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© Jürgen Dobberke

Brandenburgs CDU-Chef Redmann: „Der 17. Juni sollte ein gesamtdeutscher Feiertag sein“

Der Volksaufstand 1953 fristet ein Schattendasein. Doch die Erfahrungen in der Mangelwirtschaft prägen Ostdeutsche bis heute: Sie unterscheiden zwischen Wunsch und Machbarem.

Ein Gastbeitrag von Jan Redmann

Siebzig Jahre nach dem 17. Juni 1953 fristet der Volksaufstand in der DDR ein Schattendasein, das dem Mut seiner Akteure nicht gerecht wird. Die traumatisierte SED-Riege versuchte, ihn aus dem kollektiven Gedächtnis zu löschen. Für die Westdeutschen waren die Ereignisse in der DDR fern, auch wenn er noch im selben Jahr zum Tag der Deutschen Einheit erklärt wurde. Nachdem der 3. Oktober diesen Platz eingenommen hatte, geriet der Volksaufstand weiter ins Vergessen. Dabei haben wir allen Grund, den 17. Juni wieder als regulären gesamtdeutschen Feiertag zu begehen.

Imperialistisches Reaktionsmuster der Herrscher im Kreml

Wir verstehen heute viel besser, unter welchen Bedingungen der Aufstand in der DDR stattfand. Er konnte nur mithilfe Moskaus niedergeschlagen werden und war der erste seiner Art gegen Unterdrückung und Kommunismus im Ostblock. Nach dem Ungarischen Volksaufstand, dem Posener Aufstand, dem Prager Frühling, den Massenstreiks der Solidarność in Polen kehrte der Aufstand mit der Friedlichen Revolution 1989/90 zurück in die DDR. Wir haben verkannt: Der Freiheitsdrang war ein ostdeutscher Exportschlager.

Der Freiheitsdrang war ein ostdeutscher Exportschlager.

Jan Redmann, Partei- und Fraktionschef der CDU Brandenburg

Seinen Wert verstehen jetzt auch jüngere Generationen im Osten wie Westen seit dem brutalen Überfall Russlands auf die Ukraine. Heute wie damals zeigt sich ein imperialistisches Reaktionsmuster der Herrscher im Kreml. Und dass Freiheit und Demokratie auf mutige Bürgerinnen und Bürger angewiesen sind, die sie verteidigen.

Neben dem Freiheitsdrang kam im Volksaufstand auch der Widerstand der Ostdeutschen gegenüber dem planwirtschaftlichen Dirigismus zum Ausdruck. Die Verstaatlichung der Betriebe führte zum Rückgang der Industrieproduktion, die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft zur Agrarkrise. Arbeiter und Bauern sollten dafür mit einer Steigerung der Arbeitsnorm geradestehen, um die Wirtschaftsleistung zu erhöhen. Sie war eine kalte Ausbeutung und brachte noch weitere Wohlstandseinbußen. Die Mangelwirtschaft prägte das Alltagsleben und das Denken tiefgreifend.

Bei den Feierlichkeiten zum 17. Juni wird dies kaum gewürdigt. Sie ist eine Erfahrung des Scheiterns als Folge einer staatlich verordneten Ideologie. Und sie wirkt noch nach: Ostdeutsche erkennen meist auf den ersten Blick, wenn ideologische Zwänge den Erfolg politischer Projekte zu ersticken drohen. Im Alltag des „Realen Sozialismus“ konnten sie das nicht verhindern. Die DDR war eine Diktatur.

Während die von der SED gesetzten Planvorgaben Kreativität und Fortschritt erstickten, musste der „gelernte DDR-Bürger“ kreative Lösungen für die Probleme der Mangelwirtschaft finden. Dieser scheinbare Widerspruch eines aus Ideologie resultierenden Pragmatismus prägt Ostdeutsche noch heute. Sie unterscheiden zwischen Wunschvorstellungen und Machbarem. Für Blütenträume und Ideologie kennen sie nur Verachtung.

Die Energiewende braucht ostdeutschen Sinn fürs Machbare

Es ist deshalb kein Zufall, wenn Ostdeutsche sensibler reagieren, so sie das Gefühl haben, dass der Politik der Realitätssinn verloren geht. Das betrifft gegenwärtig vor allem die Energiewendepolitik der Bundesregierung, etwa weil sie planwirtschaftlichen Ge- und Verboten den Vorzug vor marktwirtschaftlichen Instrumenten gibt, oder weil sie trotz eines Mangels an grünem Strom klimaschützende Technologien wie Kernkraft oder CCS („Carbon capture and Storage“) mit spitzen Fingern anfasst.

Wir unterschätzen den Einfluss der ostdeutschen Erfahrung mit der Planwirtschaft: Eine Politik des Wunschdenkens führt hier zu kultureller Entfremdung. Aber: Gerade die Energiewende braucht den ostdeutschen Sinn fürs Machbare. Eine Würdigung der Skepsis der Ostdeutschen gegenüber allzu ideologisch geprägten politischen Vorhaben würde in ganz Deutschland dem Wohl des Landes dienen.

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