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Der Dirigent. Tolga Cigerci ist erst seit wenigen Wochen zurück bei Hertha BSC und doch schon so etwas wie der Chef auf dem Platz.

© IMAGO/Contrast

Tolga Cigerci überzeugt bei Hertha BSC: Gerade erst da und schon der Chef

Die Euphorie hat sich bei der Verpflichtung von Tolga Cigerci in Grenzen gehalten. Inzwischen aber erhält Herthas Mittelfeldspieler viel Lob für seine Auftritte.

Bei seinem Startelfdebüt für Hertha BSC hätte es für Tolga Cigerci kaum besser laufen können. Mit ihm hat der Berliner Fußball-Bundesligist vor drei Wochen im fünften Versuch den ersten Sieg im Jahr 2023 errungen. Noch dazu war Cigerci beim 4:1 gegen Borussia Mönchengladbach an zwei Toren seiner Mannschaft beteiligt.

Dass in den offiziellen Statistiken nur ein Assist auftaucht, ist auf den ersten Blick ein bisschen unfair. Lediglich Cigercis profaner Querpass auf Marton Dardai, den Schützen zum 2:1, wurde als Vorlage gezählt. Der formvollendete Hackentrick auf Marco Richter hingegen, die Vorlage zur Vorlage zum 1:1, ging leider nicht in die Wertung ein.

Auf den zweiten Blick aber ist das schon okay so. Der Assist zu Herthas mag nicht allzu schwierig und spektakulär gewesen sein. Trotzdem wäre der Führungstreffer ohne Cigercis Zutun nie zustande gekommen.

Wer sich seine Entstehung noch einmal genauer anschaut, wird erkennen, warum Cigerci schon nach wenigen Spielen so wichtig für seine Mannschaft geworden ist. In den 70 Sekunden vor Herthas 2:1 flippert das Spiel ein wenig unkontrolliert hin und her. Gleich fünfmal in diesen 70 Sekunden scheinen die Gladbacher den Ball unter Kontrolle zu haben; gleich fünfmal verlieren sie ihn sofort wieder. Und jedes Mal verlieren sie ihn an Tolga Cigerci.

Man kann nicht behaupten, dass die Reaktionen allzu euphorisch waren, als Hertha am sogenannten Deadline Day die Verpflichtung des 30 Jahre alten Mittelfeldspielers verkündet hat. Cigerci, der schon von 2013 bis 2016 für die Berliner gespielt hatte, war nach Stationen bei Galatasaray und Fenerbahce beim türkischen Mittelklasseverein Ankaragücü gelandet. Vielen klang das schon nach der Vorstufe für ein gemütliches Karriereende.

Von wegen. Bei Hertha sind sie längst voll des Lobes für ihren Neuen. Dass die taumelnde Mannschaft sich zuletzt gefangen hat, wird zwar vor allem mit der Umstellung der Grundordnung in Verbindung gebracht. Aber in der Pause des Spiels bei Eintracht Frankfurt hat Trainer Sandro Schwarz eben nicht nur das System geändert, sondern auch Tolga Cigerci eingewechselt.

Er redet viel, dirigiert viel, ist ein guter Stratege. Von der Sorte Spieler haben wir nicht viele.

Stefan Kuntz, türkischer Nationaltrainer, über Tolga Cigerci

Seitdem spielt Cigerci im 3-5-2 als alleiniger Sechser vor der Abwehr. Auch an diesem Sonntag, wenn Hertha bei Bayer Leverkusen antritt (15.30 Uhr, live bei Dazn), wird das wieder so sein.

Cigerci ist derzeit unantastbar. Eine große Offenheit bescheinigt Herthas Trainer seinem Neuzugang, eine große Überzeugung. Schon im ersten Training habe man das gespürt. „Diese Ausstrahlung, die er hat, aber auch die Qualität auf dem Platz, die tun uns als Mannschaft extrem gut“, sagt Schwarz. „Er ist ein Spieler mit einem sehr hohen Verantwortungsbewusstsein.“

Comeback nach sechs Jahren. Stefan Kuntz hat Cigerci im Herbst zurück ins türkische Nationalteam geholt.
Comeback nach sechs Jahren. Stefan Kuntz hat Cigerci im Herbst zurück ins türkische Nationalteam geholt.

© IMAGO/Seskim Photo

Als Cigerci vor zehn Jahren erstmals bei Hertha unter Vertrag stand, war er kaum minder umtriebig, aber mit Anfang 20 eben auch noch ein ziemlich junger Bursche. Die Erfahrungen, unter anderem bei den beiden Istanbuler Traditionsklubs Galatasaray und Fenerbahce, haben ihn aushärten lassen.

„Ich denke, dass ich die Situationen besser löse als früher“, sagt Cigerci selbst über seine Entwicklung. „Wenn du jung bist, willst du viele Sachen auf einmal machen. Das kann funktionieren, muss aber nicht.“ Mit dem Alter sei er cleverer und ruhiger geworden. Er könne aber, wenn nötig, auch aggressiv sein.

Cigerci bringt für die Position als Sechser viel mit: Er ist fleißig und lauffreudig, verfügt über ein gutes Spielverständnis, besitzt die nötige Zweikampfhärte, hat ein sauberes Passspiel und verliert auch das große Ganze nicht aus dem Blick. „Tolga ist einer, der viel coacht“, sagt Schwarz. „Das, was er sagt, hat Sinn und Verstand. Er redet nicht einfach nur, um irgendwas zu quatschen.“

Vielleicht stecke ich die Leute an.

Tolga Cigerci

Ein Spieler wie er hat Hertha gefehlt, gerade im zentralen Mittelfeld. Lucas Tousart, Ivan Sunjic und Suat Serdar mögen ihre Qualitäten haben; als besonders extrovertiert sind sie bisher nicht aufgefallen. „Jeder hat seinen eigenen Charakter. Wenn jemand ruhig ist, heißt das ja nicht, dass er keine Verantwortung übernimmt“, sagt Cigerci. „Ich habe einfach versucht, ein bisschen mehr zu geben. Vielleicht stecke ich die Leute an, ich weiß es nicht. Ich versuche positiv zu sein, viel mit den Spielern zu reden.“

Genau diese Qualitäten haben Cigerci im Herbst nach sechs Jahren Pause auch zu einem Comeback in der türkischen Nationalmannschaft verholfen. „Er redet viel, dirigiert viel, ist ein guter Stratege“, sagt Stefan Kuntz, der türkische Nationaltrainer, dem Tagesspiegel. „Von daher war die Einladung keine Überraschung. Von der Sorte Spieler haben wir nicht viele.“

Cigerci ist glücklich über die Rückkehr zu Hertha

Für Cigerci ist es nach eigener Aussage ein Traum gewesen, ins Nationalteam zurückzukehren. „Ich habe nie aufgegeben, und ich werde alles dafür tun, wieder eingeladen zu werden.“

Der Wechsel in die Bundesliga könnte sich dabei als durchaus förderlich erweisen. Kuntz ist gespannt, ob Cigerci auf diesem hohen Niveau seine Form stabilisieren und seine Performance noch verbessern kann. „Wir haben ihn Woche für Woche im Blick“, sagt er.

Als Cigerci Ende Januar das Angebot bekam, nach Berlin und zu Hertha zurückzukehren, da hatte er „gar nicht die Zeit, überrascht zu sein. Es ging zu schnell alles.“ Er wollte nicht zwingend in diesem Winter wechseln. Er hat sich wohlgefühlt in Ankara, und trotzdem ist er jetzt „froh und glücklich, wieder hier zu sein“.

Vielleicht auch, weil er merkt, dass sich die Dinge fügen. Für die Mannschaft, aber auch für ihn selbst. „Wir sind auf dem richtigen Weg“, sagt Tolga Cigerci. „Wir dürfen uns nur nicht ausruhen.“

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