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Imponierend: Menschenaffe rast durch den Wald.

© Tagesspiegel/Patrick Eickemeier

Wildwechsel: Fies erfolgreich: Die schlimmen Schimpansen von Gombe

Eine Langzeitstudie in freier Natur liefert Hinweise: Rücksichtsloses Verhalten ist für manche Schimpansen ein Weg zum Erfolg. Aber warum verhält sich dann nicht jeder so?

Eine Kolumne von Patrick Eickemeier

Bei einer guten Show kann man einfach schwer weggucken. Äste rascheln im Unterholz des Waldes am Ufer des Tanganjikasees. Ein beachtlich großer gibt knackend nach und ein ausgewachsener männlicher Schimpanse schleift ihn raschelnd hinter sich her, während er mit Höchstgeschwindigkeit und möglichst großem Gepolter dicht an einer Gruppe von Weibchen mit ihrem Nachwuchs vorbeirauscht. Einer Gruppe von Männchen entgeht das Spektakel nicht und auch zwei menschliche Beobachter stehen etwas entfernt, einer macht sich Notizen.

Imponiergehabe ist fester Bestandteil des Verhaltensrepertoires von Schimpansen (Pan troglodytes). Im Gombe-Nationalpark in Tansania wird es seit über 60 Jahren dokumentiert. Hier begann die britische Verhaltensforscherin Jane Goodall die erste und heute längste ununterbrochene Verhaltensstudie am nächsten lebenden Verwandten des Menschen.

Tyrannisch, gierig und leicht reizbar

Schon die Jungen üben gelegentlich, was später Rivalen einschüchtern soll, wenn auch der Effekt noch ausbleibt. Wenn ein erwachsenes Männchen auf diese Weise seinen Führungsanspruch untermauert – oder erhebt – beeindruckt das die Weibchen. Zum Zielpublikum gehören aber auch andere Männchen, denen die Show anzeigen soll, wer im komplexen Sozialgefüge der Menschenaffen eine Spitzenposition belegen will und wer Prügel riskiert, wenn er es auch tun sollte.

Auf dem Weg nach oben haben einige Männchen besonders wenig Skrupel. Strategische Männerfreundschaften helfen ihnen gegen aufstrebende Widersacher, sodass es innerhalb der Gruppen selten zu direkten Auseinandersetzungen kommt, aber häufig zu Drohgebärden mit aufgestelltem Fell, Rempeleien und Sachdelikten, etwa wenn der Rivale von einer ergiebigen Futterquelle vertrieben wird.

In der Fachzeitschrift „PeerJ Life and Environment“ berichtet ein Team, unter der Leitung von Forschern der University of Edinburgh und der Duke University, jetzt über jahrelange, fast tägliche Beobachtungen von 28 männlichen Schimpansen. Es sind häufig Männchen mit wenig sympathischen Eigenschaften, die sich im Gefüge durchsetzen und die größte Nachkommenschaft haben. Sie sind tyrannisch, gierig und leicht reizbar. Doch die Frage drängt sich auf: Wenn Mistkerle so erfolgreich sind, warum sind dann nicht alle Schimpansen so?

Persönliche Lebenswege

„Es ist ein evolutionäres Rätsel“, sagt Joseph Feldblum, Hauptautor der Studie. Eine mögliche Erklärung ist, dass sich unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale zu verschiedenen Zeiten im Leben der Tiere auszahlen. Wenn aggressives Verhalten jungen Männchen Vorteile verschafft, könnte es sich rächen, wenn sie älter sind. „Denken Sie an die Persönlichkeitsmerkmale, die dazu führen, dass manche Menschen in der Highschool ihren Höhepunkt erreichen und andere erst später im Leben“, sagt der zweite Hauptautor Alexander Weiss. „Es ist ein Kompromiss.“

Ein Abgleich mit Daten aus den vergangenen 37 Jahren, die zum Teil von Jane Goodall persönlich gesammelt wurden, zeigte jedoch, dass dieselben Persönlichkeitsmerkmale über gesamte Lebensspannen hinweg mit hohem Rang und Fortpflanzungserfolg verbunden waren.

Die Vielfalt der Persönlichkeiten bei Schimpansen muss also anderes erklärt werden. Das Team vermutet, dass die vorteilhafteste Persönlichkeit je nach Umwelt- oder sozialen Bedingungen variiert. In Gombe würde also nur eine Art Zeitalter der Mistkerle herrschen. Eine andere Erklärung bezieht die Weibchen mit ein. Ein Merkmal, das für Männchen vorteilhaft ist, könnte sich für sie evolutionär eben nicht auszahlen, sagte Feldblum. Beides würde dafür sorgen, dass Anlagen für andere – nettere – Eigenschaften ebenfalls erhalten blieben.

„Frodo“ stammt aus einer hochrangigen Familie in Gombe und war fünf Jahre lang „Alpha“, auch dank seines rüpelhaften Wesens.
„Frodo“ stammt aus einer hochrangigen Familie in Gombe und war fünf Jahre lang „Alpha“, auch dank seines rüpelhaften Wesens.

© Ian C. Gilby, Arizona State University.

Jane Goodall fand in Gombe Grundlegendes über Schimpansen heraus, etwa, dass sie Werkzeuge benutzen und gelegentlich Fleisch fressen. Dass die Tiere Persönlichkeiten haben, ist aber wahrscheinlich das weitreichendste Ergebnis der Langzeitstudie, die Goodall als junge, nicht als Verhaltensforscherin ausgebildete Frau begann. Sie war offen für die Idee, anders als die Fachwelt zu dieser Zeit.

Goodall weist darauf hin, dass jeder Mensch mit Hund oder Katze weiß, dass Tiere Persönlichkeitsmerkmale haben. Ihr wurde jedoch mit großer Skepsis begegnet, als sie einige der Gombe-Schimpansen erstmals als „frecher“ oder „ängstlicher“ als andere beschrieb und einige als „anhänglich“ und andere als „kalt“.

Seither haben Forschende viele weitere Hinweise auf ausgeprägte Persönlichkeiten bei Tieren gefunden, von Vögeln bis hin zu Tintenfischen: Macken und Eigenheiten, die im Laufe der Zeit und in verschiedenen Situationen einigermaßen stabil bleiben. Persönlichkeitsbewertungen von Tieren seien von einem Beobachter zum nächsten genauso konsistent wie vergleichbare Messungen der menschlichen Persönlichkeit, sagt Alexander Weiss. „Die Daten stützen die Skepsis einfach nicht.“

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