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Fäuste, Schläge und Tritte sind im Brazilian Jiu-Jitsu verboten.

© Sascha Krautz

Viel Stadt, viel Sport: Berliner Frauen räumen im Brazilian Jiu-Jitsu ab

Dumme Sprüche, keine eigene Frauen-Umkleide – Kampfsport ist immer noch männerdominiert und von alten Stereotypen geprägt, so auch das Brazilian Jiu-Jitsu. Ein Berliner Gym kämpft dagegen an.

Um kurz vor 18 Uhr ist die Halle des Fenriz Gyms dicht gefüllt. Eine Mischung aus Schweißgeruch und Thai-Öl liegt im Raum, Boxhandschuhe prallen aneinander. In der hinteren der beiden Hallen des Fitnessstudios trifft sich wie jeden Montagabend eine Gruppe von Frauen.

Um kurz nach 18 Uhr sind die Frauen auf der Matte aufgewärmt, dann geht es los. In Zweiergruppen wenden sie unterschiedliche Techniken und Griffe aneinander an. Armhebelgriffe, Beine, die den Nacken der Gegnerin umklammern – das sind einige der Techniken, die die Frauen im Bodenkampf einsetzen.

Die Anzüge mit dazugehörigen Gürteln verleihen dem Ganzen zunächst den Anschein, als handele es sich hierbei um Judo. Was Sinn ergibt, denn der Kampfsport, der auf der Matte ausgeführt wird, ist eine Abwandlung der japanischen Kampfkünste Judo und Jiu-Jitsu – das Brazilian Jiu-Jitsu, kurz BJJ. Ein Kampfsport, der vielen in Deutschland noch unbekannt ist.

Im Gegensatz zum Judo liegt der Schwerpunkt beim BJJ hauptsächlich auf dem Bodenkampf. Gestartet wird der Kampf zwar im Stand, nach dem sogenannten „Takedown“, einer Technik, mit welcher der Gegner zu Boden gebracht wird, wird der Kampf dann auf dem Boden fortgesetzt.

„Es gibt zwei Wege, wie man einen BJJ-Kampf gewinnen kann“, erklärt Darina Goldin, Trainerin der Frauengruppe. „Entweder durch einen Aufgabegriff, auch Submission genannt“ – das sind BJJ-Techniken und Griffe, die den Gegner zum Aufgeben bringen. Der andere Weg zum Erfolg liegt im Gewinnen von Punkten, sofern keiner der Beiden im Laufe des Kampfes aufgibt. Punkte erhält man durch Verbesserung seiner Position während des Kampfes.

Das Verletzungsrisiko im BJJ ist im Vergleich zu anderen Kampf- und Sportarten gering, sagt Goldin. „Gekämpft wird ohne Fäuste, Schläge oder Tritte. Verboten ist außerdem alles, was unsportlich ist, wie ins Auge piksen oder das Hebeln einzelner Finger.“

Jeden Montag um 18 Uhr trainiert Darina Goldin die wettkampforientierte Frauengruppe, von ihr getauft als „Fight Club“. „Das ist etwas Besonderes“, sagt die 39-Jährige. Frauentrainings gebe es zwar in vielen Kampfsport-Gyms, diese seien jedoch fast ausschließlich auf Anfängerniveau. „Bei uns dürfen Anfängerinnen aus Sicherheitsgründen gar nicht erst mitmachen“, sagt Goldin, die die Trainingsgruppe vor etwa zwei Jahren gründete, um Frauen bei der Wettkampfvorbereitung zu unterstützen.

Bei uns dürfen Anfängerinnen aus Sicherheitsgründen gar nicht erst mitmachen.

Darina Goldin, Fight-Club-Trainerin

Dass vielen Frauen im Kampfsport noch einige Hindernisse im Weg stehen, das ist Goldin bewusst. „Es fängt bereits bei den kleinen Dingen an. Etwa dass viele Gyms keine Frauenumkleide haben“, sagt sie. Männer, die oben ohne herumlaufen, dumme Sprüche, Situationen, in denen man sich als Frau unwohl fühlt – das alles hat Goldin häufig miterlebt.

All das sind Dinge, gegen die das Fenriz Gym stark ankämpft, sagt Robert Schulz, Geschäftsführer der Berliner Kampfsportschule. „Wir wollen, dass der Ort ein Safe Space für alle ist“, sagt er. Seit Gründung des Gyms sei das Fehlen von Diskriminierung ein großes Anliegen gewesen. „Wir sind international, bilingual und Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern trainieren hier.“

Ursprünglich wurde das Fenriz Gym 2010 mit dem Schwerpunkt Mixed Martial Arts (MMA) gegründet. Mit der Zeit erweiterte sich das Sportangebot, erklärt Schulz. Von Boxen, Muay Thai bis hin zum Ringkampf oder Yoga – die Auswahl an Kursangeboten ist groß. Damit zählt das Fenriz Gym in Deutschland zu einem der größten seiner Art.

Wir wollen, dass der Ort ein Safe Space für alle ist.

Robert Schulz, Geschäftsführer vom Fenriz Gym

Auch das Brazilian Jiu-Jitsu ist ein populärer Kampfsport im Fenriz Gym. Besonders die Berliner Frauen erzielten im vergangenen Jahr große Erfolge. Drei Frauen im Gym sind Teil der Grappling-Nationalmannschaft – Grappling ist der Oberbegriff für Kampfsportarten, die auf Hebel, Würfe und Aufgabegriffe aufbauen. Bei den World Combat Games in Riad (Saudi-Arabien), einer seit 2010 ausgetragenen großen internationalen Veranstaltung für Kampfsportarten, konnte die Frauengruppe 2023 drei Medaillen mit nach Hause nehmen. Ein Jahr zuvor wurde Darina Goldin die erste deutsche BJJ-Weltmeisterin jemals.

Im internationalen Vergleich hängt Deutschland hinterher

Und trotzdem: „Deutschland hängt im BJJ leider hinterer“, sagt Goldin. In den USA kenne fast jeder den Kampfsport, als Profi könne man auch von dem Sport leben. „Hier sieht das anders aus. Neben teilweise zwanzig Stunden Training die Woche müssen wir ganz normal zur Arbeit gehen.“ Goldin arbeitet als Data Scientist in Berlin. „Trainieren gehe ich so oft ich kann, vor, nach, manchmal sogar zwischen der Arbeit.“

Am Montag im Fight Club trainiert Goldin nicht selbst, sondern steht als Trainerin auf der Matte. In einem Sieben-Minuten-Kampf muss eine der Frauen abwechselnd gegen alle anderen kämpfen, die nacheinander eingewechselt werden. „Das ist besonders hart“, erklärt Goldin, „zum Ende des Trainings ist man mit seinen Kräften körperlich am Ende. Man kämpft also unter den härtesten Voraussetzungen.“

Während eine der Frauen seitlich auf dem Rücken ihrer Gegnerin liegt und dabei versucht, ihre Beine um ihre Gegnerin zu schlingen, schauen alle im Raum gebannt zu. Anna-Fee Schuller guckt von der Mattenseite aus zu. Seit fünf Jahren macht sie Brazilian Jiu-Jitsu.

„Für mich ist es ein absoluter Skill-Sport“, sagt sie, während sie fasziniert den Kampf verfolgt. Eine gute Selbstbeherrschung, Taktik und Technik sind bei dem Sport essenziell. „Dieser Skill wächst nur über Jahre hinweg. Man kann keine Schritte überspringen und kann eigentlich immer etwas Neues lernen“ – genau das mag sie so an dem Kampfsport.

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