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Im AWO-Seniorenheim in Wildau betreut ein Freiwilliger im Rahmen seines Bundesfreiwilligendienstes einen alten Mann.

© picture alliance / dpa

Zurückgenommene Kürzungen bei Freiwilligendiensten: Eine Erweiterung des Horizonts für die Gesellschaft

Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat die geplanten Kürzungen überraschend zurückgenommen. Diese Entscheidung ist sehr zu begrüßen, denn der Freiwilligendienst bringt für alle einen Mehrwert.

Ein Kommentar von Charlotte Greipl

In den Kulturbetrieben, beim Elterngeld oder in der Migrationsberatung − überall muss derzeit gespart werden. Im Bereich der Freiwilligendienste indes hat der Bundestag die geplanten Kürzungen nun zurückgenommen. Und das ist gut so.

Etwa 60.000 Jugendliche und junge Erwachsene leisten jedes Jahr einen Jugendfreiwilligendienst in gemeinnützigen Einrichtungen, im Natur- und Umweltschutz oder in Hilfsprojekten im Ausland. Dazu kommen circa 40.000 Menschen, die einen Bundesfreiwilligendienst absolvieren.

Jede dritte Stelle war bedroht

Bundesfamilienministerin Lisa Paus geriet jedoch – wie ihre Kabinettskollegen – unter massiven Sparzwang. Der Etat für die Jugendfreiwilligendienste sollte von derzeit 121 Millionen auf 96 Millionen Euro im Jahr 2024 sinken. Für den Bundesfreiwilligendienst sollten dann nur noch 154 Millionen Euro statt 207 Millionen bereitstehen. Träger wie Caritas und Deutsches Rotes Kreuz hatten Alarm geschlagen und vor einer Streichung etwa jeder dritten Stelle gewarnt.

In der Nacht zu Freitag hat der Haushaltsausschuss die Einsparungen nun überraschend zurückgenommen. Damit stehen im Bundeshaushalt weiterhin fast 330 Millionen Euro für die Freiwilligendienste zur Verfügung.

Sparen ist nie schön, aber bei den Freiwilligendiensten wäre es besonders schmerzhaft – denn alle profitieren davon.

Win-Win-Situation für alle

Ein Freiwilligendienst ist das, was man eine klassische Win-Win-Situation nennt. Zunächst profitieren die Einrichtungen davon: Motivierte Menschen helfen aus, begeistern sich möglicherweise für einen sozialen Beruf und bringen frischen Wind ins Denkmalamt, zur Freiwilligen Feuerwehr oder in den Sportverein.

Die Freiwilligen werden in ihrer persönlichen Entwicklung gefördert. Jeder, der selbst einen solchen Dienst geleistet hat, kann von den teilweise extrem herausfordernden Situationen berichten, in die er als meist junger Mensch geraten ist − das Freiwillige Soziale Jahr richtet sich an Menschen unter 27 Jahren, der Bundesfreiwilligendienst hingegen steht allen ab 16 Jahren offen.

Man lernt, Verantwortung zu übernehmen, tolerant zu sein und mit Menschen mit einem vielleicht ganz anderen sozialen Hintergrund zusammenzuarbeiten.

Und zuletzt profitiert die Gesellschaft insgesamt davon. Noch vor einem Jahr hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Einführung eines sozialen Pflichtjahres vorgeschlagen. Schon die Idee, einen Freiwilligendienst zur Pflicht zu machen, erscheint widersinnig. Fragwürdig ist auch die Überlegung, den Fachkräftemangel in Kliniken und bei der Bundeswehr mit billigen Arbeitskräften zu bekämpfen.

Steinmeier war für seinen Vorstoß kritisiert worden, gerade auch von jungen Menschen, die nach den Jahren der Corona-Beschränkungen keinen weiteren staatlichen Eingriff in ihre Lebensplanung wollten. Man kann von dem Vorhaben halten, was man möchte – die Realisierung ist ohnehin unwahrscheinlich. Der dahinterstehende Gedanke aber ist richtig: Die Gesellschaft zusammenzubringen.

In Zeiten, in denen immer wieder beklagt wird, dass die Gesellschaft auseinanderfällt und alle in ihren Blasen leben, ist der Austausch, der zwangsläufig bei einem Freiwilligendienst stattfindet, so wichtig wie noch nie.

Freiwilligendienstleistende sind Multiplikatoren

Es eröffnet neue Perspektiven, wenn der Abiturient aus wohlhabenden Verhältnisse an eine Brennpunktschule geht, die Städterin zur Freiwilligen Feuerwehr auf dem Land. Für viele wäre auch der Einsatz in einer Erinnerungsstätte lehrreich, wie die leichtfertige Verbreitung antisemitischer Inhalte auf sozialen Netzwerken durch Jugendliche nicht nur, aber auch aus migrantischen Milieus zeigt. Junge Leute, die in die Bundeswehr hineinschnuppern, können Vorurteile auf beiden Seiten abbauen.

Ein Freiwilligendienst sollte nicht als Mittel zur Personalgewinnung und zur kurzfristigen Überbrückung von Personalengpässen gesehen werden. Es bringt der Gesellschaft nicht nur etwas, wenn die Freiwilligen danach eine Ausbildung zum Erzieher machen oder sich bei der Bundeswehr verpflichten.

Die Freiwilligen sind Multiplikatoren: Wer in unserer Gesellschaft weiß schon aus erster Hand, mit welchen Problemen Obdachlose zu kämpfen haben oder wie man mit autistischen Kindern kommuniziert?

Diese Erfahrungen weiterzugeben, ob im beruflichen oder privaten Kontext, ist für mehr Verständnis und Toleranz in dieser Gesellschaft von unschätzbarem Wert.

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