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Der Musiker Roger Waters bei einer Show in Amsterdam.

© IMAGO/ANP/IMAGO/Eva Plevier

Was man noch sagen und singen darf: Von der zweifelhaften Freiheit, zu hassen

Rechtsextremismus und Antisemitismus muss man bekämpfen – und dennoch akzeptieren, dass der Staat nicht alles verbieten kann, was abzulehnen ist.

Eine Kolumne von Jost Müller-Neuhof

Zwei Entscheidungen von zwei Gerichten, doch im juristischen Prinzip geht es um – fast – dasselbe. Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat die Stadt verpflichtet, dem Musiker Roger Waters Zugang zur örtlichen Festhalle zu verschaffen, damit er dort ein Live-Konzert geben kann (Az.: 7 L 1055/23.F, noch nicht rechtskräftig). Und das Bundesverwaltungsgericht ermöglicht es der radikalen Kleinpartei NPD, Plakate mit dem Slogan „Migration tötet“ aufzuhängen (Az.: BVerwG 6 C 8.21).

Antisemitismus, wie er Waters vorgeworfen wird, und Rechtsextremismus sind nicht zu dulden. Wer zum Hass gegen Juden aufstachelt oder sie verächtlich macht, wer das Nazi-Reich verherrlicht, macht sich sogar strafbar.

Moralischer Rigorismus ist für exekutives Handeln schlecht geeignet, und ein Generalverdacht begründet noch keinen Verbotsbescheid. 

Jost Müller-Neuhof

Das alles ist so selbstverständlich, dass man wohl glaubt, nicht mehr hinhören oder hinsehen zu müssen. Absender genügt. Waters, der Israel für alles Übel der Welt verantwortlich macht, gehört in Deutschland der Auftritt verboten, meinen unter anderem Regierende. Und wenn die NPD Mitleid mit Getöteten heuchelt, um auf Kosten Geflüchteter politisch Stimmung zu machen – verbieten, klar, was sonst?

In beiden Fällen haben die Gerichte Kontra gegeben, einmal wegen der Kunst-, einmal wegen der Meinungsfreiheit. Denn zum freiheitlichen Staat gehört auch die Freiheit, sich diskriminierend, rassistisch und sogar antisemitisch äußern zu können. Verbote sind vor allem dort auszusprechen, wo Strafgesetze verletzt werden.

Die Bühnenshow des Musikers Waters ist das krude Arrangement eines Freaks, das niemandem gefallen muss. Aber es ist keine Volksverhetzung, weil sie – unter anderem – als politische Kritik gelesen werden kann. Und der NPD-Slogan ist zwar niederträchtig und ausgrenzend, aber er betrifft einen Aspekt von Einwanderung – Kriminalität –, der seit Ewigkeiten im politischen Streit steht. Demokratie heißt, das zu diskutieren – und nicht, es zu verbieten.

Moralischer Rigorismus ist für exekutives Handeln schlecht geeignet, und ein Generalverdacht begründet noch keinen Verbotsbescheid. Es ist also kein ehrenwerter Kampf, den die Behörden hier vor Gericht gefochten haben und im Fall Waters noch fechten. Er indiziert Freiheitsverluste und die offenkundige Bereitschaft, sie hinzunehmen. Gerichte korrigieren das. Aber wie lange noch?

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