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Stolpersteinverlegung vor dem ehemaligen Wohnhaus von Dr.Gustav Adolf Herzfeld in Potsdam Bornim (klaer)

© Andreas Klaer

Aus Potsdam ins KZ: Abschiedsbriefe erzählen von Schicksalen der Holocaust-Opfer

Genaue Zahlen zu den Opfern des Nationalsozialismus aus Potsdam gibt es nicht. In den Abschiedsbriefen der Deportierten wird ihr grausames Schicksal greifbar.

Wenn heute in rechtsextremen Plänen von „Remigration“ statt von Deportation die Rede ist, erinnert das an die Sprache der Nationalsozialisten. Die Deportation europäischer Juden in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager wurde damals verharmlosend als Evakuierung, Verbringung oder Verschickung bezeichnet. Dennoch sei den Betroffenen meist klar gewesen, worum es ging, sagt Tobias Büloff, Potsdams Beauftragter für Erinnerungskultur.

Geblieben sind Briefe des Abschieds, die kurz vor den „Evakuierungen“ verfasst wurden. Die Geheime Staatspolizei oder die Ortspolizei kündigten diese an. Verbunden waren die Schreiben mit der Aufforderung der Vermögensaufstellung. Bis zur Deportation blieben den Betroffenen nach Erhalt des Briefes zwei bis sieben Tage Zeit.

Wie viele Juden aus Potsdam deportiert wurden, ist nicht bekannt. „Die Quellenlage ist dürftig“, sagt Büloff. Zum einen sei die jüdische Gemeinde Potsdams relativ klein gewesen. Außerdem seien viele Dokumente verschwunden. Zum anderen liege die Zahl der Deportierten über der Zahl der Gemeindemitglieder. Denn betroffen waren beispielsweise auch Ehepartner, Konvertierte oder Nachfahren von Juden, die sich selbst nicht als jüdisch bezeichneten. Die sogenannten Rassengesetze schrieben dies vor. Und die christlichen Kirchen hätten oft ohne Aufforderung die Quellen zur Religionszugehörigkeit willfährig ausgehändigt, so Büloff.

Bewegende Abschiedsbriefe zeugen von den Schicksalen

Im bewegenden Abschiedsbrief schrieb Bertha Simonsohn vom 25. November 1942 an ihre Kinder Rudi, Ernst und Ludwig: „Ihr habt alles getan, was in Eurer Kraft stand, die Verhältnisse waren eben stärker als Ihr.“ Weiter heißt es in dem Brief, der auch zu anderen Familienmitgliedern Bezug nimmt: „So bete ich in dieser Stunde zu Gott, er möge mein schwaches Lebensflämmchen verlängern und mir trotz allen Leidens noch die Gnade geben, alle wiederzusehen.“ Bertha Simonsohn war diese Gnade nicht vergönnt. Am 19. April 1943 wurde sie ins Konzentrationslager Theresienstadt gebracht, wo sie am 17. Juni kurz vor ihrem 67. Geburtstag starb. 

Das heute als Bürgertreff genutzte Heidehaus in Babelsberg diente vermutlich auch als Sammelstelle für Menschen, die deportiert wurden.
Das heute als Bürgertreff genutzte Heidehaus in Babelsberg diente vermutlich auch als Sammelstelle für Menschen, die deportiert wurden.

© Ottmar Winter PNN/Ottmar Winter PNN

Vor den Deportationen wurden die Menschen meist in Sammelstellen gebracht. Das waren auch Wohnungen im Stadtgebiet, beispielsweise in der Dortustraße 57 und vermutlich auch das heute als Bürgertreff genutzte Heidehaus gegenüber dem Findling in Babelsberg, so Tobias Büloff. Wenn Menschen in die Sammelstellen abgeschoben wurden, hätten Potsdamer darauf gedrängt, in deren Wohnungen einziehen zu können. In der Stadt habe damals Wohnungsnot geherrscht.

Hoffnung auf bessere Zeiten blieb unerfüllt

Vom nationalsozialistischen Regime beschlagnahmt war die Villa von Karl Heidmann in der Bergstraße 2a, heute Spitzweggasse, in Babelsberg. Der jüdische Arzt konnte Deutschland vor einer möglichen Verfolgung verlassen. In der Villa wurde im April 1940 ein „Siechen- und Altenheim“ eingerichtet. Praktisch habe es sich um eine Sammelstelle gehandelt, von der aus ältere Menschen zumeist nach Theresienstadt deportiert wurden. „So weit bekannt ist, hat niemand, der in dieser Sammelstelle untergebracht war, überlebt“, so Büloff. Die Menschen wurden in Konzentrationslagern umgebracht worden oder während der Transporte gestorben.

Gustav Adolf Herzfeld war in diese Sammelstelle in der Heidmann-Villa gekommen und schrieb von dort am 29. September 1942 einen Brief an seinen Freund und Nachbarn aus Bornim, den Gärtner Karl Foerster und dessen Frau Eva. „Sie werden schon gehört haben, daß ich am Sonnabend, 3. Oktober nach Theresienstadt abgeschoben werde“, beginnt der Brief. Er betrachte seine „Verschickung“ als einen höheren Auftrag, um in Theresienstadt kranke und schwache „Schicksalsgenossen aufzurichten und zu trösten“. Er schreibt von der Hoffnung auf bessere Zeiten und dass ihm noch einmal die Freiheit geschenkt werden würde. Am Ende seines Briefs bedankt sich Herzfeld bei den Foersters für die Kuchen, die diese geschickt hatten und die im Heim große Freude erregt hätten.

Vier Wochen nachdem Herzfeld den Brief geschrieben hatte, wurde er am 27. Oktober in Theresienstadt ermordet. Am 16. Januar 1943 räumte die Gestapo das „Siechen- und Altenheim“. Die letzten Bewohner wurden nach Theresienstadt gebracht. Dieser Transport gilt als die letzte große Deportation aus Potsdam. 14 solcher Transporte, organisiert von der Gestapo und der Staatspolizeistelle Potsdam, habe es gegeben, so Büloff.

Nur wenigen Potsdamer Juden konnten sich vor der Verfolgung und Ermordung verstecken. Die Potsdamer Cellistin Maimi von Mirbach, selbst mit ihrer Familie zu Kriegsbeginn 1914 aus Antwerpen geflohen, versteckte mehrere Male in ihrer Villa in der Alleestraße 10 Menschen, die von Verfolgung bedroht waren. Dem Vorsitzenden des Potsdamer Arbeitsgerichts, Fritz Hirschfeld, verhalf sie zur Flucht. Er kam später dennoch über das KZ Theresienstadt nach Auschwitz, wo sich seine Spur verliert. Maimi von Mirbach, nach der im Kirchsteigfeld eine Straße benannt ist, wurde von der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet. Sie starb 1984 im Alter von 85 Jahren.

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