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Die Erdbeere ist ein global zusammengewürfeltes Produkt

© dpa/Sebastian Gollnow

Heute vor 217 Jahren: Die Geburt der Erdbeere

Rot, groß, fruchtig, lecker – die Erdbeere, wie wir sie heute essen, ist ein Produkt globaler Diversität, eine echte Multikulti-Pflanze.

Eine Kolumne von Sascha Karberg

| Update:

Über 60 Millionen Passagiere landen oder starten Jahr für Jahr am Londoner Großflughafen Heathrow. Aber wohl kaum einer der Reisenden wird einen Gedanken daran verschwenden, dass dort, ganz in der Nähe, der Geburtsort der modernen Erdbeere liegt. Jener süßen, einzigartig aromatischen Frucht, die – wie so mancher Klugschwätzer auf Cocktailpartys gern ungefragt erwähnt – gar keine Beere, sondern eine „Sammelnussfrucht“ ist und zu Äpfeln, Birnen und Pflaumen, den Rosengewächsen, gehört.

Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts hätte man mit derartigem Besserwissen auch kaum Eindruck schinden können. Die Fragaria-Arten, die damals auf Märkten verkauft wurden, waren einfach viel zu teuer: 175 Dollar, heute wären das 4550 Dollar, zahlte etwa eine Lady in Brooklyn 1887 für einen Korb Erdbeeren, um auf einer Party ihren Gästen zu imponieren.

Zwar wurden europäische Erdbeeren, etwa die Walderdbeere Fragaria vesca, die Moschus-Erdbeere F. moschata und die grüne Erdbeere F. viridis, schon von den Römern und Griechen angebaut und gezüchtet. Doch sie blieben eher klein, das Ernten mühsam. Für die Erdbeeren, die heute in Massen produziert werden, brauchte es erst eine weltumspannende Züchtungsgeschichte. Und sogar einen französischen Spion.

Weiße Erdbeere aus der Neuen Welt

Die erste Dosis frischer Erdbeer-Gene kam zu Beginn des 16. Jahrhunderts aus der Neuen Welt nach Europa: die nordamerikanische Fragaria virginiana. Weitere hundert Jahre später brachte Amédée-François Frézier eine Erdbeer-Spezies aus Chile mit nach Europa, die schon länger für ihre besonders großen, aber weißen Früchte bekannt war. Der französische Ingenieur hatte einige der Pflänzchen gesammelt, als er in seinem Nebenjob als Spion spanische Befestigungsanlagen beobachtete und kartografierte. Die sechsmonatige Rückreise nach Frankreich 1714 überlebten fünf Exemplare von F. chiloensis.

Allerdings trugen die Pflanzen zunächst kaum Früchte, Frézier hatte nur weibliche mitgebracht. Erst seinem Landsmann Antoine Nicolas Duchesne gelang es, der chilenischen Sorte auf die Sprünge zu helfen, indem er sie mit Pollen von F. moschata bestäubte. 1764 konnte er dem französischen König Loius XIV. Erdbeeren servieren, die den heutigen schon recht ähnlich waren.

In England tauchten dann die ersten Varianten mit großen roten Früchten auf: Kreuzungen der nordamerikanischen F. virginiana und der chilenischen F. chiloensis, die mal mehr, mal weniger systemaisch weitergezüchtet wurden. Die heute meistverwendeten Sorten gehen wohl auf einen Gärtner zurück, der in Isleworth – zwischen dem heutigen Flughafen Heathrow und den Kew Gardens, dem königlichen Botanischen Garten Londons – arbeitete. Am 3. Juli 1806, heute vor 217 Jahren, stellte dieser Michael Keens der Royal Horticultural Society jene Erdbeer-Sorte vor, die „Keens Seedling variety“, auf die alle heute verwendeten etwa 600 Varianten zurückgehen.

Lesen Sie alle bisher erschienenen Folgen der „Tagesrückspiegel“-Kolumne hier.

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