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Wladimir Putin und sein verteidigungsminister Sergej Schoigu bei einer Festveranstaltung in Moskau.

© dpa / MIKHAIL METZEL

Update

Putins Drohungen doch kein Bluff? : Militärs erörterten offenbar Atomangriff auf die Ukraine – Behörden in Moskau ertüchtigen Schutzbunker

Laut der „New York Times“ sprachen Putins Generäle über einen Einsatz taktischer Nuklearwaffen. In den Hauptstädten Russlands und der Ukraine laufen derweil Vorbereitungen zum Bevölkerungsschutz.

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Hochrangige russische Militärangehörige haben einem Bericht zufolge vor kurzem Gespräche über den Einsatz von taktischen Nuklearwaffen in der Ukraine geführt. Die Diskussionen hätten in Washington zu erhöhter Besorgnis geführt. Das berichtet die „New York Times“ (NYT) unter Berufung auf mehrere hochrangige US-Beamte.

Die Gespräche hätten sich konkret um einen möglichen Zeitpunkt für einen Einsatz von Nuklearwaffen gedreht, heißt es in dem Bericht, und würden aufzeigen, wie „frustriert die russischen Generäle über ihre Misserfolge vor Ort“ sind. Der russische Präsident Wladimir Putin soll allerdings nicht an den Treffen teilgenommen haben. Der Kreml-Chef hat in der jüngsten Vergangenheit jedoch schon öfter mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht.

Die US-Beamten lehnten es ab, sich näher zu möglichen Angriffsszenarien zu äußern. CIA-Direktor William J. Burns habe jedoch bereits zuvor die Mutmaßung geäußert, dass Putins „potenzielle Verzweiflung“ über die Rückschläge im Ukraine-Krieg ihn dazu veranlassen könnten, eine Atomwaffe einzusetzen.

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Derzeit gebe es allerdings noch keine Beweise dafür, dass die russische Armee ihre Atomwaffen in Stellung bringen würde, sagten die Beamten der NYT.

„Wir beobachten diese Angelegenheit weiterhin so gut wie möglich, und wir sehen keine Anzeichen dafür, dass Russland Vorbereitungen für einen solchen Einsatz trifft“, zitiert die Zeitung den Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der USA, John Kirby. Das Weiße Haus erklärte allerdings am Mittwoch auch, dass die US-Regierung „zunehmend besorgt“ über die Möglichkeit eines russischen Atomwaffeneinsatzes im Ukraine-Krieg sei. Die Sorgen seien in den vergangenen Monaten gewachsen, sagt Kirby.

Russland selbst hatte zudem zuletzt mehrfach betont, keinen Atomkrieg starten zu wollen. Auch am Mittwoch hieß es aus dem russischen Außenministerium: „Russlands Handeln wird von der Überzeugung bestimmt, dass Atomkriege nicht gewonnen werden können und nicht geführt werden dürfen.“ Der Einsatz russischer Atomwaffen sei klar geregelt, hieß es weiter. Sie könnten nur zu defensiven Zwecken eingesetzt werden und würden keine „expansiven“ Möglichkeiten eröffnen. Die drängendste Aufgabe in der aktuellen Situation sei es, eine Konfrontation zwischen Nuklearmächten zu verhindern.

Schutzräume in Schulen und Kliniken werden auf Funktionalität geprüft

Der Artikel der „New York Times“ erhält durch Berichte aus Russland weitere Dringlichkeit. Denn Mitte Oktober, als die US-Geheimdienste auf die Diskussionen in der russischen Militärführung aufmerksam wurden, begannen in Moskau die Vorbereitungen, Luftschutzkeller und Bunker vorzubereiten.

Am 24. Oktober hatte das exilrussische Investigativportal „Meduza“ unter Berufung auf lokale russische Medien berichtet, dass die Behörden die Schutzräume in Schulen inspizierten.

Moskau bereitet sich sehr aktiv vor. Ärzte, Soldaten, alle bereiten sich vor. 

Maria Dmitrieva, russische Whistleblowerin

Ein Mitarbeiter eines beteiligten Unternehmens sagte laut der Lokalzeitung: „Natürlich hat uns niemand einen konkreten Auftrag [auf Papier] gegeben, aber man hat uns mündlich mitgeteilt, dass es Anweisungen gibt, die Bunker in Betrieb zu nehmen. Zurzeit bereiten wir in vier Schulen im Zentrum Moskaus die Abwasserkanäle vor und installieren die Stromversorgung.“ Die Schutzräume seien aktuell in keinem guten Zustand hieß es weiter.

Schon am 14. Oktober sollen erste Hausverwaltungen in Moskau den Mietern mitgeteilt haben, dass die Schutzräume instandgesetzt werden.

In der Moskauer Kinderpoliklinik Nr. 110 sind Schilder mit der Aufschrift „Schutzraum“ aufgetaucht. Sie zeigen in Richtung Keller. Das berichtet das Nachrichtenportal Baza.

© Screenshot Baza / Telegram

Am 19. Oktober gab es einen Bericht darüber, dass zahlreiche Kliniken in Moskau ihre Luftschutzbunker ausrüsteten. Das Gesundheitsamt von Moskau dementierte allerdings später einen Bericht, wonach es Anweisungen gebe, die Bunker für eine Nutzung vorzubereiten.

Bürgeramt in Moskau bestätigt Vorbereitungen

Auch außerhalb von öffentlichen Einrichtungen wird am Bevölkerungsschutz gearbeitet. In Moskau sind die Behörden laut Tagesspiegel-Informationen dabei, die Luftschutzbunker in der Stadt zu inspizieren und zu prüfen, ob sie noch einsatzfähig sind. Im Alltag bekommen das die Moskauer bisher aber nicht mit.

Ein Bürgeramt in Moskau bestätigte gegenüber dem Tagesspiegel die Vorbereitungen. Die Adressen der Bunker seien bisher aber geheim und würden nicht an die Bürger weitergegeben. Wer allerdings mit seinem Ausweis beim Amt vorstellig wird und eine Adresse nachweisen kann bekommt die Adresse des lokalen Schutzraumes genannt.

Kiew richtet mehr als 400 Schutzräume ein

Aber nicht nur in Moskau werden Schutzräume auf ihre Funktionalität geprüft. Auch in der ukrainischen Hauptstadt haben Behörden 425 Schutzräume für den nuklearen Notfall ausgewiesen und statten sie mit den notwendigen Vorräten aus, schreibt die „New York Times“. Man bereite sich auf den „schlimmsten Fall“ vor, sagte demnach Oleksiy Kuleba, der Leiter der regionalen Militärverwaltung in Kiew, der ukrainischen Nachrichtenagentur Hromadske.

Für den Ernstfall würden derzeit die Evakuierungsrouten in den Städten und Dörfern aktualisiert. An Nothelfer würde Schutzausrüstung ausgegeben, zudem würden Schulungen durchgeführt. Auch die Kommunikationsstruktur werde überprüft, sagte Kuleba. „Insbesondere wird es Autos mit Lautsprechern geben, die die Öffentlichkeit informieren werden.“

Die globale Katastrophe verhindert man nicht, indem man Diktatoren die Erfahrung machen lässt, dass Krieg sich für sie lohnt.

Tagesspiegel-Community: Marcus Brutus

Dass in der russischen Führung ein Einsatz von Atomwaffen konkret diskutiert wird, berichtete auch die russische Whistleblowerin Maria Dmitrieva kürzlich in einem ausführlichen Interview mit dem Tagesspiegel.

„Ein nuklearer Angriff wird offensichtlich vorbereitet, weil die Vorbereitungen zu den nuklearen Schutzmaßnahmen in vollem Gange sind“, bestätigte Dmitrieva die Berichte aus Russland. „Moskau bereitet sich sehr aktiv vor. Ärzte, Soldaten, alle bereiten sich vor. Ich habe das noch erlebt vor meiner Abreise. Ich habe Pfeile gesehen, die markiert sind mit „Schutzort”“. Die Pfeile wurden laut einem Bericht neu gedruckt.

Auch Dmitrievas Lebensgefährte, der beim Geheimdienst FSB arbeitet, sagte ihr kurz vor ihrer Abreise, die Regierung plane, im Falle einer Niederlage zu taktischen Nuklearwaffen zu greifen.

„Er sagte, unser Land verliere gerade den Krieg, und wenn Surowikin nicht das erreiche, womit er beauftragt wurde, seien Terror- und Sabotageakte in Russland geplant, damit man die Ukrainer beschuldigen könne – und eine Rechtfertigung für den Einsatz der Nuklearwaffen habe.”

„Die Wahrscheinlichkeit des Einsatzes taktischer Nuklearwaffen ist sehr hoch, weil am heutigen Tage Russland mit dem Gesicht in den Dreck gefallen ist. Es hat den Krieg angefangen und verloren. Und jetzt drohen sie der ganzen Welt“, sagte Dmitrieva.

„Es gibt die Wahrscheinlichkeit des Einsatzes nuklearer Waffen und die ist sehr hoch - aber ob Putin sie einsetzt, hängt von der Situation in der Ukraine ab.“ Einen Einsatz der Atomwaffen könne nur innerhalb Russlands, innerhalb des Machtzirkels verhindert werden, glaubt Dmitrieva.

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