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 Italien wählt: Szene aus einem Wahllokal in Turin.

© Imago / Alessandro Di Marco

Rechte in Umfragen vorne: Italien vor historisch niedriger Wahlbeteiligung

Italien wählt, ein halbes Jahr früher als geplant. Letzte Umfragen sehen die Rechte vorn - und erstmals eine Frau als mögliche Ministerpräsidentin.

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Wolken von Nord bis Süd, teils ausgesprochen kühl und nass: Vom Wählen abgehalten hat das die Italiener:innen an diesem Sonntag nicht. In Italien ist es auch traditionell Badewetter, das die Lust auf Demokratie dämpft. „Tutti al mare“, „Fahrt alle ans Meer“ lautet entsprechend der Schlachtruf derer, die ungeliebte Referenden durch wenig Beteiligung zu Fall bringen wollen oder sich durch eine hohe Zahl von Nichtwählenden Vorteile für ihre eigene Partei versprechen.

Einen Zulauf, wie er sich bei einer so entscheidenden Wahl erwarten ließe, verrieten die Zahlen allerdings nicht - eher das Gegenteil. Am Mittag schon verkündete das Innenministerium eine leicht geringere Beteiligung als bei der letzten Wahl 2018. Um 19 Uhr dann eine neuer Stand: Bis dahin hatten am Sonntag 51,16 Prozent der Wahlberechtigten gewählt - das sind sieben Prozentpunkte weniger als 2018 um diese Zeit.

Es droht eine historisch niedrige Wahlbeteiligung

Damit zeichnet sich eine historisch niedrige Wahlbeteiligung ab, die noch den Wert von 2018 unterschreiten könnte. Damals hatten nur knapp 73 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgeben - der geringste Wert der gesamten Nachkriegszeit.

Besonders schwach war der Zulauf laut der Auswertung im Süden des Landes in den Regionen Kalabrien, Apulien, Kampanien und Basilikata sowie auf den Inseln Sizilien und Sardinien mit teils deutlich unter 40 Prozent. Deutlich höher lagen sie im reicheren Norden Italiens.

Die Favoritin lässt auf sich warten

Früh waren etliche Spitzenleute der italienischen Parteien an den Wahlurnen: Staatspräsident Sergio Mattarella ist Sizilianer und wählte um 9 Uhr in Palermo, wo ihn vor dem Wahllokal schon eine applaudierende Menge erwartete. Sizilien wählt an diesem Sonntag nicht nur die beiden Parlamentskammern in Rom, Abgeordnetenhaus und Senat. Auch die Regionalversammlung der Insel, vergleichbar mit einem deutschen Landtag, wird neu bestimmt.

Die Favoritin dieser Wahl ließ auf sich warten. Giorgia Meloni, die Parteichefin der postfaschistischen Fratelli d’Italia, kündigte an, sie werde erst nach 22 Uhr ihr römisches Wahllokal aufsuchen. Sie begründete das damit, dass sie den andern Wählerinnen und Wählern Ruhe bei Abgabe ihrer Stimmen geben wolle. Vor dem Wahllokal hatten sich schon früh eine große Zahl von Medienleuten versammelt.

„Geht wählen, dann dürft ihr euch auch beklagen“

Melonis Partei werden die größten Chancen eingeräumt, stärkste Partei zu werden. Dann wäre sie die wahrscheinlichste Nachfolgerin des Interimspremiers Mario Draghi. Draghi selbst wurde nicht demokratisch gewählt, sondern von Staatspräsident Mattarella im Frühjahr des letzten Jahres berufen, nachdem die Regierung Conte abtreten musste, der die Partei von Matteo Renzi das Vertrauen entzogen hatte.

Renzi war zuvor Chef der Sozialdemokraten (PD) und führt jetzt die Kleinpartei „Italia viva“. Vor wenigen Wochen brachten dann die „Fünf Sterne“ Draghi zu Fall. Deren Parteichef ist der zuvor gestürzte Giuseppe Conte, Vorgänger Draghis als Premier.

Aus allen Parteien kamen an diesem Sonntag erneut Aufrufe an die Italiener:innen, wählen zu gehen. Beppe Sala, der sozialdemokratische Bürgermeister von Mailand, wandte sich besonders an die Jungen: „Das Wahlrecht ist wirklich wichtig. Seit ich achtzehn war, habe ich es mit Freude genutzt. Mein Appell ist daher: Geht wählen. Dann habt ihr auch ein größeres Recht, euch hinterher zu beklagen.“

Bis an die Urnen: Protest gegen das Wahlgesetz

Diese Appelle freilich werden immer weniger erhört. Bei der Wahl 2018 lag die Beteiligung am Ende bei 72,9 Prozent, sie sinkt - wie in anderen Demokratien auch - kontinuierlich. Dafür wird auch das Wahlsystem Italiens verantwortlich gemacht, das den Wähler:innenwilllen immer weniger ausdrückt. Besonders viel Kritik bekam das seit 2017 gültige Wahlgesetz, das „Rosatellum“, benannt nach seinem Schöpfer, dem ehemaligen PD-Fraktionschef Ettore Rosati.

Es lässt weder zu, dass einzelne Kandidat:innen einer Liste, die die Parteien festgelegt haben - meist sind es die Parteiführungen - nach oben gewählt werden. Ebenso wenig ist Stimmensplitting möglich, also zum Beispiel die Liste der Partei A zu wählen, aber die Direktkandidatin von Partei B. Wie in Deutschland wählt Italien in einer Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht.

Es ist in Italien aber möglich, seinen Protest beim Wählen zu Protokoll zu geben. Diesmal hatte eine Initiative „Für Repräsentanz“ einen Vordruck zum Herunterladen ins Netz gestellt, mit dem man das Nein zum „Rosatellum“ bei der Wahlleitung des jeweiligen Wahllokals hinterlegen und, so wörtlich, ein Wahlgesetz fordern konnte, „das im Einklang mit der Verfassung steht“.

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