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Der „Sun“ brachte die Mär vom Mann im Mond ordentlich Auflage.

© Library of Congress/Benjamin Henry Day

Heute vor 188 Jahren: Es gibt Leben auf dem Mond!

Mithilfe eines „riesigen Teleskops völlig neuen Prinzips“ hat der berühmte Astronom Sir John Herschel auf dem Erdtrabanten Tiere, Bäume und sogar menschenähnliche Wesen entdeckt!

Eine Kolumne von Sascha Karberg

Sensation, Sensation: Auf dem Mond leben Ziegen, Bison-Büffel, Einhörner, aufrecht gehende, schwanzlose Biber und sogar menschenähnliche Wesen mit fledermausartigen Flügeln! Der berühmte Astronom Sir John Herschel hat mit einem „riesigen Teleskop völlig neuen Prinzips“ Bäume, Ozeane, Strände und sogar Tempelanlagen auf dem Erdtrabanten entdeckt.

Glauben Sie nicht?

Natürlich nicht. Nur zwölf Menschen haben den Mond bisher betreten. Und diese waren nach allem, was man weiß, die einzigen Lebewesen, die jemals auf dem staubigen Erdtrabanten herumgehüpft sind. Aber 1835 war es alles andere als Allgemeinwissen, dass es auf dem Mond kein Leben gibt.

Die New Yorker Tageszeitung nutzte diesen Umstand sehr erfolgreich aus, als sie am 25. August, heute vor 188 Jahren, eine sechsteilige Serie über die „Großartigen astronomischen Entdeckungen“ veröffentlichte, die von Sir John Herschel und Dr. Andrew Grant gemacht worden seien.

Wochenlang ließ die Zeitung ihre Leser im Unklaren, dass es sich um ein Märchen handelte. Aus „gutem“ Grund: Nicht nur die Auflage stieg, das Blatt wurde international bekannt. Der vermeintliche Autor Sir John reagierte amüsiert: Seine wirklichen Beobachtungen könnten niemals so aufregend sein.

Mauern, Straßen und Städte

Manch einem seiner Forscher-Kollegen allerdings schien die Fantasie nach langen Nächten an schlechten Teleskopen mitunter durchzugehen. Der Münchener Universitäts-Astronom Franz von Paula Gruithuisen meinte, Linien und Schattierung auf der Mondoberfläche entdeckt zu haben, die er für Vegetationszonen und sogar Mauern, Straßen und Städte hielt. Thomas Dick behauptete, der Mond habe 4,2 Milliarden Bewohner.

Man kann den „Great Moon Hoax“, geschrieben vom Sun-Reporter Richard Adams Locke, als Satire auf solche „Wissenschaft“ verstehen. Auch der junge Regisseur Orson Welles spielte 1938 der Leichtgläubigkeit des Publikums, als er das laufende Radioprogramm mit einer Abfolge von Eilmeldungen und „Experten“-Gesprächen zur angeblichen Landung von Aliens unterbrach. Was nur die gekonnte Inszenierung des Romans „Krieg der Welten“ von H.G. Wells war, hielten viele Hörer für real, manche wollten gar selbst Aliens gesehen haben. Bei Wiederholungen Ende der 50er und 60er in Quioto und Buffalo kam es zu Massenpaniken und sogar Toten.

Dass Medien, jenseits vom existenziellen Kampf um Leser oder Quoten, auch Verantwortung für die Auswirkungen des Veröffentlichten haben, gilt heute als selbstverständlich. Ohne eine gewisse Medienkompetenz auf Seiten des Publikums geht es aber auch nicht: Eine gesunde Skepsis, selbst gegenüber vermeintlich „wissenschaftlichen News“, kann nicht schaden.

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