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Das Standbild des TV-Senders IRIB zeigt drei Zentrifugen in der Atomanlage Natanz.

© -/Islamic Republic Iran Broadcasting/AP/dpa

Vier Fragen an Josef Joffe: Was macht die Welt?

An die Normalos appellieren, ein Türkei-Kernland in Berlin anerkennen und die Mutterland-Hymne singen: Antworten des Kolumnisten auf die Fragen des Tages.

Das Atomabkommen mit dem Iran atomisiert sich gerade selbst. Kann Europa mehr tun, als verzweifelt zuzuschauen?

Die Europäer kriegen es von beiden Seiten. Die USA sind ausgestiegen und drohen mit Sanktionen; die Iraner erpressen die EU. Wenn Trump sie zurückpfeift, werden sie über die erlaubte Urananreicherung von 3,67 Prozent hinausgehen. Das Problem? Jedes bisschen mehr macht das nächste einfacher. Von null auf 20 ist langwieriger, als man von 20 auf 90 Prozent für eine Bombe braucht. Die Europäer aber fürchten US-Sanktionen noch mehr als die iranischen Drohungen. Ihnen fehlt die Macht, die beiden zu disziplinieren. Auch wollen sie nicht offen gegen Amerika auftreten. Mit Freunden wie Trump braucht man keine Feinde mehr.

Die Europawahlen rücken näher, und aus den Appellen, bitte wählen zu gehen, spricht Pathos. Nötig oder nervig?
Die Hälfte der Deutschen macht bei den Europawahlen mit. Wenn es um den Bundestag geht, sind 80 Prozent dabei. Das heißt: Die Bürger wählen, wo Wichtiges auf dem Spiel steht. Appelle treiben die Leute nicht an die Urne. Richtig aber ist, dass die Anhänger radikaler Parteien – links wie rechts – motivierter sind. Der rational denkende Normalo sollte also sein Kreuzchen machen, um den Stimmanteil der Extreme zu schmälern.

Die Wahlen in Istanbul werden wiederholt, weil es Erdogan nicht passt, dass statt seiner AKP die CHP gewonnen hat. Sollte der Westen den CHP-Kandidaten anerkennen?

Am besten für Erdogan wäre es, wenn er nach der Methode Bertolt Brecht vorginge. Der riet dem DDR-Regime, das renitente Volk aufzulösen und ein anderes zu wählen. Nicht ganz einfach bei 15 Mio. Istanbulern. Folglich muss immer wieder gewählt werden, bis das Ergebnis stimmt. Das schafft Erdogan. Er hat die Medien unterworfen. Er hat das Militär und den Staatsapparat. Die Anerkennung des CHP-Mannes wäre so wirksam wie die Globuli der Homöopathen. Erdogan wird sich rächen, indem er Neukölln als Kernland der Türkei anerkennt.

Ein letztes Wort zur deutschen Nationalhymne …

Die Abschaffung wäre eine gute Idee. Der Komponist Haydn ist ein „alter, weißer Mann“; heute müssen Sequencer und Rapper her.“Vaterland“ muss weg zugunsten von „Mutterland“. „Brüderlich“ ist genauso machomäßig. Der Ruf nach „Einigkeit“ ist hochautoritär: die fordert die herrschende Klasse immer, um das Volk zu kujonieren. Wer versteht noch „Unterpfand“? Das ist bildungsbürgerliches Deutsch. Zeitgemäßer ist die DDR-Hymne, wo „ein frei Geschlecht emporsteigt“. Das ist inklusiver als die binäre Mann-Frau-Welt von gestern. „Recht“? Wenn Gruppenidentitäten mehr zählen als das Ganze, wird es erst wirklich gerecht, wenn jede/r sich eine eigene Hymne auf dem Synthesizer bastelt.

Josef Joffe ist Herausgeber der „Zeit“.

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