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ARCHIV - 26.02.2020, Bremen, Bremerhaven: Eine Kellnerin deckt Tische im Restaurant Strom im Bremerhavener Atlantic Sail City Hotel. In Bremerhaven findet am 09. und 10.11.2023 die Fachtagung Tourismustage Bremen und Bremerhaven statt.
Thema sind unter anderem der Fachkräftemangel und die anhaltende Diskussion um eine Mehrwertsteuererhöhung in der Gastronomie. Foto: Sina Schuldt/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Sina Schuldt

Lohn statt Bürgergeld: Wie die Arbeitsanreize erhöht werden könnten

Minijobber mit Einkommen unter 520 Euro sind von Steuern und Sozialabgaben befreit. Würden mehr Menschen arbeiten, wenn das auch für Geringverdienende gilt?

Ein Gastbeitrag von

Kaum wurde der Regelsatz für das Bürgergeld erhöht, gab es die erwartbaren Reaktionen: Der Lohnabstand sei nicht mehr gewahrt, es werde zu wenig sanktioniert und überhaupt gäbe es zu wenig Mitwirkungspflichten. Auch die Forderung, Bürgergeldempfänger*innen zu gemeinnütziger Arbeit zu verpflichten, ließ nicht lange auf sich warten.

Wie sich solche lautstark vorgetragenen Forderungen in der Realität auswirken würden, dazu gibt es allerdings kaum empirisch fundierte Erkenntnisse.

Die Wirklichkeit ist nämlich, auch was die Ausgestaltung der Grundsicherungsleistungen betrifft, wesentlich komplizierter, als die schrille Debatte suggeriert. Sachliche Beiträge, die es durchaus gibt, haben da Schwierigkeiten, Gehör zu finden.

Insbesondere ein Aspekt wird bisher wenig beleuchtet und würde mehr Aufmerksamkeit verdienen: Das Lohnabstandsgebot hat, abhängig von der konkreten Höhe des Stundenlohns, ganz unterschiedliche Implikationen. Das Existenzminimum und auch andere Transfers wie das Wohngeld orientieren sich zunächst nicht am Stundenlohn, sondern am Bedarf der Haushalte und damit am Einkommen.

Das ist auch richtig, da ein Mindestniveau abgesichert werden soll. Allerdings müssen Geringverdiener*innen deutlich mehr arbeiten, um das Mindestniveau zu erreichen als Gutverdienende – und das häufig auch noch in schlechteren Jobs, wenn man die Arbeitsbedingungen betrachtet.

Daher ist es gerade wichtig, die monetären Arbeitsanreize von Geringverdiener*innen zu erhöhen. Eine große Hürde bei den Arbeitsanreizen für Geringverdiener*innen stellen dabei die Abgaben für die Sozialversicherung dar. Diese Beiträge werden bis zur Beitragsbemessungsgrenze im Prinzip von allen Versicherten mit dem gleichen Prozentsatz geleistet.

Nur im Übergangsbereich gibt es einen bestimmten Einkommenskorridor mit größeren Entlastungen. Der Lohnabstand für Personen mit niedrigen Stundenlöhnen und damit verbunden der Arbeitsanreiz könnten erheblich erhöht werden, indem die Sozialversicherungsbeiträge für diese Gruppe weiter reduziert würden.

Derzeit werden Sozialversicherungsbeiträge durch Minijobs subventioniert. Einkommen unter 520 Euro sind von der Steuer und den Sozialversicherungsbeiträgen der Beschäftigten befreit beziehungsweise Beschäftigte können sich von den Beiträgen zur Rentenversicherung befreien lassen.

Dabei spielt es keine Rolle, ob die Einkommen durch geringe Löhne und viele Stunden oder hohe Löhne und wenige Stunden entstehen. Der Lohnabstand für Personen mit niedrigen Stundenlöhnen würde sich deutlich erhöhen, wenn sich die Subventionen nicht am Einkommen, sondern direkt an den Stundenlöhnen orientierten. Minijobs könnten dann abgeschafft und auch der Übergangsbereich neugestaltet werden.

Die dadurch frei werdenden Mittel sollten genutzt werden, um die Subventionen bei geringen Löhnen nicht nur bis 520 Euro zu zahlen, sondern auch für eine Beschäftigung in Vollzeit. Das würde den Lohnabstand zum Bürgergeld und die Anreize für eine Vollzeitbeschäftigung deutlich steigern.

Diese Reform wäre substanziell und würde den Arbeitsanreiz unabhängig vom Bürgergeld erhöhen. Derzeit führt insbesondere die steuerliche Berücksichtigung der Einkünfte aus Minijobs in Kombination mit dem Ehegattensplitting und der beitragsfreien Mitversicherung für Ehepartner*innen in der gesetzlichen Krankenversicherung dazu, dass sich eine Ausdehnung der Arbeitszeit über die Minijobgrenze hinaus für viele verheiratete Frauen (und in seltenen Fällen auch Männer) nicht lohnt.

Allerdings hat dieser Vorschlag bisher ein gravierendes Problem: Es liegen keine verlässlichen Informationen zu den geleisteten Arbeitsstunden vor, die die Sozialpolitik nutzen könnte. Eine belastbare Erfassung der Arbeitsstunden wurde bereits häufig angemahnt, sowohl in der wissenschaftlichen Literatur als auch in der politischen Debatte – unter anderem, um Missbrauch beim Mindestlohn zu verhindern. Informationen zu Arbeitsstunden würden die soziale Sicherung auch in anderen Bereichen zielgenauer machen. So gilt beispielsweise bei der Grundrente nicht ein niedriger Stundenlohn, sondern ein niedriges versichertes Einkommen als relevant.

Im Rahmen des 2019 getroffenen Urteils des Europäischen Gerichtshofs sind die Arbeitgeber nach dem Arbeitsschutzgesetz verpflichtet, ein System einzuführen, mit dem die von den Beschäftigten geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann. Bislang wurde dies vom deutschen Gesetzgeber jedoch nicht in nationales Recht überführt. Das Bundesarbeitsgericht hat im September 2022 festgestellt, dass in Deutschland die gesamte Arbeitszeit der Arbeitnehmer*innen aufzuzeichnen ist. Damit soll garantiert werden, dass Ruhezeiten eingehalten und Überstunden erfasst werden.

Für diesen wichtigen Schritt gibt es also einen weiteren Grund: Information zu Arbeitsstunden würden die soziale Sicherung zielgenauer machen. Der Gesetzgeber sollte endlich handeln, um auch eine zielgerechte Sozialpolitik zu unterstützen.

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