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Das Holocaust Mahnmal von Thessaloniki. Es erinnert an die Deportation von über 45.000 Jüdinnen und Juden nach der Invasion der Deutschen im Zweiten Weltkrieg.

© imago/Giannis Papanikos

Goethe-Institut Thessaloniki : Ausgerechnet hier eine weitere Schließung?

Thessaloniki war von einer brutalen deutschen Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg betroffen. Eine Abwicklung gerade hier wäre ein fatales Zeichen.

Ein Gastbeitrag von René Wildangel

Dass die deutsche auswärtige Kulturpolitik zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt geschrumpft wird, steht in der Kritik, seit die Bundesregierung die Kürzungen öffentlich gemacht hat. Besonders das Goethe-Institut und der Deutsche Akademische Austauschdienst sind betroffen. Ausgerechnet jetzt, wo die Liste der Herausforderungen besonders lang ist: Politikverdrossenheit in Europa, wachsender Rechtspopulismus und ein Krieg, der massiv spaltet. Ausgerechnet jetzt, obwohl die in der Ampelkoalition vertretenen Grünen und die SPD eigentlich für einen Ansatz stehen, der kulturpolitische Instrumente stärken will.

Das europäische Netzwerk wird verkleinert

Ende September verkündete das Goethe-Institut, dass im Rahmen eines „Transformationsprozesses“ neun Institute geschlossen werden sollen. Darunter drei Standorte in Italien und drei in Frankreich. Nun wird auch noch die Schließung eines zehnten Instituts geprüft: Aus informierten Quellen aus dem Goethe-Umfeld wurde auf einer Mitarbeiterversammlung vor Ort jüngst das mögliche Aus für Thessaloniki verkündet.

Auf Anfrage bestätigt die Zentrale des Goethe-Instituts, dass derzeit „Überlegungen zur künftigen Aufstellung des Standortes Thessaloniki“ stattfinden. Das Präsidium werde in den nächsten Wochen beraten. Dabei geht es wohl nicht zuletzt um die finanzielle Situation: Denn die Liegenschaft, die der Bundesrepublik gehört, wird sie vom griechischen Staat mit 450.000 Euro pro Jahr besteuert. Bis zum Ende des Monats soll endgültig entschieden werden.

Das Goethe-Institut war immer ein wichtiger Partner, um die Debatten über Erinnerungskultur auf verschiedenen Ebenen voranzubringen.

Giorgos Antoniou, Professor für Geschichte und Jüdische Studien

Auf tragische Weise mit Deutschland verbunden

Mit Thessaloniki würde es einen Standort treffen, der aus der Liste der zu schließenden Standorte herausragt. Die Stadt ist auf besonders tragische Weise mit Deutschland verbunden. Unter dem brutalen deutschen Besatzungsregime in Griechenland starben mehr als hunderttausend griechische Zivilisten im Zweiten Weltkrieg. Über 45.000 jüdische Einwohner Thessalonikis wurden 1943 innerhalb kürzester Zeit nach Auschwitz deportiert und ermordet. Nirgendwo anders außer in Polen war die Mordpolitik so brutal, so „effektiv“. Das erlittene Unrecht wurde in Deutschland lange ignoriert, angemessene Entschädigungen gab es nie.

Die im Unterausschuss für auswärtige Kultur mit dem Thema befassten Politikerinnen und Politiker äußern sich gegenüber dem Tagesspiegel schockiert. Thomas Rachel, Griechenland-Berichterstatter der CDU/CSU, bezeichnet eine mögliche Schließung als „dramatischen Fehler“ und „geschichtsvergessen“. Das Goethe-Institut spiele „eine zentrale Rolle bei der Bewahrung des kulturellen Erbes und der Aufklärung über begangenen Verbrechen“.

Erinnerungskultur spielt eine wichtige Rolle

Das bestätigt auch Giorgos Antoniou, Professor für Geschichte und Jüdische Studien an der Aristoteles Universität. „Das Goethe-Institut war immer ein wichtiger Partner, um die Debatten über Erinnerungskultur auf verschiedenen Ebenen voranzubringen.“   Auch der grüne Sprecher für Kulturpolitik, Erhard Grundl, sieht eine besondere Bedeutung angesichts der deutschen Verbrechen – und für die viel beschworene „wertegeleitete Außenpolitik“. Gerade jetzt zu schließen, hätte „eine große symbolische Wirkung in eine falsche Richtung“.

Hauptgebäude der Aristoteles-Universität in Thessaloniki. Hier zu sehen mit Protestbannern im Jahr 2022.
Hauptgebäude der Aristoteles-Universität in Thessaloniki. Hier zu sehen mit Protestbannern im Jahr 2022.

© René Wildangel

Dabei hatte sich die Regierung eigentlich etwas anderes vorgenommen: „Gerade gegenüber unseren europäischen Nachbarn empfinden wir eine besondere Verantwortung; aber auch die aktuellen Debatten etwa in Griechenland oder der Ukraine zeigen, dass die gemeinsame Aufarbeitung nicht abgeschlossen ist.“ So hieß es noch im Koalitionsvertrag der Ampelparteien von 2021. Auf Anfrage erklärt das Goethe-Institut, man wolle das „Engagement in den wichtigen deutsch-griechischen Beziehungen in jedem Fall beherzt fortsetzen“. Allerdings stellt sich die Frage, wie dies ohne oder mit stark eingeschränkter Präsenz in Thessaloniki möglich sein wird.

Stiefmütterliche Behandlung der Geschichte

In Thessaloniki wurde die Erinnerung an die jüdische Vergangenheit der Stadt und ihr Ende durch die dunkle Zeit der deutschen Vergangenheit lange stiefmütterlich behandelt, das Thema der griechischen Kollaboration mit den Nazis verdrängt. Der Platz, auf dem die deutschen Besatzer die männlichen Angehörigen der jüdischen Gemeinde an einem heißen Schabbat im Juli 1942 antreten ließen, demütigten und misshandelten, ist bis heute ein Parkplatz ohne angemessenen Gedenkort.

Die Aristoteles-Universität in Thessaloniki wurde auf dem einst größten jüdischen Friedhof erreichtet: 500.000 Gräber wurden unter deutscher Besatzung eingeebnet, die Grabsteine als Baumaterial eingesetzt. Nur ein kleines Mahnmal erinnert seit 2014 an die Geschichte. „Ohne das Goethe-Institut werden es die Stimmen, die sich hier vor Ort für eine Aufarbeitung einsetzen, viel schwerer haben“, sagt Giorgos Antoniou.

Viele Verbindungslinien zu Deutschland

Aber nicht nur mit Blick auf die Historie wäre eine mögliche Schließung das falsche Signal: Nordgriechenland ist Herkunftsregion vieler griechischer Einwanderer in Deutschland, es existieren enge Verbindungen und ein großes Interesse an Deutschland. Auch griechische Politiker sind daher enttäuscht. Der deutschsprachige ehemalige Vize-Bürgermeister Spiros Pengas betont: „Nach der Finanzkrise hat das Institut eine wichtige Rolle gespielt, um ein anderes Deutschland zu zeigen.“ CDU-Politiker Thomas Rachel hält eine „durch die Schließung hervorgerufene Belastung der deutsch-griechischen Beziehungen“ für möglich, die unbedingt vermieden werden müsse. Auch Spiros Pengas befürchtet negative Folgen im Falle einer Schließung: „Dann schließt sich für uns ein Fenster zur Welt.“

Noch nicht mal die Zwangsanleihe, mit der Deutschland Griechenland zynischerweise zwang, die Besatzung des Landes selbst zu finanzieren, wurde zurückgezahlt. Die Bundesrepublik lehnt Reparationsforderungen kategorisch ab. Um den Dialog aufrechtzuerhalten, wurde ein „deutsch-griechischer Zukunftsfonds“ geschaffen, der Projekte mit einer Million Euro pro Jahr fördert. Diesen Bemühungen würde eine Schließung des Goethe-Instituts entgegenwirken.

Nun gilt es zu hoffen, dass eine Lösung gefunden wird. Die Einsparung der Steuerlast sollte dabei nicht entscheidend sein. Diplomatische Vertretungen könnten eine steuerliche Ausnahmeregelung erwirken. Laut informierter Kreise ist die griechische Regierung zudem bereit, eine für Deutschland günstige Einigung zu finden.

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