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Luftverkehr: Nachwehen des Flugverbots

Der Luftraum ist wieder freigegeben. Wie schlimm war’s – für Passagiere und Unternehmen? Welche Lehren können gezogen werden?

Langsam kehrt Europas Luftverkehr zur Normalität zurück. Fluggesellschaften und Reiseveranstalter versuchten am Mittwoch, ihre Kunden zu beruhigen. „Die Rückkehr zum Normalbetrieb“ war ihre am liebsten gewählte Formulierung – die jedoch kaschiert, dass diese Rückkehr sich noch Tage hinziehen kann. Dem Flughafenverband ADV zufolge sind viele Flugzeuge und deren Besatzungen noch nicht an ihren planmäßigen Einsatzorten. An einem wirklich normalen Tag werden an den 23 internationalen Verkehrsflughäfen in Deutschland rund 6500 Flüge und eine halbe Million Passagiere abgefertigt; europaweit sind es 28 000 Flüge. Davon konnten nach Schätzung der europäischen Flugsicherheitsbehörde Eurocontrol bis zum Mittwochabend rund 22 500 stattfinden. Die Lage war, wenn man so will, zu 80 Prozent normal. An diesem Donnerstag könnten 100 Prozent erreicht werden, hieß es.

Der deutsche Marktführer Lufthansa hat am Mittwoch 700 von 1800 der geplanten Flügen durchgeführt. Das Streckennetz ist eines der größten weltweit und damit besonders schwer zu koordinieren. Priorität hatten Interkontinentalflüge ab München, Frankfurt und Düsseldorf. Aber bereits am Donnerstag werde man zum regulären Flugbetrieb zurückkehren. Konkurrent Air Berlin teilte mit, man habe bereits am Mittwochmorgen alle Flüge des „Sonderflugplans mit teilweise geringfügigen Verspätungen“ durchgeführt. Doch auch hier könne es in den nächsten Tagen noch zu Flugstreichungen kommen. Der Reiseveranstalter Tui meldete stolz, es sei ihm nicht nur gelungen, Urlauber wieder nach Deutschland zu bringen, sondern auch Deutsche in ihren „wohlverdienten Urlaub“. Bereits um 3.29 Uhr sei der erste Flug von Köln nach Las Palmas auf Gran Canaria abgehoben. Bei Europas größter Billigfluglinie Ryanair lief der Verkehr im Süden des Streckennetzes (Spanien, Süditalien, Südfrankreich, Malta und Marokko) fast regulär. Im Norden inklusive Deutschland sollte der Flugbetrieb erst ab Donnerstag, fünf Uhr, wieder aufgenommen werden. Noch bis mindestens Freitag dürfte es zu Ausfällen und Verspätungen kommen, teilte die Zentrale mit.

Wie groß ist der Schaden?

Die International Air Transport Association (IATA) beziffert den Einnahmeverlust für die Fluglinien auf rund 1,3 Milliarden Euro. Der Flughafenverband ACI Europe rechnet mit Verlusten der 313 betroffenen Flughäfen von rund 250 Millionen Euro. Auf dem Höhepunkt der Krise am Wochenende waren laut IATA-Chef Giovanni Bisignani 29 Prozent des globalen Luftverkehrs lahmgelegt und täglich 1,2 Millionen Passagiere betroffen.

Wie soll der Schaden behoben werden?

Die 230 IATA-Fluggesellschaften, die 93 Prozent des internationalen Weltluftverkehrs repräsentieren, haben aufgrund der Wirtschaftskrise 2009 einen Verlust von 9,4 Milliarden Dollar eingeflogen. Für dieses Jahr war man von einer langsamen Erholung ausgegangen. Es handele sich um eine außergewöhnliche Situation, die durch den zögerlichen Entscheidungsprozess der nationalen Regierungen verschlimmert wurde, sagte Bisignani. Deshalb sollten diese Regierungen auch Mittel bereitstellen, um die Verluste zu kompensieren. Am Donnerstag will Bisignani mit der EU über eine Regelung hinsichtlich der Kosten für die Unterbringung und Betreuung der gestrandeten Passagiere verhandeln. Nach den europäischen Verbraucherschutzbestimmungen haften die Fluglinien dafür. Diese Regeln sähen keine Ausnahme vor, seien aber nie für eine solche Situation gedacht gewesen, sagte der IATA-Chef.

Gegen Staatshilfen hat sich aber bereits breiter Widerstand formiert – von Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) bis zur Wirtschaft. „Wir können nicht einen Staat unterhalten, der bei jedem Risiko, sei es selbst produziert oder durch äußere Ereignisse hervorgerufen, einspringt“, sagte Hans Heinrich Driftmann, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), dem Tagesspiegel. „Damit überfordern wir den Staat und treiben die Staatsquote nach oben.“

Gibt es noch Lieferengpässe?

Anfang der Woche, als noch nicht absehbar war, wie lange die Lufträume gesperrt sein werden, hatten erste Unternehmen Lieferprobleme gemeldet. Das führte sogar zu Produktionsausfällen. So meldete der Autobauer Daimler, dass einzelne Schichten in Sindelfingen ausgefallen seien. Die Lage werde sich aber normalisieren. Auch dem weltgrößten Autozulieferer Bosch macht das tagelange europaweite Flugverbot zu schaffen. In vier Werken für die Halbleiterproduktion stünden die Bänder still, sagte Geschäftsführer Bernd Bohr. Im Opel-Stammwerk in Rüsselsheim sind die Auswirkungen ebenfalls spürbar: An diesem Donnerstag werde in dem Insignia-Werk nicht produziert, sagte ein Opel-Sprecher.

Schaden entstand auch bei Händlern von frischen Lebensmittel und Delikatessen. So kam tagelang kein Hummer aus den USA und Kanada in Europa an, genauso wie spezielle Fischsorten und Früchte aus Asien. Zudem meldeten die Importeure von Schnittblumen, die vor allem aus Kenia und Tansania und teilweise aus Mittelamerika kommen, Probleme.

Hat das Krisenmanagement funktioniert?

Die Fluglinien kritisieren vor allem die langsame Reaktion der Behörden. Dies sei insbesondere auf die Tatsache zurückzuführen, dass es immer noch keine einheitliche europäische Luftraumorganisation geb, sagte IATA-Chef Bisignani. In den USA hätte die Bundesluftfahrtbehörde FAA binnen Stunden ein Team und geeignete Technik vor Ort gehabt, um die Aschekonzentration zu untersuchen und ein begrenztes Sperrgebiet festzulegen. Europa mit seinen nationalen Zuständigkeiten sei noch nicht einmal in der Lage gewesen, binnen 24 Stunden ein Forschungsflugzeug zu mobilisieren.

Die Frage sei nicht gewesen ob, sondern in welcher Konzentration sich die Asche in der Luft befindet, sagte Lufthansa-Chef Wolfgang Mayrhuber. Der Bundesverkehrsminister habe sich bis zum Vorliegen der Flugtestdaten auf die mathematischen Berechnungen der für die Vulkanbeobachtung zuständigen britischen Meteorologen verlassen. Seit Dienstagnachmittag wisse man, dass diese Befürchtungen nicht gestimmt haben.

Schwierig war von Anfang an, dass die Wolke nur an wenigen Orten in Deutschland gemessen wurde. Denn das ist nur mit einem speziellen Laserverfahren möglich. Erst der Atmosphärenflieger „Falcon“ vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) lieferte am Montag Daten über die räumliche Verteilung zu einer bestimmten Zeit. „Für den Fall, dass wieder eine Eruptionswolke über Europa schwebt, wäre es gut, wenn ein solches Forschungsflugzeug permanent einsatzbereit ist“, sagt Dieter Peitsch, Leiter des Fachgebiets Luftfahrtantriebe an der TU Berlin. Die Forderung nach klaren Grenzwerten der Partikelkonzentration sieht er kritisch. Die Triebwerke seien je nach Flugzeugtyp unterschiedlich aufgebaut, somit könnten sich die Ascheteilchen verschieden auswirken. Richtig sei auf alle Fälle die Entscheidung gewesen, den Luftraum zusperren: „Sicherheit ist oberstes Gebot.“ Über die Dauer der Sperrung könne man aber streiten, sagte Peitsch.

Im Moment wäre das Forschungsflugzeug allerdings nicht direkt wieder einsetzbar. Nach dem Flug am Montag wurde ein kleiner mechanischer Schaden an der Falcon entdeckt. Wodurch dieser entstand, ob er von der Aschewolke verursacht wurde, konnte das DLR nicht sagen.

Welche Lehren können gezogen werden?

Die Flugausfälle haben deutlich gemacht, wie abhängig die Wirtschaft von der Luftfahrt ist. Das macht ihre Vertreter nachdenklich. „Wir machen gerade die Erfahrung, dass wir nicht einseitig auf den Flugverkehr setzen können“, sagte DIHK-Präsident Driftmann. Zwar sei das Flugzeug gerade im Interkontinentalverkehr unverzichtbar. Mittelfristig werde das Wachstum wegen des knapperen und teureren Treibstoffs womöglich geringer ausfallen. „Dann muss man den Luftverkehr stärker bündeln.“

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