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Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Vizekanzler Sigmar Gabriel, Kanzlerin Angela Merkel and Kanzleramtsminister Peter Altmaier in Meseberg

© Reuters/Hannibal Hanschke

Was die Regierung noch schaffen will: Die Koalition der wunden Punkte

Die Bundesregierung demonstriert bei der Kabinettsklausur in Meseberg Einigkeit - und tut sich doch schwer mit Einigungen in den Details vieler ihrer Vorhaben. Ein Überblick.

Auf der Kabinettsklausur in Meseberg hat sich die Bundesregierung heute auf die Details zu einem Integrationsgesetz geeinigt. Außerdem wurde eine neue Cyber-Sicherheitsstrategie vorgestellt. Es soll ein Signal der Einigkeit gesendet werden. - Doch gut ein Jahr vor der Bundestagswahl gibt es noch einige offene Baustellen. Eine ganze Reihe von Vorhaben wollen oder müssen die Koalitionäre von CDU, CSU und SPD noch abarbeiten.

Erbschaftsteuer

Die Reform der Erbschaftsteuer ist der Koalition vom Bundesverfassungsgericht aufgetragen worden. Bis zum 30. Juni 2016 hat Karlsruhe dafür Zeit gegeben. Doch die Reform kommt nicht voran. Die Fraktionsspitzen haben sich zwar auf ein Papier verständigt, das auf dem Gesetzentwurf von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) aufbaut. Doch die CSU zieht nicht mit, auf Geheiß von Parteichef Horst Seehofer. Dem ist das Ergebnis nicht wirtschaftsfreundlich genug. Schäuble verweist auf die Unsicherheit, die entstehe, wenn der vom Gericht genannte Termin nicht eingehalten wird. In der Tat könnte es dann zu neuen Klagen kommen, die dem Gericht Gelegenheit gäben, der Politik genauere Vorschriften zu machen als im Urteil vom Dezember 2014.

Ein wesentlicher Dissenspunkt ist die Frage, wie weit Unternehmenserben zur Zahlung der Erbschaftsteuer auch ihr eigenes, nicht in der Erbschaft enthaltenes Privatvermögen einsetzen müssen. Acht Punkte hat Seehofer vorgelegt, nur einen oder vielleicht zwei wollen CDU und SPD akzeptieren. Dazu könnte eine günstigere Stundungsregelung gehören, oder auch eine Klausel, welche zu einer geringeren Steuerzahlung führt, wenn mehr investiert wird. Seehofers starre Nicht-mit-mir-Haltung könnte freilich mit einem weiteren Streitthema zusammenhängen, bei dem wiederum Schäuble eine wesentliche Rolle spielt: der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen.

Bund-Länder-Finanzen

An der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen arbeiten die Regierungen der Länder und des Bundes seit Jahren. Im Dezember legten die Ministerpräsidenten einen gemeinsamen Vorschlag vor, der Schäuble überraschte. Sein Gegenvorschlag hat ungefähr die gleiche Verteilungswirkung, wählt aber einen anderen Weg – den die Länderchefs, insbesondere Seehofer, ablehnen. Schäuble hat aber Helfer im Bundestag: Die zuständigen Fraktionsvizes Ralph Brinkhaus (CDU) und Carsten Schneider (SPD) halten den Länderplan sachlich für falsch und für den Bund zu teuer. So hängt die Sache auch hier. Am 16. Juni wollen Bundeskanzlerin Angela Merkel und die 16 Ministerpräsidenten wieder verhandeln. Ausgang ungewiss.

Bundesautobahngesellschaft

Eine Rolle spielt dabei für die Länder auch der in der öffentlichen Debatte eher wenig beachtete Plan des Bundes, mehr Einfluss beim Bau von Fernstraßen zu bekommen. Der Bund will eine Gesellschaft gründen, welche sich um den Bau von Fernstraßen kümmert. Sie heißt mal Infrastrukturgesellschaft, womit Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) den Plan verbindet, mehr private Mittel für öffentliche Investitionen einzusammeln, oder auch Bundesautobahngesellschaft – dahinter versteckt sich die abgespeckte Version, die Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) vorschlägt. Ob aber nun alle Bundesstraßen oder nur die Autobahnen – der Plan gelingt nur, wenn man den Ländern ihre Zuständigkeit für den Straßenbau schmälert. Die aber wehren sich und wollen dem Bund allenfalls eine Gesellschaft zum Sammeln von Geld zugestehen, die Straßenbauverwaltung soll in Länderhand bleiben.

Pkw-Maut
Dobrindt würde die Geldsammelstelle wohl genügen, dann hätte er jenen separaten Topf, in den die Haushaltsmittel fließen, die Einnahmen aus der Lkw-Maut und private Gelder. Auch die Pkw-Maut würde dort landen. Aber die hat Dobrindt so gestrickt, dass nun die Europäische Kommission Einwände erhebt – was in der Koalition niemanden wirklich aufregt, außer Seehofer. Der hatte die Pkw-Maut unter der Überschrift, auch Ausländer müssten künftig zahlen,zum Koalitionsprojekt gemacht. Derzeit hängt die Pkw-Maut, die dDeutschen Autobesitzern soll die Maut mit der Kfz-Steuer verrechnet werden. Aus Brüssel gibt es ein Mahnschreiben mit der Bitte um Änderungen, weil Ausländer nach EU-Recht nicht diskriminiert werden dürfen. Die nächste Station der Pkw-Maut dürfte der Europäische Gerichtshof sein.

Beratungsbedarf. Im Schloss Meseberg will die Bundesregierung Einigkeit demonstrieren – und sich über strittige Projekte einigen. Auf dem Balkon unterhalten sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD).
Beratungsbedarf. Im Schloss Meseberg will die Bundesregierung Einigkeit demonstrieren – und sich über strittige Projekte einigen. Auf dem Balkon unterhalten sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD).

© Tobias Schwarz/AFP

Mieten

Die im vorigen Jahr eingeführte Mietpreisbremse funktioniert offenbar nicht – oder nicht überall. Jedenfalls steigen die Mieten in Berlin immer stärker. Dort wird in diesem September gewählt. Die SPD, die gern als Mieterpartei auftritt, macht das nervös. Verbraucherminister Heiko Maas bereitet ein zweites Paket zur Mietrechtsreform vor – aber ohne die unter anderem von Mietervereinen geforderte Verschärfung der Mietpreisbremse. Was jetzt zumindest einige in der SPD-Bundestagsfraktion stört: Sie wollen, dass Vermieter die alte Miete offenlegen müssen, wenn sie neu vermieten. Nur dann können Mieter erkennen, ob die Vorgaben der Mietpreisbremse eingehalten wird.

Die Union dürfte sich dagegen sperren. Sie will auch keine Mietobergrenze im Gesetz zur steuerlichen Förderung des Mietwohnungsbaus, die die SPD für dringend erforderlich hält, um nicht Luxusbauten statt preiswerter Wohnungen zu subventionieren.

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)

Noch so ein Thema, das zwischen dem Bund und den Ländern, aber auch zwischen den Bundesländern selbst, und in den beiden Regierungsfraktionen umstritten ist. Am 31. Mai soll es einen weiteren EEG-Gipfel zwischen der Kanzlerin und den Ländern geben. Aber in vielen Detailfragen sind alle noch weit voneinander entfernt. Der Grundkonflikt: Die Unionsfraktion beharrt darauf, dass der Ausbau von Wind- und Solarenergie verlangsamt werden soll. Der „Ausbaukorridor“, der schon mit der EEG-Novelle 2014 vereinbart worden ist, soll nach dem Willen der Union auf keinen Fall überschritten werden und sich am unteren Ende des Ausbauziels orientieren. In der SPD mehren sich dagegen die Stimmen, die nach dem Abschluss des Pariser Klimaabkommens eher auf das obere Ende des Korridors schauen. Außerdem deckt sich das mit den Ausbauplänen der norddeutschen Windländer, die allesamt von Regierungen mit SPD-Beteiligung geführt werden.

Klimaschutzplan 2050

Der Klimaschutzplan 2050 ist „entworfen“ und befindet sich „in ersten Abstimmungen“, heißt es im Umweltministerium. Noch vor der Sommerpause soll der Plan ins Kabinett. Darin geht es um Fragen wie den Ausstieg aus der Braunkohle, um die nächsten Stufen der Energiewende, um eine klimaverträglichere Landwirtschaft und um den Verkehr, der ebenfalls bis 2050 vom Kohlendioxid befreit werden soll. Der Plan beschreibt, was Merkel beim G-7-Gipfel in Elmau im vergangenen Juni in die Gipfelerklärung verhandelt hat: die Dekarbonisierung der deutschen Wirtschaft. Bis 2050 würde Deutschland damit seinen Kohlendioxid- Ausstoß um 95 Prozent im Vergleich zu 1990 senken. Aber von der Frage, wie begrenzt die Zukunft der Kohle ist, bis zur Frage, ob es nicht Zeit wäre, den Verbrennungsmotor zu verbieten, steckt viel Sprengstoff darin.

Glyphosat

Die SPD-Minister bleiben bei ihrem Nein in Sachen Glyphosat. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) stellte vor der Klausur klar, dass sie auch einer zeitlich befristeten Verlängerung der Zulassung für das umstrittene Unkrautvernichtungsmittel nicht zustimmen wollen. Vergangene Woche war eine Abstimmung im zuständigen Ausschuss der EU verschoben worden. Die EU-Kommission kann die Zulassung für das am meisten eingesetzte Pflanzengift nun allein verlängern, oder noch einmal versuchen, sich im Ausschuss eine Mehrheit zu organisieren. Deutschland muss sich da aber enthalten.

Betriebsrente

Die Koalition will mehr Arbeitnehmer dazu bringen, eine betriebliche Altersvorsorge abzuschließen. Derzeit haben rund 40 Prozent der Beschäftigten keine Betriebsrente, vor allem kleine und mittlere Betriebe machen keine entsprechenden Angebote. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und Schäuble wollen bis zum Sommer ein Konzept vorlegen. Hintergrund ist auch das langfristig sinkende Rentenniveau: Um dieses auszugleichen, ist mehr zusätzliche Vorsorge notwendig. Diskutiert wird derzeit, dass Arbeitgeber verpflichtet werden sollen, ihren Beschäftigten eine Betriebsrente anzubieten. Kleinere und mittlere Betriebe sollen im Gegenzug bei der Haftung entlastet werden. Außerdem wird geprüft, wie Geringverdiener bei der Betriebsrente finanziell unterstützt werden können.

Bundesteilhabegesetz

Ende April hat Nahles einen Entwurf für das Bundesteilhabegesetz vorgelegt. Dieser sieht unter anderem vor, dass behinderte Menschen, die auf Assistenz angewiesen sind, mehr Vermögen behalten dürfen als heute. Die Freibeträge von derzeit 2600 Euro sollen schrittweise angehoben werden auf bis zu 50000 Euro ab dem Jahr 2020. Sozial- und Behindertenverbände kritisieren den Gesetzentwurf als unzureichend. Auch die Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Verena Bentele, hält Nachbesserungen für notwendig. Dass der Finanzminister im Laufe der Ressortabstimmung mehr Geld zur Verfügung stellt, ist allerdings unwahrscheinlich. Die Reform soll zum 1. Januar 2017 in Kraft treten.

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