zufolge diese: Er sei als Gast des MDR für ein Engagement nach Leipzig gekommen und habe in sein schon bezahltes Hotelzimmer einchecken wollen. Weil es dabei Schwierigkeiten gab, habe er sich an der Rezeption beschwert und angekündigt, im Internet eine schlechte Bewertung für das Hotel abzugeben. Aus der Schlange der Wartenden habe jemand gesagt, er solle seinen Stern einpacken. Das habe der Hotelmitarbeiter gehört und darauf reagiert mit: „Pack den Stern weg, dann kannst du einchecken.“

Die Version der Staatsanwaltschaft ist freilich eine andere. Unbestritten sei, dass Ofarim an jenem Tag seine Halskette getragen habe. In der Hotellobby aber habe sie unter einem blauen Hemd gesteckt. Beim Einchecken seien aus technischen Gründen Gäste vorgezogen worden, deren Personendaten schon hinterlegt gewesen seien. Ofarim habe laut von einem „Scheißladen“ gesprochen, woraufhin der Mitarbeiter ihm den Meldezettel weggenommen und eine Entschuldigung gefordert habe.

Dass es Streit gab, dürfte feststehen

Auch für Außenstehende dürfte damit feststehen, es gab Streit zwischen den beiden. Ofarim, offenbar heftig erregt, wollte noch in der Nacht ein Live-Video posten, was aber erst am nächsten Tag gelang. Kaum war der Vorwurf in der Welt, stellte der Rezeptionist Strafanzeige.

Die folgenden Untersuchungen hatten ein Ausmaß, als handele es sich um einen Komplex schwerster Kriminalität. Sachverständige besahen sich Videos aus der Lobby, einzelne Szenen wurden sogar nachgestellt. Dutzende Zeugen erzählten, was sie gehört oder eben nicht gehört hätten. Das Hotel selbst stürmte voran und mandatierte eine Anwaltskanzlei, um den Vorwurf zu prüfen.

Übrig blieben die Anklagepunkte gegen Ofarim. Das Verfahren gegen den Hotelangestellten, unter anderem wegen Volksverhetzung, wurde eingestellt. Jetzt tritt er als Nebenkläger auf. Einem Bericht des MDR zufolge verlangt er zudem eine Entschädigung.

Ist der Streit um die Kette erfunden?

Die fünf großen Lügen, die Anwalt Stevens zu erkennen glaubt, beziehen sich vor allem auf den Umgang der Medien mit dem Verfahren. Schon früh tauchten Details aus dem Bericht der Hotel-Ermittlungen auf, die Zweifel an Ofarims Version schürten. Stevens sagt, das Hotel habe, anders als behauptet, nicht ergebnisoffen ermittelt.

Lügen zwei bis fünf drehen sich um die Bewertung von Zeugenaussagen und Behauptungen zur Beweiskraft von Videos aus den Hotelkameras. Im Ergebnis ist dem Anwalt unplausibel, was – jedenfalls aus seiner Sicht – den allermeisten wohl plausibel erscheinen soll: Dass Ofarim die Auseinandersetzung um die Kette erfunden haben könnte. Er verwies auf einen Zeugen, der den Sänger mit Kette in der Lobby gesehen haben will. Und forderte weiter Ermittlungen gegen den Rezeptionisten, der eine strafbare Nötigung begangen habe, als er dem Sänger eine Abfuhr erteilte und ihn am späten Abend wieder auf Zimmersuche schickte.

Es war mehr eine Ansprache für die Öffentlichkeit, weniger eine für das Gericht, das dem Anwalt vorhielt, den üblichen und laut Strafprozessordnung zulässigen Rahmen für ein Eingangsstatement gesprengt zu haben. Stevens sieht seinen Mandanten in der Rolle des einsamen Opfers und vergleicht das Geschehen mit Prozessen um Mobbing oder sexuelle Übergriffe.

Niemand wisse hier genau, was einer gesagt habe, wie er es gesagt habe. Es handele sich um einen Vorfall, den man nicht exakt belegen könne; zu dem jeder seine eigene Erfahrung, seine eigene Geschichte und Wirklichkeit habe. „Wer kennt sie schon, die Wahrheit?“

Vielleicht der betroffene Hotelmitarbeiter. Seine Aussage stand am Nachmittag auf dem Programm und soll am Mittwoch fortgesetzt werden. Er machte keinen Hehl daraus, sich mit Ofarim nach allen Regeln des Hotelfachs angelegt zu haben. Der Erzürnte, der ihm als Prominenter nicht bekannt gewesen sei, habe sich ihm „wild gestikulierend“ genähert und beklagt, was das hier für ein „Scheißladen“ sei. Ofarim habe ihm gesagt, er werde auf sein Zimmer gehen und wolle der Welt erklären, in welchem „Scheißhotel“ er sich befinde. Daraufhin habe der Mitarbeiter dem Gast die Anmeldung weggenommen. Ofarim habe geäußert: „Das werden Sie bereuen.“ „Ich habe mich bedroht gefühlt“, berichtete der Zeuge.

Da wusste der Mann noch nicht, was ihm eigentlich drohte. Am nächsten Tag, als die Vorwürfe aus allen Kanälen kamen, sei die Lage „wirklich schlimm“ gewesen. „Ich war entsetzt, was da behauptet wurde“. Er habe mit befreundeten Anwälten gesprochen und seine Rechtsschutzversicherung kontaktiert. Als Morddrohungen kursierten, ging er zur Polizei.

Eine glaubhafte Geschichte? Dem Vorsitzenden Richter mag das Selbstbewusstsein aufgefallen sein, mit dem Mann einem gebuchten Gast die Tür wies. Also fragte er nach. Der Zeuge machte aber deutlich, dass er hier, spätabends, als Vertreter des Direktors gehandelt und „vom Hausrecht Gebrauch gemacht“ habe. Er habe Ofarim angeboten, sich zu entschuldigen. Der habe ihn „sichtbar sauer“ abgewiesen und telefoniert.

Seine Vorgesetzten habe der Mann umgehend per Mail von dem Vorfall informiert. „Es wird von mir erwartet, dass ich solche Entscheidungen treffe.“

Möglicherweise auch nur eine Wahrheit unter vielen. Das Gericht wird dennoch einiges aufbieten, um die einzige zu finden - oder ihr zumindest näherzukommen. Rund 30 Zeugen sollen vernommen werden, bis in den Dezember sind Termine geplant. Auch das Gutachten des Digitalforensikers soll eine Rolle spielen, der die Überwachungsvideos analysiert hat.

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