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Verständigung möglich? Kanzler Olaf Scholz (SPD) und CDU-Chef Friedrich Merz.

© Imago/Photothek/Florian Gaertner

Vor dem Vierergipfel im Kanzleramt: Was wird im Migrationspakt stehen?

Olaf Scholz will sich mit CDU-Chef Friedrich Merz und den Ministerpräsidenten auf eine neue Asylpolitik verständigen. Was ist zu erwarten? Wo gibt es Streitpunkte?

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat für Freitagabend den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz ins Kanzleramt eingeladen, um in der Migrationspolitik eine gemeinsame Linie zwischen Regierung und Opposition abzustecken.

Auch die Länder sollen beteiligt werden, deshalb nehmen der hessische Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und sein niedersächsischer Kollege Stephan Weil (SPD) teil. Auf dem Tisch liegt vor allem der am Mittwoch bekannt gewordene Gesetzentwurf von Innenministerin Nancy Faeser (SPD), der unter anderem Abschiebungen erleichtern soll. Noch im Oktober, in jedem Fall aber vor der nächsten Bund-Länder-Runde am 6. November, soll der Gesetzentwurf vom Kabinett verabschiedet werden.

Allerdings ist bereits absehbar, dass der CDU/CSU die Vorschläge der Ampel-Koalition für verschärfte Abschiebe-Regeln nicht weit genug gehen. „Es sind Trippelschritte in die richtige Richtung, die bei weitem nicht ausreichen“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, dem Tagesspiegel.

Es sind Trippelschritte in die richtige Richtung, die bei weitem nicht ausreichen.

CDU-Politiker Thorsten Frei zu den Ampel-Vorschlägen

„Um die irreguläre Migration zu begrenzen, wird es höchste Zeit, beispielsweise auch die Zahl der sicheren Herkunftsstaaten zu erhöhen, freiwillige Aufnahmeprogramme sofort zu beenden sowie Transitzonen und Rückkehrzentren an den Landesgrenzen einzurichten“, forderte der CDU-Politiker.

Auch die Länder legten Forderungen auf den Tisch, aus denen das geplante „Migrationspaket“ geschnürt werden soll. Die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), in der der Hesse Rhein mittlerweile den Vorsitz hat (Weil ist Vize), beriet am Donnerstag und Freitag unter anderem über die Flüchtlingspolitik. Die Beschlüsse, die bei dem Treffen gefasst wurden, dürften auch die Runde am Freitagabend im Kanzleramt mitbestimmen.  

Nimmt man die Pläne der Ampel, Forderungen der Union und die Vorschläge der Ministerpräsidenten zusammen, ist vor dem Gipfel im Kanzleramt ein ganzes Bündel von Maßnahmen im Gespräch. Was würden die diskutierten Maßnahmen bringen und wie wahrscheinlich ist die Umsetzung? Ein Überblick.


Erleichterte Abschiebungen

Die Verlängerung des Ausreisegewahrsams von zehn auf 28 Tage, von Faeser schon im August in einem Diskussionspapier vorgeschlagen, würde den Behörden in der Praxis mehr Zeit lassen, um Abschiebungen vorzubereiten. Sie gilt etwa für Personen, die im Transitbereich eines Flughafens oder in einer grenznahen Einrichtung festgehalten werden.

Die Ausdehnung dieser Frist dürfte im Sinne der Bundesländer sein. Denn schon nach einem Bund-Länder-Treffen im Mai hatte es im Beschluss geheißen, dass zur Entlastung von Ländern und Kommunen „ein effektives Rückführungsmanagement für Personen ohne Bleiberecht“ von großer Bedeutung sei.

Dagegen sagte die innenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Lamya Kaddor, dem Tagesspiegel: „In den parlamentarischen Verfahren werden wir rechtsstaatliche Fragen und der Schutz von Kindern und Familien in den Vordergrund stellen, alles muss auf verfassungsrechtliche und europarechtliche Konformität geprüft werden.“ Sie sei „in dieser Form nicht zufrieden, weiß aber auch, dass es Härten und Zumutungen geben wird“, sagte die Grünen-Politikerin mit Blick auf Faesers Entwurf weiter.

Die größten Bauchschmerzen dürfte nicht nur den Grünen, sondern auch Verfassungsrechtlern, ein anderer Punkt bei der geplanten Verschärfung bereiten: Beamte sollen auf der Suche nach einem abzuschiebenden Ausländer in Gemeinschaftsunterkünften nicht nur die Unterkunft des Gesuchten betreten dürfen, sondern auch andere Räume.

Die Ausgestaltung dürfte im Gesetz allerdings nicht ganz einfach sein, wenn sie mit dem Grundgesetz konform sein soll. Denn das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung ist ein hohes Gut.


Sichere Herkunftsstaaten

Die Bundesregierung hat beschlossen, Georgien und Moldau in die Liste der sicheren Herkunftsstaaten aufzunehmen. Das ändert aber nichts an dem Druck der Union, die Liste zu erweitern – insbesondere um die Maghreb-Staaten Algerien, Tunesien und Marokko, aber auch um Indien und Armenien.

Die Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten dürfte mit der Ampel-Koalition allerdings nicht so ohne weiteres zu machen sein, auch wenn die FDP sowie Teile der SPD eine Aufnahme der Maghreb-Länder befürworten. Die Grünen sind strikt dagegen. Auch Verbände wie der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland weisen darauf hin, dass in den Maghreb-Staaten mehrjährige Haftstrafen auf Homosexualität stehen – also eine Einstufung als sichere Herkunftsstaaten nicht gerechtfertigt sei.

Die Bundesländer schlagen indes vor, Asylverfahren für jene Bewerber zügiger abzuwickeln, die aus Staaten mit einer Anerkennungsquote von weniger als fünf Prozent kommen. Die entsprechenden Verfahren sollen nach dem Wunsch der Länder binnen drei Monaten rechtskräftig abgeschlossen werden.


Grenzkontrollen

Zwar hatte Innenministerin Faeser zuletzt angeordnet, dass Beamte der Bundespolizei zusätzliche Kontrollen direkt an den Grenzen zu Polen und Tschechien durchführen und damit unerlaubte Einreisen unterbinden. Dabei hatte sie mit ihren Amtskollegen vereinbart, dass die Bundespolizei gemeinsam mit der polnischen und tschechischen Grenzpolizei auch auf dem Staatsgebiet der beiden Nachbarländer auf Streife geht.

Allerdings gehen der Union diese Schritte nicht weit genug. Es sei „völlig unverständlich, warum Frau Faeser nicht längst bei der EU-Kommission die Notifizierung stationärer Kontrollen an der Grenze zu Polen und Tschechien beantragt hat“, sagte Parlamentsgeschäftsführer Frei.

Aus der Sicht der Gewerkschaft der Polizei (GdP) sind feste stationäre Kontrollen aber nicht sehr sinnvoll, weil sie von Schleusern leicht umgangen werden könnten. Eine Anmeldung von Kontrollen auf EU-Ebene wäre nach Ansicht der GdP hingegen durchaus zweckmäßig, weil dies effektive, der Lage angepasste Kontrollen ermöglichen würde.


Finanzierung der Flüchtlingskosten

Für die Länder zentral ist das Geld. Seit Monaten fordern sie vom Bund eine höhere Beteiligung an den Flüchtlingskosten, aber der Kanzler blieb bisher stur. Für den 6. November ist ein Treffen von Scholz mit der MPK geplant, bis dahin soll eine Lösung gefunden sein. Zugesagt hat der Bund bisher eine jährliche Pauschale von 1,25 Milliarden Euro, was bei 250.000 Fällen im Jahr einer Pauschale von 5000 Euro pro Kopf gleichkäme.

Für 2023 soll diese Summe einmalig um eine Milliarde Euro aufgestockt werden, zudem zahlt der Bund ebenfalls einmalig 1,5 Milliarden Euro speziell für Ukraine-Flüchtlinge. Die Länder wollen aber mehr. Die Höhe der vom Bund zu übernehmenden Kosten müsse mindestens 10.500 Euro pro Person und Jahr betragen, hieß es in dem Beschluss zur MPK - das ist etwa doppelt so viel wie bisher vom Bund angeboten.

Die Mitfinanzierung durch den Bund sollte, so die Forderung der Länderchefs, als „atmendes System“ gestaltet sein, also grundsätzlich an der tatsächlichen Zahl der Flüchtlinge orientiert werden. Das Pauschalmodell von Scholz läuft darauf hinaus, dass bei steigenden Flüchtlingszahlen wie aktuell die Länder und Kommunen die Mehrkosten stemmen müssen. Die Finanzminister der Länder beziffern den Aufwand im laufenden Jahr auf etwa 23 Milliarden Euro. Es wird ein größeres Hin und Her geben. Am Ende aber wird der Bund angesichts der hohen Flüchtlingszahl wohl entgegenkommen.


Arbeitsaufnahme und Arbeitspflicht?

Ampel-Koalition und Länder sind sich einig, dass Geflüchtete mit Bleibeperspektive schnell in eine Arbeit oder Ausbildung vermittelt werden können. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat die Devise ausgegeben: „Raus aus dem Sozialsystem, rein in die Beschäftigung.“ Das Arbeitsverbot soll nach seiner Vorstellung nach sechs Monaten enden.

Auch in den Vorbereitungspapieren der MPK war davon die Rede gewesen, dass der zunehmende Arbeitskräftemangel es nahelegt, Geflüchtete in eine Beschäftigung zu bringen.  Ein Streitpunkt ist dabei, wie die schon geltenden Möglichkeiten, dass Kommunen Asylbewerber zu gemeinnützigen Tätigkeiten heranziehen können, ausgeweitet werden.

80
Cent pro Stunde bekommen Asylbewerber bei gemeinnützigen Tätigkeiten.

Die Unions-Länder verlangen sogar eine Arbeitspflicht, was bei den SPD-geführten Ländern nicht gleich auf Unterstützung gestoßen ist. Aber auch nicht auf Widerstand – immerhin sind Geflüchtete nach dem Asylbewerberleistungsgesetz schon jetzt verpflichtet, eine von der Kommune angebotene „Arbeitsgelegenheit“ wahrzunehmen, so sie dazu in der Lage sind. Wer das unbegründet ablehnt, muss mit Leistungskürzungen rechnen. Am Ende einigten sich die Länder am Freitag auf die Forderung, dass arbeitsfähigen Geflüchteten spätestens nach der Zuweisung aus der Erstaufnahmeeinrichtung an die Kommunen geeignete Arbeitsgelegenheiten zugewiesen werden können.

Allerdings haben sich viele Kommunen bisher gescheut, ihren Geflüchteten gemeinnützige Tätigkeiten anzubieten (für die es 80 Cent pro Stunde gibt). Der Grund: Nach der bisherigen Gesetzeslage sind nämlich nur Jobs möglich, die sonst nicht von anderen verrichtet würden. Also kommt zum Beispiel Säubern in Parks nicht infrage, wenn es dafür schon Firmen gibt, die das tun.

Ziel des „Migrationspaktes“ ist nun offenbar, diesen Passus zu streichen oder zu entschärfen, um den Kommunen damit mehr Spielraum für Beschäftigungsangebote zu eröffnen. Geplant ist auch, dass ein „Spurwechsel“ in die sogenannte Arbeitsmarktmigration möglich sein soll. Die Länder unterstützen in ihrem Beschluss die Pläne der Bundesregierung, die rechtlichen Hürden für eine Arbeitsaufnahme von Flüchtlingen mit guter Bleibeperspektive abzubauen. Eine Einigung in diesen Fragen ist zu erwarten.


Geld oder Sachleistungen?

In der Diskussion ist, Geldzahlungen an Asylbewerber durch Sachleistungen zu ersetzen. Denn Bargeldleistungen gelten als ein Fehlanreiz, der Leute nach Deutschland lockt, die gar keine Aussicht auf einen dauerhaften Aufenthalt haben. Möglich ist das Ersetzen von Bargeld durch Sachleistungen jetzt schon, die Entscheidung liegt bei den Kommunen.

Aber dort ist die Begeisterung eher gering. Denn der Verwaltungsaufwand ist groß, jedenfalls sagen das die Kommunalverbände. Als Kompromisslösung ist daher die Ausgabe von Bezahlkarten im Gespräch. Für deren Ausgabe im Prepaid-Format macht sich vor allem die FDP stark. Sachleistungen und Bezahlkarten sollten deutschlandweit der Regelfall werden, fordert der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle. „Die deutschen Sozialleistungen sorgen im europaweiten Vergleich für eine zu große Attraktivität.“

Die Länderchefs hatten sich bereits im Vorfeld der MPK für eine bundesweit einheitliche Bezahlkarte für Geflüchtete ausgesprochen. Die Länder sind dafür offen, jetzt zu prüfen, ob und wie die bereits in Erprobung befindlichen Systeme praxistauglich sind.

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