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Flaggen der Ukraine und der Nato mit einer historischen Flagge von Belarus bei einer Kundgebung zur Unterstützung der Ukraine in Brüssel.

© Reuters/Yves Herman

Was deutsche Außenpolitiker sagen: Sollte die Ukraine Nato-Mitglied werden?

Kanzler Scholz spricht für die Nachkriegszeit vage von „Sicherheitszusagen“. Unter deutschen Außenpolitikern wird der Beitritt der Ukraine zum westlichen Militärbündnis längst diskutiert.

Es ist ein feiner Unterschied. Als Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Anfang des Monats im Bundestag über die Zeitenwende sprach, erwähnte er „Sicherheitszusagen“ der Verbündeten für die Ukraine für die Zeit nach dem Krieg. Er sprach aber nicht von „Sicherheitsgarantien“. Doch ungeachtet der Zurückhaltung des Kanzlers wird unter Außen- und Sicherheitspolitikern in Deutschland längst über die härteste aller Sicherheitsgarantien diskutiert – die Nato-Mitgliedschaft für die Ukraine.

Zum Nachdenken über die Nachkriegsordnung in der Ukraine gehört auch die Debatte, die der frühere Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, in einem Beitrag für den Tagesspiegel angestoßen hat.

Ischinger schlägt darin unter anderem vor, dass Deutschland mit den USA, Großbritannien, Frankreich und weiteren Ländern sowie internationalen Organisationen eine Kontaktgruppe bilden sollte, die später in Friedensverhandlungen einbezogen werden könnte.

Unmittelbar nach der Regierungserklärung von Scholz zum Jahrestag der Zeitenwende mahnte der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow, dass sein Land „echte Sicherheitsgarantien“ benötige. Er rief in Erinnerung, dass die Ukraine bereits in der Vergangenheit Garantien bekommen habe, damit es seine Atomwaffen abgebe. „Das hat nicht funktioniert“, so Resnikow.

Damit meinte der Verteidigungsminister das Budapester Memorandum von 1994. Damals erhielt Kiew von Russland, den USA und Großbritannien Sicherheitsgarantien im Gegenzug für die nukleare Abrüstung der Ukraine. Trotz des Memorandums blieb die territoriale Integrität des Landes aber nicht unversehrt, Russland annektierte 2014 die Krim.

Ein Nato-Beitritt in Etappen

Nach Auffassung von Michael Roth (SPD), des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, sollte Kiew die Aussicht auf eine Mitgliedschaft im westlichen Militärbündnis erhalten. „Für die Zeit nach dem Krieg ist eine ukrainische Nato-Mitgliedschaft die nachhaltigste Lösung für die Sicherheit der Ukraine und Europas“, sagte Roth dem Tagesspiegel.

Mittelfristig ist die beste Sicherheitsgarantie eine hochmoderne und Nato-Standards entsprechende ukrainische Armee, die so eng wie möglich mit der Nato kooperiert.

Michael Roth (SPD), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses

Roth skizzierte dabei mehrere Etappen auf dem Weg zu einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine. „Kurzfristig geht es darum, die Ukraine so zu ertüchtigen, dass sie sich bestmöglich verteidigen und besetzte Gebiete wieder befreien kann“, sagte er. Derzeit gehe es dabei vor allem um stetigen Nachschub an Munition.

„Mittelfristig ist die beste Sicherheitsgarantie eine hochmoderne und Nato-Standards entsprechende ukrainische Armee, die so eng wie möglich mit der Nato kooperiert“, führte der SPD-Politiker weiter aus.

Eine Zwischenlösung könnten laut Roth bilaterale Sicherheitszusagen darstellen, wie sie Schweden und Finnland in der Vergangenheit erhalten haben. Allerdings müsse man dabei aus den leidvollen Erfahrungen der Ukraine mit dem Budapester Memorandum lernen „und eine glaubwürdige konventionelle Abschreckung Russlands durch starke ukrainische Streitkräfte mit verlässlichen Sicherheitsgarantien für die Ukraine verbinden“.

Auch wenn der Weg zu einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine „weit und kein Selbstläufer“ sei, so stellte Roth doch unterm Strich fest: „Die Nato muss unser gesamteuropäisches Bollwerk gegen den russischen Imperialismus werden.“

Damit ging der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses weiter als SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. „Ob und wann das passieren wird, wissen wir heute nicht“, hatte Kühnert mit Blick auf einen Beitritt Kiews zum Militärbündnis gesagt.

Die Nato-Verbündeten sind sich einig, dass die Ukraine Mitglied des Bündnisses werden wird.

Jens Stoltenberg, Nato-Generalsekretär

Dabei ist die Diskussion spätestens eröffnet, seit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg Ende Februar die Mitgliedschaft der Ukraine zum Fernziel erklärt hat. Nach den Worten des Norwegers, der seinen Posten im Herbst dieses Jahres abgeben will, sind sich die Verbündeten „einig, dass die Ukraine Mitglied des Bündnisses werden wird“.

Es ist 15 Jahre her, dass die Nato-Partner der Ukraine bei einem Gipfel in Bukarest einen Beitritt in Aussicht stellten. Allerdings löste das Bündnis das Versprechen nicht ein.

Im Gegenteil: Wenige Tage vor dem Ukraine-Krieg erklärte Kanzler Scholz, dass eine Mitgliedschaft der Ukraine in der Allianz derzeit nicht auf der Tagesordnung stehe.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)

© AFP/Christof Stache

Wladimir Putins Überfall auf das Nachbarland hat inzwischen die Diskussion komplett verändert. Im vergangenen September stellte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj einen Antrag auf einen beschleunigten Beitritt seines Landes zum Bündnis. „Faktisch haben wir unseren Weg in die Nato bereits bestritten“, argumentierte er damals.

Tatsächlich hat das Nachdenken über eine mögliche Nachkriegsordnung inzwischen begonnen, obwohl eine Ende des Kriegs noch nicht absehbar ist. Nach den Worten des CDU-Außenpolitikers Roderich Kiesewetter müsse es künftig wirksame Sicherheitsgarantien für die Ukraine geben, „hoffentlich in den Grenzen von 1991“.

Dabei gibt es nach seiner Auffassung zwei Optionen: Entweder finde sich unter den westlichen Verbündeten eine „Koalition der Willigen“, was aber einen nuklearen Schutzschirm und die Beteiligung der USA erfordere. Die einfachere Lösung stelle hingegen die Aufnahme in die Militärallianz dar, so Kiesewetter: „An einer Nato-Mitgliedschaft der Ukraine führt nichts vorbei.“

Auch der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen befürwortet eine Nato-Mitgliedschaft in der Zeit nach dem Krieg. „Man muss sich klarmachen, dass jede andere Form der Sicherheitsgarantie keine hinreichende Abschreckung für einen erneuten Angriff auf die Ukraine böte“, sagte er zur Begründung. Die Ukraine habe das Recht, „sich einem Verteidigungsbündnis anzuschließen, das niemanden bedroht“.

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