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Streitbar. Thilo Sarrazin auf dem Weg zur Anhörung vor der Schiedskommission der SPD.

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Update

SPD-Landesvorstand: Berliner SPD-Basis sieht Rot wegen Sarrazin

Keine Bühne mehr für Thilo Sarrazin: Nach dem Ende des Parteiausschlussverfahrens machen SPD-Mitglieder ihrem Unmut über die Einigung mit dem umstrittenen Bestsellerautor Luft.

Nach dem langen Osterwochenende bricht sich der Unmut in der Berliner SPD über die am Gründonnerstag ausgehandelte Einigung mit Thilo Sarrazin offen Bahn. Auf einer Krisensitzung des Berliner Landesvorstandes wurde am Dienstagabend mehr als drei Stunden lang heftig diskutiert. Der Ärger richtete sich dabei auch gegen die ebenfalls anwesende Generalsekretärin Andrea Nahles. Sie hatte für die Bundesspitze der SPD an dem Parteiordnungsverfahren gegen Sarrazin teilgenommen – und gilt vielen Genossen als eine Hauptverantwortliche für die umstrittene Einigung mit Sarrazin. Mehrere Mitglieder hatten bereits tagsüber ihren Austritt aus der Partei erklärt.

Am Abend vereinbarten die Genossen nach Auskunft von Teilnehmern, Sarrazin bei Veranstaltungen der Partei keine Bühne mehr zu bieten und sich inhaltlich mit seinen Thesen über Migration und Soziales auseinanderzusetzen. Das Ende des Ausschlussverfahrens wurde zur Kenntnis genommen, aber nicht nachträglich legitimiert. „Das Mandat war, den Ausschluss zu betreiben“, betonte der Friedrichshain-Kreuzberger Kreischef Jan Stöß am späten Abend erneut. Die Parteiführung habe verstanden, dass Mitglieder und Bevölkerung noch viel Erklärungsbedarf sähen. Aus Sicht von Christian Berg, Landeschef der Berliner Jusos, hat die Berliner SPD-Spitze versagt.

Eine Neuauflage des Ausschlussverfahrens gilt zwar theoretisch als möglich, aber praktisch als aussichtslos. Aus Sicht von SPD-Landesvize Marc Schulte wurde bei der Diskussion deutlich, „dass so ein Schiedsverfahren seine eigenen Gesetze hat“. Auch Landeschef Michael Müller betonte, dieser Weg sei nicht der beste für die Auseinandersetzung mit Sarrazin.

Dilek Kolat, Kreisvorsitzende in Tempelhof-Schöneberg, hatte bereits vorab darauf verwiesen, dass sowohl die Generalsekretärin als auch Bundesparteichef Sigmar Gabriel einst fundiert begründet hätten, warum Sarrazin mit seinen Thesen über Migration nicht mehr in die SPD gehöre. Die Kategorisierung von Menschen nach ihrem wirtschaftlichen Nutzen habe nichts mit der Meinungsfreiheit in einer Volkspartei zu tun, sagte Kolat. Sarrazins Erklärung („Mir lag es fern, in meinem Buch Gruppen, insbesondere Migranten, zu diskriminieren“) sei inhaltlich unvereinbar mit seinem umstrittenen Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ und deshalb in dieser Form inakzeptabel. Nahles schrieb am Dienstag in einem Brief an Präsidium und Vorstand der SPD, die Schiedskommission habe Sarrazin „gerade zu dem Einlenken bewegt, das mindestens notwendig war, um weiterhin Mitglied der SPD sein zu können“. Am Rande der Krisensitzung betonte sie, die Einigung sei das Ergebnis „eines unabhängigen Schiedsverfahrens“.

Nach Auskunft von Nahles und Sarrazin beruht die von Sarrazin abgegebene Erklärung auf einem Vorschlag der dreiköpfigen Schiedskommission des SPD- Kreisverbandes Charlottenburg-Wilmersdorf. Er habe sich am Donnerstag „konstruktiv mit den Handlungsbevollmächtigten von Bund, Land und Kreis auseinandergesetzt“, sagte der frühere Finanzsenator und einstige Bundesbankvorstand am Dienstag dem Tagesspiegel. „Ich habe keinen Anlass, jetzt Öl ins Feuer zu gießen.“ Auf die Frage, warum er unbedingt in der SPD bleiben wolle, erwiderte Sarrazin, dazu sei „alles gesagt“. Er sei im Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung tätig und im Übrigen „einfaches Mitglied“.

Genau darauf will ihn die Abgeordnete Ülker Radziwill reduzieren, die als Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Migration dem Landesvorstand angehört. Die SPD müsse jetzt deutlich machen, dass ihre Grundwerte „von diesem engstirnigen, reich gewordenen Rentner nicht beeinflusst“ würden. Nach der Krisensitzung sagte sie: „Es gab schon sehr viel Frust.“ Aber dank der Aussprache sei die allgemeine Ablehnung von Sarrazins Weltbild sehr deutlich geworden.

Ob der Streit um und mit Thilo Sarrazin der SPD im Jahr der Abgeordnetenhauswahl schadet oder nützt? Politikwissenschaftler Gero Neugebauer von der Freien Universität vermutet, dass es der Partei im Zweifel eher hilft: „Es war richtig, das Problem rechtzeitig vor dem Beginn des Wahlkampfes zu lösen.“ Zwar könne es linke SPD-Wähler motivieren, nun statt der Sarrazin-Partei vielleicht die Grünen zu wählen. Aber andererseits gebe es in der SPD auch viele Milieus, die beim Thema Einwanderung und Integration nach rechts tendieren und sich bestärkt in ihrer Wahl der SPD fühlen.

So gesehen wäre es nicht überraschend, wenn die als mühsamer Kompromiss dargestellte Einigung der SPD mit Sarrazin in Wirklichkeit von der Parteispitze schon vor dem Treffen am Gründonnerstag besiegelt war. Generell gehen Politikwissenschaftler allerdings davon aus, dass Wahlentscheidungen weniger danach getroffen werden, wer in einer Partei Mitglied ist, sondern danach, für welche Themen und Positionen sie steht.

Bei ihrer Wählerschaft mit türkischen Wurzeln hat die SPD zurzeit einen schweren Stand. Die Türkische Gemeinde in Deutschland distanzierte sich in scharfen Worten von dem Deal: Die Partei sei „vor den populistischen und rassistischen Sichtweisen eingeknickt“. Dass die SPD Sarrazins Papier für ausreichend halte, zeige, „dass sie gar nicht gewillt“ war, Sarrazin auszuschließen.

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