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„Ich würde sofort wieder in die Kohle gehen… Fotografien einer Transformation“ im Potsdamer Haus Brandenburgisch-Preußischer Geschichte.

© Andreas Klaer

Lausitz-Fotos von Christina Glanz: Was von der Kohle übrig blieb

Die freischaffende Fotografin begleitet den radikalen Wandel in der ehemaligen Braunkohle-Hochburg Lauchhammer. Und zeigt Menschen statt Klischees.

Kunst? Den Begriff hält Christina Glanz auf Abstand. Wenn die Fotografin über ihre Arbeit spricht, sagt sie Sätze wie: „Ich habe immer Prozesse beobachtet. Das ist das, was ich kann.“ Für diese Prozesse war sie im schwedischen Smaland unterwegs, oder in der Toskana. Und fast 20 Jahre lang in Lauchhammer, Südbrandenburg.

Was damals seit Mitte der 1980er Jahre in der Lausitz entstand, sieht sich heute als fotografisches Gleichnis für ein Phänomen, das gerade wieder in aller Munde ist: die ostdeutsche Transformationsgesellschaft. Was geht in den Menschen kaputt, wenn ein Land kaputtgeht? Wann ist so ein Übergang überwunden und woran macht er sich 30 Jahre später noch fest? Alles Fragen, die man in die Bilder von Christina Glanz hineinlesen kann. Der Titel der Ausstellung, die ihre Lauchhammer-Arbeiten im Haus Brandenburgisch-Preußischer Geschichte versammelt, so umfangreich wie nie zuvor, lädt dazu ein: „Fotografien einer Transformation“.

Christina Glanz ist seit 1982 freischaffende Fotografin.

© Andreas Klaer

Arbeiter in der Brikettfabrik

Lauchhammer hatte Mitte des letzten Jahrhunderts seine Hochphase erlebt, als es 1951 Standort für die erste Braunkohlen-Hochtemperatur-Großkokerei der Welt wurde. Ein Triumph für die junge DDR: Hier gelang es erstmals überhaupt, aus Braunkohle Koks herzustellen. 

Zu sehen sind auch Gruppenfotos der Brigaden in der letzten Schicht.

© Andreas Klaer

Bis 1990 produzierten die Kohle- und Brikettwerke in Lauchhammer täglich Tausende Tonnen. Ein erheblicher Teil der Energieversorgung der DDR wurde von hier bestritten. 40 Jahre nach dem ersten Triumph war Schluss. Mit der DDR und auch mit dem VEB Braunkohlekombinat Lauchhammer. 

Christina Glanz kannte den Betrieb und seine Menschen gut. Als freischaffende Fotografin nahm sie seit den 1980ern immer wieder Aufträge dort an, verbrachte Zeit in den Werken, aber auch in der Kantine. Die früheste Serie in der Ausstellung stammt von 1984: junge Menschen in der vormilitärischen Ausbildung. Man sieht Drill, man sieht aber auch die komödiantische Schludrigkeit, mit der sich die Jugend den Pflichtübungen ergab. Schlechtsitzende Käppis, Turnschuhe statt Stiefel, mühsam unterdrücktes Grinsen. Stille Rebellion.

Christina Glanz kannte den Betrieb und seine Menschen gut. 

© Andreas Klaer

Entlassungsbriefe in Lauchhammer

Die widersprüchliche Welt, die sich in jedem Gesicht auftut, wenn man nur genau genug hinschaut, ist das große Thema von Christina Glanz. Ab 1991, als sich die Abwicklungen abzeichnen, ist sie intensiver vor Ort, erstmals auch in produzierenden Brikettfabriken. Sie fotografiert Männer bei der schweißtreibenden Arbeit, Frauen mit Kopftüchern bei der Zigarettenpause. Müde, aber mit lackierten Nägeln und Schalk im Blick.

Das Porträt eines Kohlearbeiters.

© Andreas Klaer

In einer raumhohen Installation wird in Potsdam auch deutlich, was die Schwarzweiß-Fotos nicht zeigen: Wie viel Farbe es damals gab. In den Kopftüchern der zahlreichen Frauen. Christina Glanz hat deren Tücher gesammelt.

Und sie ist mit der Kamera dabei, als im Januar 1993 die Arbeiter:innen der Brikettfabrik 64 ihre Kündigungen erhalten. Es spricht für das Vertrauensverhältnis zur Fotografin, wie viele sich in diesem empfindlichen Moment mit dem Brief porträtieren lassen. Es waren spontane Aufnahmen, sagt Christina Glanz. Ernste, gefasste, nur leise zweifelnde Gesichter. Manche trotzig. Die letzten Spuren der Anlagen verschwanden mit der offiziellen Schließung am 21. Oktober 1994.

Wo einst die Arbeiterinnen und Arbeiter saßen.

© Andreas Klaer

Wer Gründe dafür sucht, dass die AfD in Brandenburg ein so leichtes Spiel hat, kann in dieser Ausstellung fündig werden. Aber das Frappierende beim Betrachten der Fotos ist etwas anderes. Wie wenig hier über Klischees oder politische Trends oder überhaupt Verallgemeinerung zu finden ist. Sie erinnert daran, dass die Wirklichkeit immer ein konkretes Gesicht, eine konkrete Geschichte hat.

Die jüngste Serie zeigt die Lauchhammer Jugend 2004. Die Kinder derer, die zehn Jahre zuvor ihre Arbeit verloren haben. Eine Gruppe von Teenagern, mit Bier und Kapuzenpullis. Rasierte Köpfe, Palästinensertücher. Auch ein Junge, vielleicht sechs, mit Cola-Dose.

Christina Glanz kennt seine Mutter. „Sie hat zu kämpfen.“ Der Blick des Sohnes sieht suchend aus, aber so wie er dasteht, findet Christina Glanz: Er steht im Leben. Was er heute wohl macht? Sollte Christina Glanz die Förderung zusammenbekommen, könnte es eine Fortsetzung der Lauchhammer-Saga ins Heute geben.

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