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Und raus bist du. Trainer Pal Dardai schickt Ivan Sunjic in die Kabine.

© imago/Matthias Koch/IMAGO/Sebastian R√§ppold/Matthias Koch

Pal Dardai setzt bei Hertha BSC ein Zeichen: „Verpiss dich! Tschüss! Tschüüühüss! Ciao!“

Am Tag nach dem 2:4 gegen Werder schickt Herthas Trainer Dardai Ivan Sunjic mit derben Worten vom Trainingsplatz. Es ist der verzweifelte Versuch, das lethargische Team aufzurütteln.

Ivan Sunjic blieb stehen und schaute sich noch einmal um. Es wirkte so, als wollte er sich noch einmal vergewissern, ob sein Trainer das wirklich ernst gemeint hatte. „Was denkst du hier?“, hatte Pal Dardai zu ihm gesagt, und das in einer solchen Lautstärke, dass es auch bei den Zuschauern am anderen Ende des Trainingsplatz gut zu verstehen war. „Geh weg! Tschüss!“

Ja, es war ernst gemeint. Dardai, der Trainer von Hertha BSC, legte noch einmal nach, als er feststellte, dass Sunjic auf halbem Weg in die Kabine stehen geblieben war. „Verpiss dich hier!“, rief der Ungar nun. Und begleitete seine Worte mit einer entsprechenden Handbewegung. „Tschüss. Tschüüühüss. Tschüss. Tschüss. Tschüss. Ciao.“ Sunjic trollte sich.

Fünf Spieltage sind es noch, bis die Saison in der Fußball-Bundesliga endet, und Hertha BSC ist spätestens am Samstag, bei der 2:4-Niederlage gegen Werder Bremen im eigenen Stadion, endgültig in einer Situation angelangt, in der jemand ein Zeichen setzen muss. Und da die Spieler (bis auf ganz wenige Ausnahmen) dazu offenkundig nicht in der Lage sind, hat der neue Trainer das übernommen.

So verzichtete Dardai bei seiner Rückkehr auf die Trainerbank auf Stürmer Wilfried Kanga, die teuerste Verpflichtung dieser Saison. „Seine Körpersprache war nicht genug“, erklärte der Ungar, warum es bei Kanga nicht für eine Platz im Kader gereicht hatte. Und am Morgen nach der Niederlage gegen die Bremer, im Training der Reservisten, erwischte es dann Ivan Sunjic.

Wenn einer nicht mitzieht, dann muss ich auch leider andere Entscheidungen treffen.

Pal Dardai, Herthas Trainer, unmittelbar, bevor der Ivan Sunjic in die Kabine schickte

Disziplinlosigkeit lautete nach der Einheit die offizielle Erklärung. Bei der kurzen Ansprache des Trainers nach dem Aufwärmen hatte sich der Kroate offenbar zu Wort gemeldet und dadurch Dardais Wutausbruch ausgelöst.

Sunjic fehlte gegen Bremen ebenfalls im Kader. In der Startelf stand er zuletzt Ende Januar, seitdem wurde er noch drei Mal eingewechselt und blieb fünf Mal auf der Bank sitzen. Seine sportliche Bedeutung tendiert also längst gegen null. Dass Dardai sich Sunjic rauspickte, deutet darauf hin, dass es sich um eine kalkulierte Aktion mit möglichst großer Öffentlichkeitswirksamkeit gehandelt hatte.

Es war ein kurzer Frühling für Hertha BSC

Zumal Herthas Trainer sie in der Medienrunde unmittelbar vor dem Training schon indirekt vorbereitet hatte. „Wenn einer nicht mitzieht, dann muss ich auch leider andere Entscheidungen treffen“, hatte er da gesagt. Und auch: „Wenn einer komisch guckt, dann haben wir schon Probleme.“

Die Zeiten sind nun mal ungemütlich. Und nach dem Debakel gegen Werder sind sie für Hertha sogar noch ungemütlicher als befürchtet. Während am Samstag bis zum Anpfiff noch eitel Sonnenschein herrschte, kehrte über Nacht die Tristesse zurück. Im wörtlichen ebenso wie im übertragenen Sinne. Der Berliner Frühling ist in diesem Jahr denkbar kurz ausgefallen. Und ob er für Hertha überhaupt noch einmal zurückkehren wird, ist mehr als fraglich.

Nach heute bin ich ein bisschen ohne Energie. Und ich habe immer viel Energie, bin immer positiv.

Herthas Mittelfeldspieler Kevin-Prince Boateng nach der Niederlage gegen Bremen

So etwas habe er in seiner langen Karriere noch nicht erlebt, sagte Mittelfeldspieler Kevin-Prince Boateng nach dem Auftritt gegen Werder. „Nach heute bin ich ein bisschen ohne Energie. Und ich habe immer viel Energie, bin immer positiv.“ Den Fans ging es ähnlich. Sie wirkten nach dem Schlusspfiff eher resigniert als wütend.

Sie hatten so sehr gehofft, dass Dardai, die Vereinslegende, es auch beim dritten Mal wieder hinbekommen würde. Aber es scheint, als sei der alte Zauber verflogen. Oder die Mannschaft irgendwie immun dagegen. Bei seinen bisherigen Debüts hatte der Ungar immer ein glückliches Händchen bewiesen.

2015 zauberte er Marvin Plattenhardt quasi aus dem Nichts hervor; 2021 holte er Rune Jarstein als Torhüter zurück. Gegen Werder nun ließ er Marco Richter auf der Zehn spielen. „Das war der Wunsch von Marco“, erklärte Dardai. „Er sieht sich als Zehner. Wenn so ein Führungsspieler sich das zutraut, kann man es versuchen.“ Aber es funktionierte nicht.

Berliner Tristesse. Hertha bleibt nach dem 2:4 gegen Werder Tabellenletzter.
Berliner Tristesse. Hertha bleibt nach dem 2:4 gegen Werder Tabellenletzter.

© imago/Matthias Koch/IMAGO/Sebastian Räppold/Matthias Koch

Es funktionierte vieles nicht. Geradezu abstrus war das Abwehrverhalten der Berliner. „Wir haben nicht das Tor verteidigt. Keine Ahnung, was wir verteidigt haben“, sagte Dardai. „Da sind falsche Automatismen ohne Ende drin. Das ist unglaublich.“

Es schien, als machte jeder, was er wollte oder was ihm gerade in den Sinn kam. Es gab zwar einen gemeinsamen Plan, aber er wurde von den Spielern einfach ignoriert. „Für mich ist das ein bisschen Kindergarten“, sagte Dardai.

In der Pause reagierte er und ließ sein Team nun mehr oder weniger Mann gegen Mann spielen. „Eins gegen eins haben sie die Sache sehr ordentlich gemacht“, fand Herthas Trainer. „Aber gemeinsam funktioniert es hier irgendwie nicht.“

Zwanzig Minuten dauerte die Medienrunde am Tag nach dem Spiel. Und wenn man einige von Dardais Aussagen, ohne den weiteren Kontext, aneinanderschneiden würde, dann ergäben sie ein Dokument des Scheiterns und der Resignation: „Die Jungs machen bei Standardsituationen gar nichts von dem, was die Trainer aufschreiben.“ – „Wenn du ehrlich bist: Es ist seit Jahren so, dass sie nicht so diszipliniert und so fokussiert sind. Warum soll der Ball dann reingehen?“ – „Ich kenne die Jungs. Die sind wirklich nett und die wollen. Aber Teamgeist sehe ich nicht.“

8
oder 9 Punkte braucht Hertha nach Dardais Rechnung noch für die Rettung.

Die Aufgabe für den neuen Trainer ist anspruchsvoller als gedacht, weil die Verunsicherung in der Mannschaft tiefer sitzt als erhofft. Im Grunde muss Dardai, dem nur sechs Wochen für die Rettung bleiben, bei null anfangen, bei vermeintlichen Selbstverständlichkeiten, den fußballerischen und taktischen Basics. Sein Ziel für die nahe Zukunft: Man müsse die Spieler mitten in der Nacht wecken können, und „ihr erster Gedanke soll sein: gemeinsam.“

Den Gedanken, der Mannschaft zwei Tage freizugeben, da das nächste Spiel erst am kommenden Sonntag ansteht, hat Dardai daher verworfen. Es gebe einfach zu viel zu tun. Und: „Es geht nicht um irgendwas. Es geht ums Überleben.“ Er könne auch nicht mehr hören, wie toll der Kader sei und was für nette Jungs das alles seien. „Du kannst auch labern und Dinge erzählen, wie toll und schön alles ist“, sagte Dardai. „Aber das ist Quatsch! Es gibt Ergebnisse, und die sind nicht gut. Und das schon lange.“

So ernüchternd die Lage als Tabellenletzter auch sein mag, scheinbar aussichtlos mit dem unangenehmen Auswärtsspiel bei den Bayern vor der Brust: Der Klassenerhalt ist weiterhin möglich – vor allem natürlich, weil die Konkurrenz alles andere als übermächtig ist. Mit acht oder neun Punkten, so rechnet Dardai, könnte die Rettung gelingen. Die beiden Heimspiele (gegen Stuttgart und Bochum) müsse man gewinnen, dazu auch auswärts noch was holen.

Vielleicht, so Dardai, habe die Riesenklatsche gegen Bremen auch etwas Gutes gehabt – falls nämlich bei den Spielern der Frust rauskomme und dies dazu führe, dass sie anfingen zu fighten. „Wenn alle fokussiert sind und alle mitmachen, dann ist es eine machbare Aufgabe“, sagte Pal Dardai. „Ob ich es hinbekomme, das ist eine andere Frage.“

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