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Dagegen. Mehrere tausend „Pegida“-Gegner blockieren am Montagabend den Weg von ein paar hundert „Bärgida“-Demonstranten. Die wollten zum Brandenburger Tor – kamen aber nicht weit.

© imago/Markus Heine

Zehntausende auf den Straßen: Was treibt die Anti-"Pegida"-Demonstranten?

„Man muss sich klar bekennen“, sagt er und meint: gegen „Pegida“. Deswegen geht er, gehen Zehntausende auf die Straße. In Berlin und Dresden, in München und Köln. In der Hoffnung, die Ausländerfeinde zurückzudrängen. Schritt für Schritt.

Nass, dunkel, kalt. Im Regen, mitten auf der Kreuzung vor dem Roten Rathaus in Berlin, steht ein Mann mit Fellmütze und Gehstock. „Man muss sich klar bekennen – zum Helfen, gerade wenn andere fordern, die Schwachen im Stich zu lassen.“ Der Mann heißt Herr Hermann und ist einer von Zehntausenden, die am Montagabend in deutschen Städten gegen „Pegida“ demonstrieren.

Über die Männer und Frauen von „Pegida“ ist viel gesagt worden – über ihre Sorgen vor der angeblichen Islamisierung des Abendlandes, die sich meist als plumpe Vorurteile gegen Einwanderer entpuppten, über ihre Angst vor Fremden, die sich auch als Hass artikuliert hat. Doch wer sind diejenigen, die gegen „Pegida“ auf die Straße gehen?

Neben Herrn Hermann stehen drei Lehrerinnen, eine Antifa-Gruppe, zwei Berliner Abgeordnete der Linken und ein Kindergärtner mit seiner Tochter. Sprechchöre, Luftballons, Fahnen. Der Widerstand gegen „Pegida“ ist – ganz sprichwörtlich – bunt. Linksradikale sind da und Bundesjustizminister Heiko Maas, Frauen eines Kirchenchors und eine iranische Akademikerfamilie aus Schöneberg, die einst ausgerechnet vor den Mullah-Islamisten geflohen ist.

Warum steht Herr Hermann mit tausenden anderen bei fast null Grad und Nieselregen auf der Straße? In einer Stadt, in der die Rechten gerade mal 400 Leute mobilisieren konnten. Linke, Grüne, SPD und Kirchen hatten zu Anti-„Pegida“-Protesten aufgerufen – gehört er dazu? „Eigentlich nicht“, sagt Herr Hermann. „Mit Politik habe ich vor 25 Jahren abgeschlossen.“ Nach der Wende habe er, Ost-Berliner, sich auf die Datsche im Umland zurückgezogen. Zuvor war er, Schlosser, in die Arbeitslosigkeit entlassen worden, verbittert, enttäuscht. Nun, mit schneeweißem Haar und 79 Jahren, geht er doch demonstrieren. Die Kanzlerin habe „mal was Vernünftiges“ gesagt. Erst nach ihrer Neujahrsansprache, in der sie die Deutschen aufrief, „Pegida“ nicht zu folgen, hat sich Herr Hermann aufgerappelt.

Mit dem neuen Deutschland habe er sich ausgesöhnt: „Vergleichsweise wenig Kriminalität, vergleichsweise wenig Armut.“ Da könne man teilen, auch mit Wirtschaftsflüchtlingen. „Und überhaupt“, sagt Hermann. „Der Westen finanziert dort Kriege, deren Flüchtlinge dann eben in den Westen fliehen.“ Ein bisschen hört es sich so an, als wolle er den Kapitalismus nur akzeptieren, wenn der bereit ist, Flüchtlinge mit zu versorgen.

5000 Gegendemonstranten stehen am Roten Rathaus

Am Roten Rathaus blockiert Herr Hermann mit 5000 Linken, Grünen und Sozialdemokraten den Weg für die Berliner „Bärgida“-Demo: Die wollen zum Brandenburger Tor, ziehen aber nach drei Stunden Stillstand ab. Kein „Pegida“-Unterstützer hat es zum Wahrzeichen der Stadt geschafft, wo zudem schon 1000 Gegendemonstranten warten. Trotzdem geht am Brandenburger Tor kurz nach 19 Uhr das Licht aus – die Senatskulturverwaltung hatte dies noch am Montag beschlossen. Die Idee dazu kam von Ramona Pop, der Grünen-Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus. In einem morgendlichen Radio-Interview verwies sie auf den Kölner Domprobst, der das Licht der Kathedrale ebenfalls ausschalten lasse. Eine Rechtsgrundlage brauchte die Senatskanzlei nicht. Es gibt keine Vorschrift, die eine zeitweise Verdunklung verbietet. Penibel geregelt ist im Straßengesetz nur, wo und warum das Licht eingeschaltet wird. Bei einer behördlich angeordneten Finsternis muss lediglich die Sicherheit im öffentlichen Raum gewährleistet bleiben.

Einige der Demonstranten direkt vor dem Tor jubeln, als das Licht ausgeht, andere wundern sich. Ein junger Vater – Platzwart aus Wedding und Alevit – fragt: „Hat das die Stadt angewiesen?“ Der Kölner Dom gehöre der Kirche, das Brandenburger Tor aber dem Staat: Und sollte der nicht neutral sein?

Sozialwissenschaftler äußern sich nur ungern, inwiefern mit „Pegida“ und „Anti-Pegida“ zwei Bewegungen entstanden sind, die in der Politik des Landes noch in Monaten oder Jahren eine Rolle spielen könnten. Sind die Einwanderungsgegner von Dresden, Berlin & Co. die deutsche Tea Party – radikalisierte Kleinbürger? Oder werden sich die Proteste schnell zerlegen?

Gideon Botsch, Politologe am Moses-Mendelssohn-Zentrum in Potsdam, kennt sich mit Ressentiments – gerade aus der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft – aus. Er hatte 2009 ein Gutachten über die Äußerungen des langjährigen Finanzsenators Thilo Sarrazin verfasst: Der SPD-Mann hatte über „kleine Kopftuchmädchen“ und die fehlende Produktivität der Muslime gesprochen. „Bei den ,Pegida’-Märschen wird die geistige Provinz mobilisiert“, sagt Botsch. „Die beschwört einen Zustand, den es so nicht mehr gibt.“ Im einst deutschen Wirtshaus an der Ecke koche eben seit Jahren ein Italiener. Doch Botsch geht davon aus, dass die „Pegida“-Initiatoren bald mehr bräuchten als Ressentiments: Eine stabile Bewegung würde aus den Protesten erst, wenn es klare Ziele gebe, diffuse Einwandererfeindschaft reiche nicht.

Die Stimmung sei aber schon lange da, sagen Rassismusforscher, sie materialisiere sich nun bloß. Womöglich spiele die große Koalition insofern eine Rolle, als dass sie der Parlamentsopposition wenig Spielraum lasse. Und anders als in Belgien, Frankreich, Österreich, Italien, selbst Großbritannien und Dänemark, gab es hier bislang kein starkes, rechtspopulistisches Angebot.

Herr Hermann, vom Engagement beseelt, will am Dienstag wieder auf der Straße sein. Rechte wollen gegen ein geplantes Flüchtlingsheim am Berliner Stadtrand demonstrieren – dort, wo Hermann wohnt: „Geh’ ich hin, für die Flüchtlinge!“

In Dresden riefen Musiker zum "Frühjahrsputz"

Dagegen. Mehrere tausend „Pegida“-Gegner blockieren am Montagabend den Weg von ein paar hundert „Bärgida“-Demonstranten. Die wollten zum Brandenburger Tor – kamen aber nicht weit.
Dagegen. Mehrere tausend „Pegida“-Gegner blockieren am Montagabend den Weg von ein paar hundert „Bärgida“-Demonstranten. Die wollten zum Brandenburger Tor – kamen aber nicht weit.

© imago/Markus Heine

Über den Postplatz, da wo Dresdens Lieblichkeit auf Nachkriegs- und Nachwendebauten trifft, schallt am Montagabend Reggae, Ausländermusik. Sie knallt gegen die Fassaden von Zwinger, Taschenbergpalais und Bürohäusern, weht über die wippenden Köpfe von 3700 Menschen. Besen, Klobürsten, Zahnbürsten, Wischmops werden in den Himmel gereckt, denn dies hier ist der Anfang des „Dresdner Neujahrsputzes“, der Gegenveranstaltung zum „Pegida“-Spaziergang. Aufgerufen dazu haben zwei Bands aus der Stadt. Yellow Umbrella, eine davon, steht auf der Ladefläche eines Miet-Lkw und macht die Musik. Der Strom für die Lautsprecher kommt aus dem Schauspielhaus dahinter. An dessen Fassade wirbt ein Transparent „Für ein weltoffenes Dresden“.

Die Idee für den Neujahrsputz entstand eine Woche zuvor am Küchentisch von Michal Tomaszewski, der nun am Telefon von der Demo erzählt. Freunde waren zu Besuch gewesen, aus dem Dresdner Kulturbetrieb, Theater, Tanz, Musik, aus Syrien. Alle einte so etwas wie Unmut darüber, dass am Montag „Pegida“ wohl zum ersten Mal unwidersprochen durch Dresden ziehen würde. Die Bündnisse, die in den Wochen zuvor Gegenveranstaltungen organisiert hatten, schienen ausgelaugt.

Die Demo sei ein Desaster für die Stadt, sagen die Musiker

Die Runde am Küchentisch war sich einig, dies sei ein Desaster für ihre Stadt. Fast überall in Deutschland, wo „Pegida“-Ableger Veranstaltungen anmeldeten, sei der Protest dagegen ungleich größer gewesen. Nur ausgerechnet hier sollte „Pegida“ nichts mehr entgegengesetzt werden?

„Dresden ist diesbezüglich auf der dunklen Seite des Mondes“, sagt Tomaszewski. Irgendwann an jenem Abend sei dann „die Besengeschichte auf den Tisch“ gekommen, und alle fanden sie gut. Bisschen verachtend war sie, klar, Saubermachen richtet sich ja stets gegen Schmutz. „Man kann das kritisch betrachten“, sagt Tomaszewski. Aber vor allem schien es ihnen eine fröhliche Demo-Variante zu sein, und fröhlich und entspannt sollte es nach Möglichkeit schon werden. Deshalb, so erzählt Tomaszewski, setzt sich seine Band Banda Comunale auch an die Spitze des Demonstrationszuges. Sie haben gerade die Nachricht bekommen, dass die „Pegida“-Abschlusskundgebung zu Ende gegangen ist, dorthin soll es nun vom Postplatz aus gehen. „Weltmusik auf Blaskapelle“, sagt Tomaszewski, das sei es, was seine Band mache. Südamerika, Balkan, Funk, Gassenhauer.

Die Band vorneweg, die besenschwingenden Demonstranten hinterher. Kurz bevor der Zug sein Ziel erreicht, wird er von der Polizei aufgehalten. Hinter deren Linien stehen junge Männer, 150 vielleicht, etliche davon augenscheinlich Dynamo-Dresden-Hooligans, es gibt Schreierei. „Brenzlige Situation“, sagt ein Yellow-Umbrella-Mitglied. „Keine ernsthafte Gefahr“, sagt Tomaszewski. Ein paar Minuten später erreicht der Zug die „Pegida“-Abschlussveranstaltungswiese.

Sie wird in Dresden die Cockerwiese genannt. 1988, als dies noch nicht üblich war, hatte Joe Cocker hier ein Konzert gegeben. 85000 hatten es sich damals angeschaut und gejubelt, sie hatten auch den leibhaftigen Schwarzen beklatscht, der bei Cocker damals den Bass spielte. Ein bisschen von diesem Bild seiner Stadt wollen Tomaszewski und seine Mitstreiter bewahren.

In Köln wurde der Dom verdunkelt. Nicht alle fanden das gut

Dagegen. Mehrere tausend „Pegida“-Gegner blockieren am Montagabend den Weg von ein paar hundert „Bärgida“-Demonstranten. Die wollten zum Brandenburger Tor – kamen aber nicht weit.
Dagegen. Mehrere tausend „Pegida“-Gegner blockieren am Montagabend den Weg von ein paar hundert „Bärgida“-Demonstranten. Die wollten zum Brandenburger Tor – kamen aber nicht weit.

© imago/Markus Heine

In Köln gehen, pünktlich zum geplanten Start der „Kögida“-Demo, am Wahrzeichen der Stadt die Lichter aus. Er wolle den islamfeindlichen Demonstranten keine Kulisse bieten, entschied Dompropst Norbert Feldhoff – und löst eine Kettenreaktion aus. Die normalerweise hell erleuchtete Rheinpromenade – Brücken, Museen, Kirchen, Büros – bleibt fast vollständig dunkel.

Doch bis vor den Dom kommen die Demonstranten nicht. Die Gegendemonstranten, weit in der Überzahl, blockieren den Zug schon auf der gegenüberliegenden Rheinseite. „Kögida“ setzt sich gar nicht erst in Bewegung.

Dass ein dunkler Dom die größte Strahlkraft entfaltet, ist dem obersten Dienstherr des Wahrzeichens bewusst. Er habe sich vorher nicht intensiver mit „Pegida“ auseinandergesetzt, sagt der 75-jährige Feldhoff. Als der stellvertretende Bürgermeister ihm die Verdunklung vorschlug, sagte er spontan zu. Die Zustimmung seines Kardinals holte er tags darauf ein. Feldhoff darf das. Er vertritt den Kölner Dom. Die Entscheidung, die Demonstranten im Dunkeln stehen zu lassen, sei aber unstrittig gewesen. Das Zeichen solle zum Nachdenken anregen, sagt Feldhoff. Die Reaktion auf seine Entscheidung hat jedoch auch ihn nachdenklich gemacht.

Mehr als 600 E-Mails kamen. Gläubige drohten mit Kirchenaustritt

Mehr als 600 E-Mails habe er seit der Ankündigung am vergangenen Dienstag bekommen. Die ersten waren die schlimmsten. Die Kirche wende sich von den aktiven Katholiken ab, wurde ihm vorgeworfen. Familien drohten mit dem Austritt. Andere lobten Adolf Hitler.

Er nehme die Enttäuschung und Verzweiflung, die Angst vor einer vermeintlichen Islamisierung ernst, sagt er. Davon überzeugen, dass der Islam keine Gefahr darstelle und der dunkle Dom ein Zeichen für Religionsfreiheit sei, konnte er aber auch am Telefon niemanden.

Was die Integrationskraft seiner Kirche angeht, ist Feldhoff weniger zuversichtlich. Die „gutbürgerlichen, konservativen“ Katholiken auf den islamkritischen Demonstrationen bereiten ihm Sorge. Auch, dass die Kirche einen Teil ihrer Anhänger nicht von einem toleranteren Kurs gegenüber dem Islam überzeugen konnte. „Da laufen gutgläubige Menschen ein paar Extremisten hinterher“, sagt er und warnt: Mit dem Nationalsozialismus habe es ähnlich angefangen.

Die islamkritische Stimmung sei nicht nur ein Problem der Politik, sondern eben auch der Kirche, sagt er. Sie müsse darauf „konkrete Antworten“ finden. Welche das sind, könne er auch nicht bestimmen. Er ist sich aber sicher: Das Licht abzuschalten allein reicht nicht aus.In München kommen nur 50 "Muegida"-Demonstranten

Dagegen. Mehrere tausend „Pegida“-Gegner blockieren am Montagabend den Weg von ein paar hundert „Bärgida“-Demonstranten. Die wollten zum Brandenburger Tor – kamen aber nicht weit.
Dagegen. Mehrere tausend „Pegida“-Gegner blockieren am Montagabend den Weg von ein paar hundert „Bärgida“-Demonstranten. Die wollten zum Brandenburger Tor – kamen aber nicht weit.

© imago/Markus Heine

Am Sendlinger Tor in München steht verloren ein Menschenhäufchen auf einem rechteckigen Platz. Rundherum, getrennt von der kleinen Gruppe nur durch Absperrgitter der Polizei, sind dicht an dicht etwa 1500 Menschen versammelt. „Haut ab, haut ab“, schreien sie. „Nazis raus, Nazis raus.“ Und: „Kein Mensch ist illegal.“ Trillerpfeifen, Trommelwirbel, Buhrufe. „In München ist für diese Hetze kein Platz“, sagt Matthias Weinzierl. „Wir wollen, dass das gar nicht anfängt, dass es nicht zur Normalität wird.“ Weinzierl ist vom Bayerischen Flüchtlingsrat, der zu dieser spontanen Versammlung aufgerufen hat. Der 43-Jährige, der stets einen markanten Hut trägt, ist seit Jahren in der Münchner alternativen Szene tätig und auf Demos immer wieder vertreten.

"Halt die Fresse", rufen sie

Einer der knapp 50 „Muegida“-Demonstranten hält in dem abgesperrten Rechteck eine Rede. Doch man versteht nichts. Rundum schreien die anderen: „Halt die Fresse, halt die Fresse.“ Vor zwei Wochen hatte die Anti-„Pegida“-Demonstration an der Isar mit 15 000 Teilnehmern den Münchner Gegnern Auftrieb gegeben. Ihr Ziel ist es, Kundgebungen der Islam-Feinde ganz zu verhindern, sie wegzudemonstrieren. „München ist bunt“, lautet ihr Credo, München ist „die Weltstadt mit Herz“.

Unter Polizeigeleit zieht das „Muegida“-Grüppchen los zu dem geplanten „Spaziergang“ durch die Stadt. Doch schon nach 100 Metern geht nichts mehr. Die gegnerischen Massen blockieren die Straße. Nein, die sollen nicht durchkommen, lautet der feste Wille, die sollen kleinlaut abhauen. Und als die Gegendemonstranten eine ganze Weile standgehalten haben, dringt scheppernd die Stimme des Polizeieinsatzleiters aus einem Lautsprecher: „Die Versammlung der ,Pegida’ wurde beendet.“ Riesiger Jubel brandet auf. Matthias Weinzierl freut sich. „Ein großartiger Tag.“ Jetzt heißt die Parole: Auf Nimmerwiedersehen.

Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.

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