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Rani Khedira (links) ist bei Union unersetzlich.

© IMAGO/MIS

Er spielt immer: Rani Khedira ist Unions Gleichgewichtsspieler

In Augsburg ließen sie den defensiven Mittelfeldspieler gehen, aus der Mannschaft des 1. FC Union ist er nicht wegzudenken. Seine vier bisherigen Derbys gegen Hertha hat Khedira alle gewonnen.

Das Spiel zwischen dem 1. FC Union und Hertha BSC am Samstag als Familienderby im Hause Khedira zu bezeichnen, wäre wohl etwas übertrieben. Aber für Gesprächsstoff dürfte gesorgt sein bei Rani, Leistungsträger in Köpenick, und Sami, der seine große Karriere nach Stationen bei Real Madrid und Juventus Turin in Westend ausklingen ließ.

Erfahrung mit dem Berliner Stadtduell haben beide Brüder – und verloren haben sie nie. Im April 2021 holte Sami mit Hertha ein 1:1, Rani hat sogar eine blütenweiße Derbyweste. Seit seinem Wechsel vom FC Augsburg vor anderthalb Jahren hat Union alle vier Duelle mit Hertha gewonnen.

Wie wichtig der jüngere Khedira für Union ist, lässt sich schon an seiner Einsatzstatistik ablesen. In seinen anderthalb Jahren in Köpenick hat er nur drei Bundesliga-Spiele verpasst, gegen Fürth (0:1), Dortmund (0:3) und Freiburg (1:4) enttäuschte die Mannschaft auf ganzer Linie. Seine Bedeutung geht aber weit über diese Zahlen hinaus und erschließt sich nur bei genauer Betrachtung. Denn der 28-Jährige ist keiner für Tore, Vorlagen oder spektakuläre Dribblings.

Sami Khedira ließ seine Karriere 2021 bei Hertha BSC ausklingen.

© Imago/Matthias Koch

„Mein Spielertyp läuft etwas unter dem Radar“, sagte er kürzlich in einem Interview mit dem „Kicker“, und dieses Gefühl hat auch sein Trainer. „Er macht es dem Gegner mit seinem Raumgefühl schwer, in die Vertikale zu kommen, und ist unser Gleichgewichtsspieler“, sagte Urs Fischer. „Das nimmt man als Zuschauer vielleicht nicht immer so wahr, weil man vor allem die Aktionen mit Ball oder die Zweikämpfe sieht.“

Auch in der Spieleröffnung sei Khedira sehr wichtig, weil er sich immer wieder anbiete und es der Mannschaft damit ermöglicht, die erste Linie zu überspielen.

In der Rolle als Stabilisator ist er für die Berliner unverzichtbar. Denn auch wenn Union viele Spieler für das zentrale Mittelfeld im Kader hat, gab es keine echte Alternative zu Khedira. Als Sechser war er allein unter Achtern. Auch deshalb hat Union am Freitag noch einmal auf dem Transfermarkt zugeschlagen und sich mit dem tunesischen WM-Teilnehmer Aissa Laidouni verstärkt. Der 26-Jährige kommt von Ferencvaros Budapest und kann auch im defensiven Mittelfeld spielen.

Das Gefühl für die Balance und die Intuition bei der Absicherung machen ihn zu einem überdurchschnittlichen Bundesligaspieler, der zwar nicht die Qualitäten am Ball und die Torgefahr seines älteren Bruders hat, es trotzdem in das erweiterte Blickfeld von Bundestrainer Hansi Flick geschafft hat.

Khedira ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie es dem Duo Ruhnert/Fischer immer wieder gelingt, die Mannschaft mit unspektakulär klingenden Transfers auf ein neues Niveau zu heben. Spieler, die zuvor im besten Fall als Bundesligadurchschnitt galten, blühen bei Union reihenweise auf.

Augsburg ließ Khediras Vertrag auslaufen

Der Lohn ist ein immer noch surreal klingender zweiter Platz nach der Bundesliga-Hinrunde. Erfolg weckt natürlich auch Begehrlichkeiten. Im vergangenen Herbst kursierten sogar Gerüchte, der FC Barcelona sei an Khedira interessiert.

Vor anderthalb Jahren war er davon mindestens so weit entfernt wie das wintergraue Köpenick von katalanischer Sonne. Der FC Augsburg ließ den Vertrag des defensiven Mittelfeldspielers im Sommer 2021 auslaufen und zumindest in Berliner Fankreisen wurde die Verpflichtung nicht sonderlich enthusiastisch aufgenommen. Das hatte mit Khediras Leipziger Vergangenheit zu tun, aber vor allem mit Zweifeln an seinen Qualitäten. Diese erschließen sich schließlich nicht über Highlight-Videos oder Statistiken.

Doch Khedira brauchte nicht lange, um sich in die Herzen der Anhänger zu arbeiten. Er war von Beginn an ein wichtiger Faktor bei Union, hat sich seitdem aber noch deutlich weiterentwickelt. Im Spiel mit dem Ball, bei der Entscheidungsfindung unter Druck. Nur der Torabschluss wird wohl niemals eine Stärke des gebürtigen Schwaben werden.

„Wir wollen die Woche vergolden“

Das Scouting und die Spielerentwicklung sind einer der Hauptgründe, warum Union in den dreieinhalb Saisons seit dem Aufstieg in die Bundesliga 58 Punkte mehr geholt hat als Hertha. Der Stadtrivale hat in dieser Zeitspanne mit den Windhorst-Millionen hochgehandelte Spieler wie Lucas Tousart, Krzystof Piatek, Suat Serdar und Dodi Lukebakio geholt. Abgesehen vom Belgier – allerdings im zweiten Anlauf – haben sie die hohen Erwartungen nicht oder nur ansatzweise erfüllen können.

Bei Union spielen hingegen reihenweise Profis der Kategorie Khedira, Robin Knoche und Frederik Rönnow, die in ihren vorherigen Klubs mehr oder weniger aufs Abstellgleis geraten waren – von einem Kevin Behrens ganz zu schweigen. Im Gegensatz zu Hertha hat Union einen bemerkenswerten Lauf und ein leistungsförderndes Umfeld, das selbst Spätstarter vom SV Sandhausen wie selbstverständlich in respektable Bundesliga-Stürmer verwandelt.

Dass die Situation beim kommenden Gegner brisant ist, wissen sie bei Union natürlich. „Hertha hatte keinen guten Start ins Jahr 2023“, sagte Khedira nach dem Sieg in Bremen am Mittwoch. „Aber wir müssen weiter auf uns schauen und hungrig bleiben.“

Nach den beiden Erfolgen zum Wiederbeginn der Bundesliga könnte sich Union dem Saisonziel der 40 Punkte bereits auf vier Zähler nähern. „Wir wollen die Woche vergolden“, sagte Khedira – und wie ginge das besser als mit einem weiteren Derbysieg.

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