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Meron Mendel und Saba-Nur Cheema beim Vortrag „Nach dem 7. Oktober: Antisemitismus, Rassismus und die deutsche Debatte“  an der FU Berlin, im Januar 2024. 

© Bernd Wannenmacher

Bildungsarbeit zu Nahost an Schulen und Hochschulen: „Wir müssen aus unseren Echo-Blasen rauskommen“

Das Autorenpaar Meron Mendel und Saba-Nur Cheema, die beide zu Antisemitismus, Rassismus und politischer Bildung arbeiten, sprachen an der Freien Universität zu den Ursachen der verhärteten Nahost-Debatte in Deutschland. Und darüber, was sich ändern sollte.

„Rassismus, Antisemitismus und die deutsche Debatte“ heißt der Vortrag, für den die Publizisten Meron Mendel und Saba-Nur Cheema an die Freie Universität Berlin gekommen sind. Beide befassen sich seit Jahren mit politischer Bildung und dem Nahostkonflikt: Mendel, in einem linken Kibbuz aufgewachsen, leitet die Bildungsstätte Anne Frank und veröffentlichte zuletzt das Buch „Über Israel reden“. Die Politikwissenschaftlerin Cheema forscht zu politischer Bildung in der postmigrantischen Gesellschaft und arbeitet aktuell zu Antisemitismus unter Kindern.

Anders als der Zeitpunkt des Vortrags suggeriert, war die Einladung an Mendel und Cheema nicht als Reaktion auf die jüngsten Debatten um Antisemitismus an der FU erfolgt, die die Besetzung eines Hörsaals durch pro-palästinensische Studierende ausgelöst hatte. Die Stabsstelle für Antidiskriminierung, die die Veranstaltung organisiert hat, habe die beiden schon vor dem 7. Oktober angefragt, sagte Cheema.

Verstehen, welche Erzählungen vorherrschen

Wie also lässt sich die Gesellschaft zu einer „konstruktiveren Debatte über den Nahostkonflikt“ bewegen? Mendel und Cheema setzen bei der Analyse an, wie in den sozialen Medien und öffentlichen Stellungnahmen über das Hamas-Massaker vom 7. Oktober und die israelischen Angriffe auf Gaza kommuniziert wird.

Während bei der einen Seite angesichts ausbleibender Solidaritätsbekundungen bis hin zu Verklärung und Jubel über den Hamas-Terror der Eindruck entstanden sei, „jüdische Leben zählen für euch nicht“, habe sich die andere darüber frustriert gezeigt, dass „pro-palästinensische Stimmen“ keinen Platz in der Öffentlichkeit hätten. Für beide Vorwürfe gebe es Anhaltspunkte, so Cheema.

Das Interesse am Vortrag der beiden Wissenschaftler, die auch konkrete politische Bildungsarbeit zu Antisemitismus und Rassismus machen, war groß. 
Das Interesse am Vortrag der beiden Wissenschaftler, die auch konkrete politische Bildungsarbeit zu Antisemitismus und Rassismus machen, war groß. 

© Bernd Wannenmacher

Mendel skizzierte, welche beiden „Metanarrative mit Anspruch, die Welt zu erklären“, bei der Debatte mitschwingen: Auf der einen Seite die postkoloniale Geschichte, auf der anderen der Holocaust. Das Problem, so verdeutlichte der Vortrag der beiden, beginne dort, wo Fakten ausgelassen werden und man sich in der Gewissheit verschanzt, auf der vermeintlich richtigen Seite zu stehen – und natürlich bei der Desinformation im Netz.

Die beiden Redner, die privat ein Paar sind und für die FAZ die Kolumne „Jüdisch-muslimisches Abendbrot“ schreiben, berichteten auch von ihrer Erschütterung am 7. Oktober und den Folgetagen. „Während dort das Massaker noch nicht beendet war und Menschen noch im Schutzbunker waren, wurde es hier in Berlin schon gefeiert“, sagte Cheema mit Blick auf Szenen wie in der Berliner Sonnenallee. Die eine befreundete Familie, auf deren Rückmeldung aus Israel sie warteten, sagte sie, habe überlebt. „Die andere wurde zur Hälfte von der Hamas umgebracht.“

Rote Linien und Regeln für faire Debatten

Kritik haben die beiden aber auch für eine Reihe von Sanktionen und Vorstöße, mit denen deutsche Politiker auf die Spannungen hierzulande reagierten: von dem in Sachsen-Anhalt geplanten Bekenntnis zum Staat Israel bei der Einbürgerung bis hin zu einer verschobenen Ausstellung über muslimisches Leben in Deutschland. Das seien „verpasste Chancen für den Dialog“ und „absolute Symbolpolitik“, kritisierte Cheema.

Ebenso verheerend, so Mendel, seien Boykottaufrufe für den Konflikt, wie die „Strike Germany“-Kampagne aus Solidarität mit Palästina. Es sei auch zynisch gegenüber allen, die mühsame und gefährliche Friedensarbeit vor Ort leisteten. „Wenn wir es hier schon nicht schaffen, aus unseren Echo-Blasen herauszukommen und versuchen, mit Empathie den anderen zu verstehen, dann können wir dort niemals etwas bewegen.“

Um die neue Generation zu erreichen, die vor allem mit Lagerdenken aufwachse, müsse Bildungsarbeit insbesondere auf sozialen Plattformen stattfinden, bekräftigte Cheema zum Schluss. Gerade auf Instagram, wo laut einer Auswertung pro-palästinensische Posts in der Mehrheit seien, würde viel Desinformation zum Thema verbreitet. Ein kurzes polarisierendes Video reiche schon aus, dass Schüler sich nicht mehr empfänglich für Argumente zeigten, höre man von Lehrkräften, die im Unterricht das Thema behandeln.

Zuletzt stellte das Rednerpaar Diskussionsgrundlagen vor, die es für unverhandelbar hält. Dazu zählt, das Existenzrecht Israels nicht abzustreiten, das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat anzuerkennen, jede Form von Terror abzulehnen und auf NS-Vergleiche zu verzichten. Und schließlich: „Die Gesamtverantwortung für den hundertjährigen Konflikt liegt nicht nur bei einer Partei.“ Ihr Konzept werden Mendel und Cheema auch an weiteren deutschen Hochschulen vorstellen.

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