zum Hauptinhalt
Segasira verlor beide Eltern, bevor er vier Jahre alt war.

© Dian Fossey Gorilla Fund

Wildwechsel: Wie Gorillas Schicksalsschläge überleben

Menschen, die als Kind Schlimmes erleben müssen, leiden oft lebenslang darunter und sterben jünger. Bei uns nah verwandten Berggorillas ist es etwas anders.

Eine Kolumne von Patrick Eickemeier

„Ich denke, das ist eigentlich eine hoffnungsvolle Geschichte“, sagt Stacy Rosenbaum. Die Wissenschaftlerin vom Dian Fossey Gorilla Fund und der University of Michigan erforscht in Ruanda Berggorillas (Gorilla beringei beringei). Die Tiere gelten als gefährdet, auch wenn die Schutzbemühungen so erfolgreich sind, dass sich der Bestand zuletzt positiv entwickelte. Es kommt weiterhin vor, dass ausgewachsene Tiere getötet werden oder Gruppen zerfallen. Übrig bleiben dabei oft Jungtiere. Ein Team um Rosenbaum hat untersucht, wie sich Schicksalsschläge wie der Verlust der Mutter, des Vaters oder der sozialen Gruppe auf ihr Leben auswirken.

Von anderen Primaten, etwa Pavianen oder Menschen, und auch von weiteren Tieren wie Pferden ist bekannt, dass sie lebenslang unter frühen traumatischen Erfahrungen leiden können und häufig eine geringere Lebenserwartung haben. „Ich glaube nicht, dass langfristige negative Auswirkungen universell sind“, sagt jedoch Rosenbaum. Schon die Fachliteratur über Menschen zeige ein komplexeres Bild. „Und unsere Forschung legt nahe, dass es auch für Tiere komplexer sein könnte.“

Segasira wurde kürzlich bereits im Alter von 17 Jahren zum ranghöchsten Männchen einer Gruppe.
Segasira wurde kürzlich bereits im Alter von 17 Jahren zum ranghöchsten Männchen einer Gruppe.

© Dian Fossey Gorilla Fund

Wie Menschen leben Gorillas lange und haben wenige Nachkommen, um die sie sich aber intensiv kümmern. In anderen Punkten unterscheiden sich die Menschenaffen aber vom Menschen. Sie ernähren sich alle ähnlich, sie treiben täglich Sport und rauchen und trinken nicht. Das macht sie zu einem guten Tiermodell, um die Auswirkungen früher negativer Ereignisse im Leben zu verstehen, sagen die Forschenden.

Wie Rosenbaums Team im Fachjournal „Current Biology“ berichtete, hatten sich einige junge Gorillas, die früh ihre Mutter verloren, bereits als widerstandsfähig erwiesen. Jetzt haben die Forschenden Langzeitdaten von 253 im Volcanoes National Park in Ruanda lebenden Berggorillas ausgewertet, die über 55 Jahre gesammelt wurden.

Sie identifizierten sechs verschiedene Arten von negativen Erlebnissen: Verlust von Mutter oder Vater, Kindstötung und Instabilität in der Gruppe, wenige Altersgenossen und ein konkurrierendes Geschwisterkind.

Gorillas, die vor ihrem sechsten Lebensjahr mehrere dieser Ereignisse erlebten, starben mit größerer Wahrscheinlichkeit noch als Jungtiere. Wenn sie jedoch bis zum Alter von sechs Jahren überlebten – also über die Gorillajugend hinaus –, erreichten sie hohe Lebensalter. Gorillas, die drei oder mehr der Ereignisse erlebt hatten, wurden sogar besonders alt. „Das ist ganz anders als bei anderen Arten“, sagt Rosenbaum.

Ubufatanye verlor vor ihrem sechsten Lebensjahr ihre Eltern und ihre Gruppe. Als erwachsenes Weibchen hat sie mittlerweile dreimal Nachwuchs aufgezogen.
Ubufatanye verlor vor ihrem sechsten Lebensjahr ihre Eltern und ihre Gruppe. Als erwachsenes Weibchen hat sie mittlerweile dreimal Nachwuchs aufgezogen.

© Dian Fossey Gorilla Fund

Die Forschenden vermuten, dass Gorillas, die stark genug waren, schwierige frühe Lebensereignisse zu überleben, Individuen sind, die eine höhere Lebenserwartung haben. Dass Jungtiere, die ihre Eltern verlieren, häufig überleben, könnte schlicht damit zusammenhängen, dass ihre Lebensräume mit üppigem Pflanzenwachstum sehr nahrungsreich sind. „Von Berggorillas sagt man, dass sie in einer riesigen Salatschüssel leben“, weiß Rosenbaum.

Doch es gibt weitere Gründe, die das Überleben traumatisierter Gorillas begünstigen. Die Waisen sind in den Gruppen nicht isoliert. „Das Jungtier verbringt nach dem Verlust seiner Mutter tatsächlich mehr Zeit in der Nähe anderer Gorillas, insbesondere des ranghöchsten erwachsenen Männchens“, berichtet die Co-Autorin Robin Morrison, „auch wenn es nicht sein biologischer Vater ist.“

Die starken Netzwerke könnten ein wichtiger sozialer Puffer sein, wie es auch beim Menschen nachgewiesen wurde. „Die Qualität unserer sozialen Beziehungen ist ein sehr wichtiger Prädiktor für unsere Gesundheit und Langlebigkeit“, sagt Morrison.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false