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Muss er noch nachgeben? Finanzminister Christian Lindner.

© AFP/Tobias Schwarz

Widerstand gegen Lindners Wachstumsgesetz: „Aus kommunaler Sicht ist das Vorhaben weder sachgerecht noch fair“

Bei der Klausurtagung in Meseberg wurde das Wachstumschancengesetz beschlossen. Zwei Drittel der Steuerausfälle durch das Gesetz müssten Länder und Kommunen tragen – das stößt auf Kritik.

Christian Lindner ist stolz auf das Bündel, das er zugunsten der Wirtschaft geschnürt hat. „Deutschland muss Dynamik gewinnen“, sagte er nach dem Kabinettsbeschluss zum Wachstumschancengesetz, das der Finanzminister der Ministerrunde in Meseberg vorgelegt hatte. „Wir bereiten ein Fundament für mehr private Investitionen.“

Das kostet den Staat bis 2028 gut 32 Milliarden Euro – eine Schätzung des Finanzministeriums, die nach unten, aber auch nach oben offen ist. Denn es geht teils um steuerliche Maßnahmen, deren Umfang am Ende davon abhängt, wie stark sie von der Wirtschaft genutzt werden.

Das gilt nicht zuletzt für die beiden Neuerungen im Entwurf, die Lindner eingefügt hat, nachdem der erste Anlauf einer Kabinettsentscheidung vor zwei Wochen wegen des Streits mit Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) gescheitert war. Die erweiterten Abschreibungsmöglichkeiten für den Wohnungsbau und für bewegliche Wirtschaftsgüter machen das Kostenplus gegenüber dem ersten Entwurf aus – da lag das Einnahme-Minus noch bei 25,4 statt 32 Milliarden Euro.

Aus kommunaler Sicht ist das Vorhaben weder sachgerecht noch fair.

Uwe Zimmermann, Deutscher Städte- und Gemeindebund

Den Großteil der Kosten trägt nach Lindners Vorlage nicht der Bund. Auf ihn entfallen demnach zwölf Milliarden Euro bis 2028. Die Länder hätten 11,3 Milliarden Euro zu tragen. Für die Kommunen wären es neun Milliarden Euro – ein ordentlicher Batzen, der auch so groß ist, weil die Ampel-Beschlüsse sich stark auf die Gewerbesteuereinnahmen auswirken würden, eine Haupteinnahmequelle der kommunalen Ebene.

So baut sich schon der Widerstand auf. „Der Entwurf für ein Wachstumschancengesetz der Bundesregierung ist von der Grundidee her, in der aktuellen wirtschaftlichen Situation etwas für die Konjunktur zu tun, nicht verkehrt“, sagte Uwe Zimmermann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, dem Tagesspiegel. „Aber aus kommunaler Sicht ist das Vorhaben weder sachgerecht noch fair. Es überzeugt uns nicht.“

Mit der hohen Kostenbeteiligung der Kommunen habe das Gesetz eine erhebliche Unwucht. Die Kommunen seien derzeit im Defizit, im ersten Halbjahr 2023 in einer Höhe von minus 6,8 Milliarden Euro laut Statistischem Bundesamt, sagte Zimmermann. 

„In den Folgejahren sind sogar zweistellige Defizite zu erwarten“, fügte er hinzu. „Allein das Wachstumschancengesetz hat in der Spitze für die Kommunen nun auch noch zusätzliche Einnahmeverluste von über drei Milliarden Euro jährlich zur Folge.“ Das wird nach der Lindner-Vorlage 2026 der Fall sein. 

Zimmermann gab zu bedenken, dass die Kommunen nicht mehr in der Lage wären, „in dem Umfang zu investieren, wie wir es wollen und wie es angesichts der wirtschaftlichen Wachstumsschwäche nötig wäre“.

6,4
Milliarden Euro wird das kommunale Defizit laut Schätzungen des Landkreistags im laufenden Jahr betragen.

Auch der Präsident des Landkreistags, Reinhard Sager, ist verstimmt. „Das Wachstumschancengesetz bürdet den Kommunen Lasten von fast zwei Milliarden Euro pro Jahr auf. Diese Mindereinnahmen sind in der derzeitigen Situation kommunal kaum tragbar.“

Für das laufende Jahr rechnet Sager mit einem kommunalen Defizit von 6,4 Milliarden Euro und für 2024 von fast zehn Milliarden. „Der Bund hat die Belange der kommunalen Ebene im Ergebnis erneut nicht ausreichend beachtet, so dass es für uns in den Landkreisen und Gemeinden noch schwieriger wird“, sagte Sager dem Tagesspiegel.

Als „echte Hiobsbotschaft“ bezeichnete Städtetagspräsident Markus Lewe den Beschluss des Wachstumschancengesetzes. Die Kostenbelastung sei für die Städte kaum zu verkraften, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Unmut in den Ländern

In den Ländern gibt es ebenfalls Unmut, der am Mittwoch allerdings noch zurückgehalten wurde. Doch hatten sich einige Ministerpräsidenten schon zuvor kritisch geäußert. Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) kündigte für seinen Stadtstaat schon an, im Bundesrat nicht zuzustimmen.

Die Saar-Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) nannte es befremdlich, dass die Koalition zwar Ländern und Kommunen zwei Drittel der Kosten zumesse, aber vorab nicht mit ihnen rede.

Friedrich Merz erwartet ein Nein vom Bundesrat

Hamburgs Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) erwartet, dass Lindner nun auf die Länder zugeht. „Ein Impuls für das Wachstum ist zweifellos erforderlich, jedoch nicht so und nicht so unabgestimmt“, sagte er dem Tagesspiegel. „Herr Lindner bestellt im Bund, lässt aber die Länder und Gemeinden den Großteil der Rechnung bezahlen. Darüber müssen wir sprechen – und das ist bisher nicht passiert.“

Lindner solle Vorschläge machen, wie eine Verständigung möglich sei. „Klar ist: Ganz ohne Kompensation wird das schwierig. Die fehlenden Einnahmen sind in keinem Bundesland eingeplant“, sagte Dressel.

Der Bund kann die finanziellen Auswirkungen einer solchen Reform nicht allein schultern.

Mathias Middelberg, Unions-Fraktionsvize

CDU-Chef Friedrich Merz äußerte am Mittwoch die Erwartung, dass die Länder dem Gesetz so im Bundesrat nicht zustimmen. Unions-Fraktionsvize Mathias Middelberg, auch für Haushaltspolitik zuständig, betonte aber auch die Lasten, welche die Bundesseite hat.

„Der Bund hat in Folge der Corona- und der Energiekrise neue Schulden im dreistelligen Milliardenbereich aufgenommen und damit eine Hauptlast übernommen. Deshalb kann er jetzt die finanziellen Auswirkungen einer solchen Reform nicht allein schultern“, sagte er dem Tagesspiegel.

„Seit 2020 erhalten die Bundesländer einen größeren Anteil am Gesamtsteueraufkommen als der Bund. Das gab es vorher nie“, betonte Middelberg. Bei der Diskussion um die Übernahme der Kosten dürfe nicht aus dem Blick geraten, dass alle Ebenen von einer wirtschaftlichen Belebung profitieren würden.

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