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Sowohl männliche als auch weibliche Matador-Wanzen haben Hinterbeine, die kleine, bunte Fähnchen zieren.

© Ana Endara/STRI

„Iss mich nicht!“: Wie eine Wanze sich mit roten Fähnchen vor Feinden schützt

„Matador-Wanzen“ winken mit roten Fähnchen an ihren Hinterbeinen wie ein Stierkämpfer mit seinem Tuch. Warum sie das machen, hat nun eine Forschungsgruppe aus Panama untersucht.

Die Hinterbeine der Wanze Anisoscelis alipes zieren seltsame rote Fähnchen, mit denen das Insekt zu winken scheint. Daher werden sie im Englischen auch „matador bugs“ – also Matador-Wanzen – genannt, in Anlehnung an Stierkämpfer, die rote Tücher schwenken. Eine Forschungsgruppe hat nun untersucht, welchen Zweck der auffällige Beinschmuck hat. Wie das Team im Fachblatt „Behavioral Ecology“ schreibt, scheinen die Verzierungen Teil einer ausgeklügelten Abschreckungsstrategie zu sein. 

Die skurrilen Fähnchen faszinieren den Biologen Ummat Somjee, der an der Smithsonian Institution in Panama sowie an der US-amerikanischen Universität von Texas forscht, bereits seit Jahren. Vor allem interessiert ihn die Frage, warum die Insekten, die unter anderem in Panama und Kolumbien heimisch sind, damit winken. 

Mit Sex hat es nichts zu tun

In einer früheren Studie stellte er 2022 fest, dass das Schwingen der verzierten Hinterbeine kein sexuelles Verhalten ist. Das wäre naheliegend gewesen, schließlich werden im Tierreich auffällige körperliche Merkmale oder aufsehenerregendes Verhalten insbesondere von Männchen eingesetzt, um Partnerinnen anzulocken. Das prächtige Geweih eines Elchs oder der aufgeregte Paarungstanz des Paradiesvogels dienen zum Beispiel diesem Zweck.

Bei Anisoscelis alipes kommen die roten Beinfahnen allerdings zum einen sowohl bei den Männchen als auch bei den Weibchen vor. Zum anderen scheint es für ihr Winkverhalten egal, ob potenzielle Partner in der Nähe sind oder nicht. Denkbar wäre indes, dass die Insekten mit den Fähnchen winken, um die Aufmerksamkeit von Raubtieren von der Körpermitte auf ihre verzichtbaren Hinterbeine zu lenken und ihre Fluchtchancen zu erhöhen. Eine andere Möglichkeit ist, dass die roten Verzierungen den schlechten Geschmack oder eine chemische Abwehr der Wanze anzeigen. 

Grillen unter falscher Flagge

Um nun dem Nutzen der Fähnchen auf die Spur zu kommen, entwickelte Verhaltensbiologin Juliette Rubin gemeinsam mit Ummat Somjee einen originellen Versuch: Ihre Forschungsgruppe untersuchte, wie sich Raubvögel verhielten, die auf echte Matador-Wanzen mit und ohne Beinschmuck sowie auf Grillen trafen, von denen einigen falsche Wanzenfähnchen an die Beine geheftet wurden. 

Als Raubvögel nutzte das Team Sägeracken (Motmots): farbenfrohe Vögel mit schillernden Federn, langen Schwänzen und scharfem Sehvermögen. Die Sägeracken wurden gefangen, mit den potenziellen Beutetieren konfrontiert und nach den Tests wieder freigelassen. Im Rahmen der Versuche machten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedene Beobachtungen: 

Um zu prüfen, ob die Matador-Wanze ihre roten Fahnen zur Abschreckung von Fressfeinden einsetzt, beobachteten die Autoren, wie Sägeracken (Motmots) auf sie und auf Grillen reagierten.

© Steven Paton/STRI

  • Die Motmots griffen nicht primär die Hinterbeinfähnchen an, was darauf hindeutet, dass diese nicht als Ablenkungsmanöver dienen. Das unterstützt die These der chemischen Abwehr.
  • Die Grillen wurden immer von den Vögeln angegriffen, allerdings erhielten die Insekten mit den angehefteten Fähnchen weniger Treffer.
  • Die Matador-Wanzen wurden aktiv gemieden und das unabhängig davon, ob sie Fähnchen hatten oder nicht – für die Forschungsgruppe ein Hinweis darauf, dass die Verzierungen nur ein Teil ihrer Verteidigungsstrategie sind.

‘Iss mich nicht!’-Signale

„Es war faszinierend zu sehen, dass schmackhafte Grillen, die wir mit den Fähnchen der Matador-Wanze ausstatteten, für ihre Fressfeinde sofort unattraktiver wurden“, wird Rubin in einer Mitteilung ihres Instituts zitiert. „Es scheint, dass dieses Warnsignal ausreicht, um die Vögel vorsichtig zu machen, aber die Wanzen selbst sind so gut mit ‘Iss mich nicht!’-Signalen ausgestattet, dass erfahrene Vögel sie auch ohne die Fähnchen nicht anfassen würden.“ 

Um zu zeigen, dass Anisoscelis alipes generell eine unangenehme Beute ist, wurden in einem weiteren Versuch Küken Grillen und Matador-Wanzen angeboten – für die Jungtiere bisher unbekannte Insekten. Auch hier schienen die Wanzen die Vögel auf unbekannte Weise zu warnen, damit sie sich fernhielten. Wenn die Küken dennoch angriffen, zeigten sie deutlich, dass ihnen die Wanzen nicht schmeckten: Sie schüttelten den Kopf und weigerten sich in der Regel, eine weitere Wanze zu fressen. Ganz anders bei den Grillen: Diese wurden sowohl bereitwillig angegriffen als auch begeistert verspeist.

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die Fähnchen den Vögeln signalisieren, dass Anisoscelis alipes keine leckere oder sichere Wahl ist. Die auffälligen Merkmale seien jedoch wahrscheinlich nur ein Teil einer komplexen Verteidigungsstrategie der Wanze, die sich im Laufe der Zeit entwickelt habe, um das Insekt vor dem Verzehr durch Vögel zu schützen.

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