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Die Ukraine-Fahne vor der Viadrina-Universität. Diese pflegt schon seit Langem intensive Beziehungen zu dem Land.

© Viadrina/Heide Fest

Eine Uni hilft der Ukraine: Wie die Viadrina Studierende und Forschende im Krieg unterstützt

Digitale Lehre, Stipendien, Austausch: Die Viadrina-Universität in Frankfurt (Oder) hilft ukrainischen Studierenden und Forschenden wie keine zweite Hochschule in Deutschland. Ein Ortsbesuch.

„Wir haben großes Glück, dass wir Viadrina-Studentinnen geworden sind“, sagen Maria Romaniuk und Oleksandra Semanishyna begeistert.

Das Schicksal hätte sie in der Ukraine kaum zusammengeführt. Als der Krieg begann, war die 22-jährige Oleksandra bereits an der Linguistischen Universität, die 18-jährige Maria hatte gerade ihr Wirtschaftsstudium an der Kyjiw-Mohyla-Akademie begonnen. Doch jetzt studieren beide in Frankfurt (Oder) internationale Betriebswirtschaft. Während es für Romaniuk eine Fortsetzung ihres Studiums in ihrem gewählten Fachbereich ist, ist es für Semanishyna eine völlig neue Erfahrung.

Die Studentinnen haben wirklich Glück. Denn viele junge Ukrainer, die vor dem Krieg nach Deutschland geflohen sind, konnten ihr Studium wegen der Sprachbarriere nicht fortsetzen. Um an einer deutschen Universität zu studieren, hätten sie mindestens ein Jahr, in den meisten Fällen sogar zwei Jahre gebraucht, um Deutsch zu lernen.

Rund 200 ukrainische Studierende an der Uni

Die Europa-Universität Viadrina war eine der wenigen Universitäten, die Ukrainern Bachelor-Abschlüsse in englischer Sprache anbot. Die Studierenden lernen gleichzeitig Deutsch, sodass sie bis zum Ende des Bachelor-Studiums ein hohes Niveau an Deutschkenntnissen erwerben. Derzeit studieren rund 200 ukrainische Studenten an der Universität, fast doppelt so viele wie vor dem Krieg. Sie sind nach den Polen die zweitgrößte ausländische Gruppe.

Werden sie nach dem Krieg mit einer europäischen Ausbildung in die Ukraine zurückkehren? Oleksandra Semanishyna sagt, dass sie ihre Entscheidung bereits getroffen hat: Sie wird die Gelegenheit nutzen, in Deutschland zu bleiben. Maria Romaniuk ist geneigt, in die Ukraine zurückzukehren. Sicher sagen kann sie das aber nicht – zu unklar ist die aktuelle Situation.

Iwan Yatskiewicz, Dozent an der Kyjiw-Mohyla-Akademie, will ebenfalls keine genauen Prognosen abgeben. Er hofft aber, dass viele ukrainische Studenten, die jetzt in Europa sind, nach dem Krieg um neue Erfahrungen bereichert nach Hause zurückkehren werden. „Und es wird eine sehr wertvolle Erfahrung sein. Noch nie zuvor hatten ukrainische Studenten die Möglichkeit, sich auf diese Weise in das europäische Bildungssystem zu integrieren. Natürlich befinden sie sich wegen des Krieges in einer Krise, aber jede Krise ist auch eine Möglichkeit zu wachsen.“

Meine Vorlesungen werden nach der Viadrina anders sein.

Ivan Yatskievych, Wissenschaftler der Kyjiw-Mohyla-Akademie, ist gerade an der Viadrina zu Gast.

Ivan Yatskiewicz ist einer von 12 ukrainischen Forschern, die von der Viadrina unterstützt werden, damit sie ihre akademische Arbeit fortsetzen können, ohne vom Krieg abgelenkt zu werden. In Frankfurt (Oder) arbeitet er an einer Studie über die Arbeitsrechte von Arbeitnehmern.

„Die Zusammenarbeit mit dem Zentrum für interdisziplinäre Arbeitsrechtsforschung ist gut und gibt mir die Möglichkeit, zu erfahren, wie moderne Forschung in diesem Bereich betrieben wird und was sie ausmacht“. Ivan Yatskievych schließt nicht aus, dass er in Zukunft mit einem seiner deutschen Kollegen ein gemeinsames Lehrangebot entwickeln wird, um es an der Kyjiwer Mohyla-Akademie zu halten. „Auf jeden Fall werden meine Vorlesungen nach der Viadrina anders sein“, sagt der Wissenschaftler.

Vorlesungen online aus Frankfurt in die Ukraine

Bislang hält er acht Vorlesungen pro Woche online für seine ukrainischen Studenten. Viele von ihnen sitzen übrigens auch weit weg von Kyjiw. „Der Zeitzonenunterschied ist nicht gut für die Qualität der Lehre“, sagt Ivan Yatskiewicz. „Aber das sind die Realitäten der Kriegszeit. Das Wichtigste ist jetzt, die Kontinuität des Bildungsprozesses zu gewährleisten, damit das Land nach dem Krieg nicht mit einem Fachkräftemangel konfrontiert wird.“

Genau dieses Ziel – das digitale Lernen während des Krieges zu unterstützen und den Ukrainern die Fortsetzung ihrer akademischen Laufbahn zu ermöglichen – verfolgt das vom DAAD unterstützte Programm „Ukraine Digital“. Mehrere Dutzend Universitäten nehmen daran teil.

Im Falle der Viadrina geht es jedoch nicht nur darum, ukrainischen Lehrkräften den Zugang zu virtuellen Bildungsplattformen zu ermöglichen. Zwischen Oktober und Dezember 2022 veranstaltete die Universität ein Zertifikatsprogramm für sie, um ihre Lehrqualifikationen zu verbessern.

Unterstützung für Abschlussarbeiten

„Ich war beeindruckt von der Entschlossenheit und dem Engagement meiner ukrainischen Kollegen“, sagt Programmleiterin Daria Mukharovska. „Schließlich fanden unsere Workshops zu einer Zeit statt, als Russland die Ukraine massiv bombardierte. Und selbst unter diesen Bedingungen waren die Menschen bereit, weiterzulernen. Allerdings musste das Programm wegen ständiger Stromausfälle angepasst werden.“ 

Das Zentrum für Lehre und Lernen bereitet nun ein neues Online-Programm für Studierende vor, die ihr Studium in der Ukraine beenden möchten. Sie werden dabei unterstützt, ihre Abschlussarbeiten in analogen und virtuellen Formaten zu schreiben. 

Projekte gemeinsam mit ukrainischen Partnern umzusetzen, funktioniert an der Viadrina sehr gut.

Johanna Hiebl, Leiterin des Programms Ukraine Digital

„Projekte gemeinsam mit ukrainischen Partnern umzusetzen, funktioniert an der Viadrina sehr gut, weil es langjährige Kontakte gibt, damit verbunden sind eine langjährige Zusammenarbeit auf vielen Ebenen zwischen Universitäten und zivilgesellschaftlichen Organisationen und damit auch Vertrauen“, sagt Johanna Hiebl, Leiterin des Programms Ukraine Digital, in ziemlich gutem Ukrainisch. 

Sie hat vor vier Jahren als Austauschstudentin an der Kyjiw-Mohyla-Akademie Ukrainisch und PR studiert. So konnte sie erste Einblicke in die Besonderheiten und Bedürfnisse des ukrainischen Bildungssystems erhalten. Auch aus den eigenen Erfahrungen im Slavistik-Studium vertritt Hiebl die Position, dass in den sogenannten Osteuropa-Studien die Ukraine oftmals durch das Prisma der russischen Geschichte wahrgenommen wird. Insbesondere der gegenwärtige Krieg in der Ukraine verdeutliche, dass eine multidisziplinäre Expertise über die Diversität der Regionen Mittel- und Osteuropas in Deutschland Mangelware ist. 

Erst jetzt beginnt sich dieser Trend zu ändern, aber die Viadrina hat den Vorteil, dass sie schon lange vor dem Ukraine-Krieg enge Beziehungen zur Ukraine pflegte und vier Partneruniversitäten in Kyjiw, Charkiw und Lwiw hat. Seit 2014 unternehmen Studierende der Viadrina jährlich Exkursionen in die Ukraine.

Ein nächster Schritt könnte die Gründung eines Zentrums für die Ukraine sein, in dem interdisziplinäre Forschung, Lehre und Wissenstransfer zu Themen mit Bezug zur Ukraine stattfinden soll. Namhafte Vertreter aus Politik und Wissenschaft machen sich für den Aufbau eines solchen Zentrums an der Viadrina stark, am vergangenen Freitag erst wurde eine entsprechende Erklärung veröffentlicht. Zu den Unterstützerinnen gehört Brandenburgs Wissenschaftsministerin Manja Schüle.

Wissenschaftler und Studierende beschäftigen sich mit dem Land ohnehin schon intensiv – im vergangenen Semester etwa in Seminaren zu ukrainisch-poetischem Kino, zu Binnenvertriebenen innerhalb der Ukraine genauso wie zu deutsch-ukrainischen Kulturbeziehungen.

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