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© picture alliance/zb/Berliner Verlag

Streiks, Proteste und Panzer: So erlebte Potsdam den 17. Juni 1953

Der Historiker Peter Ulrich Weiß zeichnet nach, was beim Volksaufstand in Potsdam geschah – und wie überfordert die SED darauf reagierte.

Am Samstag jährt sich der Volksaufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR zum 70. Mal. Auch in Potsdam kam es damals zu Streiks lokaler Betriebe und Protesten in der Innenstadt, die – wie überall in der DDR – von der SED-Führung und der sowjetischen Besatzung brutal niedergeschlagen wurden.

„Auch wenn Potsdam im DDR-Vergleich nicht als Epizentrum des Aufstands bekannt ist, war es ein bedeutender Protestort in der Region“, sagt der Historiker Peter Ulrich Weiß von der Landesstelle zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur (LAKD) in einem Vortrag im Potsdam-Museum. „Dabei tat sich das Karl-Marx-Werk, also der VEB Lokomotivbau Babelsberg, als Mittelpunkt der Streikbewegung hervor.“

Auch wenn Potsdam im DDR-Vergleich nicht als Epizentrum des Aufstands bekannt ist, war es ein bedeutender Protestort in der Region.

Peter Ulrich Weiß, Historiker von der brandenburgischen Landesstelle zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur (LAKD)

Hier legte die Nachmittagsschicht um 14 Uhr die Arbeit nieder. „Als der Betriebsdirektor erschien und die Streikenden aufforderte, wieder arbeiten zu gehen, wurde er niedergeschrien“, so Weiß. Weitere Streiks folgten: Auf Baustellen in Eiche, Golm, Rehbrücke und Michendorf legten am Nachmittag jeweils 60 bis 80 Arbeiter der Bauunion Potsdam die Arbeit nieder, gleiches galt für die Bauunion Luftschiffhafen und das Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) Potsdam.

Panzer brachten sich vor dem Werk in Stellung

Nach 19 Uhr kam es auf dem Platz der Nationen (der heutige Luisenplatz) und auf dem Bassinplatz zu Aufläufen von etwa 150 Personen. In der Wilhelm-Pieck-Straße (heute Charlottenstraße) wurde ein Lautsprecherwagen der Polizei von einer größeren Menschenmenge aufgehalten. „Macht Schluss und erkämpft euch eure Freiheit!“, rief dabei ein Fahrkartenverkäufer der Menge zu. Dafür wurde der 33-Jährige verhaftet und später zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt.

Um 20 Uhr gab es vor dem Babelsberger Rathaus heftige Zusammenstöße von Jugendlichen und Polizei, längst galten Ausnahmezustand und Ausgangssperre. Am 18. Juni gingen die Aktionen weiter: Das Karl-Marx-Werk streikte erneut, auf dem Betriebsgelände forderten demonstrierende Arbeiter Norm- und Preissenkungen sowie den Sturz der Regierung.

Dies wurde unterbunden, als sich um 10.30 Uhr sowjetische Panzer und Truppen vor dem Werk in Stellung brachten und vermeintliche „Rädelsführer“ verhaftet wurden. Daraufhin nahmen die meisten Beschäftigten aus Angst ihre Arbeit wieder auf.

Aus Potsdam keine Fotos

Woanders ging der Aufstand weiter: Auf dem Betriebsgelände der RAW Potsdam demonstrierten 80 Arbeiter für Normsenkungen und freie Wahlen, auch bei der DEFA gab es Proteste. Abends versammelte sich eine Menschenmenge an der Brandenburger Straße/Ecke Elfleinstraße, die jedoch schnell von der Volkspolizei auseinandergetrieben wurde. Bis zum 20. Juni gab es immer wieder kleinere Tumulte in der Stadt.

Die Reaktion der örtlichen Parteiorgane war erstaunlich blass: Viele der Funktionäre waren noch nicht lange im Amt und reagierten überfordert. Mehrere SED-Parteidienststellen wurden mit Personenschützern besetzt, am Bahnhof Potsdam wurden Ausweiskontrollen durchgeführt. Die Bezirksleitung schickte rund 100 Studenten als Agitatoren zu den Streikenden im Karl-Marx-Werk, um diese zur Räson zu bringen.

Bis zum 21. Juni wurden im gesamten Bezirk Potsdam (zu dem das westliche Brandenburg von der Prignitz bis Teltow-Fläming gehörte) knapp 140 Personen von der Stasi und etwa 440 Personen von der Volkspolizei festgenommen. Genaue Zahlen für Potsdam gibt es nicht, allerdings quoll das „Lindenhotel“ genannte Stasi-Untersuchungsgefängnis bald vor Inhaftierten über.

Fotos der Aufstände in Potsdam gibt es nicht, weder das Potsdam-Museum noch die Gedenkstätte Lindenstraße haben dazu etwas in den Archiven. „Insgesamt gibt es wenige Fotos vom Aufstand in der Fläche der DDR“, sagt Historiker Peter Ulrich Weiß. Die meisten Fotos gebe es aus den großen Städten, in Brandenburg hingegen nur aus Hennigsdorf, Brandenburg an der Havel, Rathenow und wenigen anderen Orten.

Weiß beklagt, dass der 17. Juni wenig im öffentlichen Bewusstsein verankert sei: „Das ist bedauerlich, denn als historischer Symbolort für Freiheitswillen und Kampf um Selbstbestimmung ist er fester Bestandteil unserer Demokratiegeschichte.“ Es lohne sich, stärker daran zu erinnern, vielleicht auch durch eine Benennung von Straßen oder Plätzen in Potsdam. „Schließlich ist die deutsche Geschichte nicht reich an revolutionären Erhebungen; und die Potsdamer Stadtgeschichte nun schon gleich gar nicht“, so Weiß.

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