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Sieht fast aus wie heute: Apparatur von Riva-Rocci, Abbildung von 1902.

© imago images/KHARBINE-TAPABOR

Heute vor 127 Jahren: Open Source Blutdruck

Der Druck in den Arterien gehört zu den wichtigsten medizinischen Werten. Ihn praktikabel zu messen, gelang zuerst einem Kinderarzt. Statt die Methode zu verkaufen, schenkte er sie der Welt.

Eine Kolumne von Richard Friebe

Man kann damit viel Geld verdienen. Sehr viel Geld. Der Blutdruck ist, neben dem Puls und der Körpertemperatur etwa, einer der wichtigsten sogenannten Vitalparameter. Aber während für den Puls ein Finger und eine Uhr und für die Temperatur ein simples Thermometer reichen, ist die Messung des Blutdrucks alles andere als trivial.

Es gibt heute eine fast unüberschaubare Zahl von Patenten für Blutdruckmessgeräte. Das erste für eine automatische Messung beispielsweise stammt von 1981. Und 2023 hat eine Gruppe von Wiener Forschenden versucht, sich einen Überblick über die „Patentlandschaft“ bei Apparaten für die kontinuierliche Blutdruckmessung zu verschaffen.

Ablass, aber kein Handel. Der Erfinder der Blutdruckmessung wollte kein Geld.

© picture alliance / dpa-tmn/Monique Wüstenhagen

Eins ihrer Ergebnisse: Sehr viele Medizintechnikfirmen arbeiten stetig an der Technik und melden Patente an. In den letzten zehn Jahren habe diese „Dynamik“ noch einmal deutlich zugenommen.

Druck und Gegendruck gleich Blutdruckwert

Die erste in der Praxis gut anwendbare Blutdruckmessmethode stammt von dem italienischen Arzt Scipione Riva-Rocci. Heute vor 127 Jahren, am 29. November 1896, stellte er sie vor. Das Prinzip: Aus einer zuvor aufgepumpten Oberarm-Manschette wird die Luft abgelassen. Der Arzt, die Ärztin, oder wer auch immer darin kompetent ist, erfühlt währenddessen, bei welchem per Manometer gemessenen Druck am Handgelenk wieder ein Puls zu spüren ist.

Die Methode wurde bald weiterentwickelt, etwa durch den russischen Militärarzt Nikolai Korotkow. Statt den Puls zu fühlen, horchte dieser per Stethoskop nach Blutverwirbelungen in der Arterie. Das erlaubte – in dem Moment, zu dem diese Geräusche wieder verschwanden – dann auch die Messung des diastolischen Drucks, also des unteren der beiden uns inzwischen so vertrauten Werte.

Verdienst statt Einkommen

Letztlich aber beruht alle nicht-invasive Blutdruckmessung bis heute auf dem Apparat und der Methode Riva-Roccis. Seine Kollegen sollen ihn bedrängt haben, sich das Ding patentieren zu lassen. Er lehnte stets kategorisch ab, obwohl auch ihm schon damals klar gewesen sein dürfte, dass er damit sehr viel Geld hätte verdienen können.

Stattdessen übersetzte er lieber Fachliteratur und veröffentlichte kontinuierlich Forschungsergebnisse. Vor allem aber blieb er Kinderarzt in Pavia.

Die Methode, die er der Welt im Wortsinne „geschenkt“ hatte, und die noch heute „Blutdruckmessung nach Riva-Rocci“, kurz „RR“, genannt wird, verbreitete sich schnell rund um den Globus. Der gute Doktor, der einer der reichsten Doktoren hätte werden können, starb 1937. Ursache war wahrscheinlich eine Krankheit, mit der er sich bei einem Patienten angesteckt hatte.

Liebe Leserinnen und Leser, nach einem Jahr ist dies der letzte „Tagesrückspiegel“. Die Redaktion sagt danke fürs Lesen und Mitdenken.

Lesen Sie alle Folgen der Tagesrückspiegel-Kolumne hier.

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