zum Hauptinhalt
In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 brannten die Nazis deutschlandweit Synagogen nieder, misshandelten Jüdinnen und Juden, verwüsteten ihre Wohnungen und Geschäfte. Die Pogromnacht war der Auftakt für die systematische Vernichtung der jüdischen Bevölkerung im Nationalsozialismus.

© dpa/Christophe Gateau

Antisemitismus in Berlin: So kann man sich gegen Judenhass engagieren

Jüdinnen und Juden haben in den vergangenen Wochen viel Hetze abbekommen. Doch es gibt viele Wege, sich in Berlin gegen Antisemitismus einzusetzen. Ein Überblick.

Seit dem 7. Oktober, als Hamas-Terrorist:innen in Israel einfielen, mehr als 1000 Menschen töteten und Hunderte als Geiseln nahmen, ist die Judenfeindlichkeit in Berlin aufgeflammt. Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) meldete jüngst ein Rekordhoch bei antisemitischen Vorfällen. Seit der Verein 2015 damit anfing, Judenhass in Berlin zu dokumentieren, gab es keinen Monat, in dem er so viele Fälle erfasste wie im Oktober 2023.

Zwischen dem 7. Oktober und dem 9. November 2023, dem Tag, an dem sich die Reichspogromnacht zum 85. Mal jährte, kam es in Berlin zu mindestens 282 antisemitischen Handlungen. Das entspricht im Schnitt mehr als acht Vorfällen pro Tag.

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) rief Anfang November dazu auf, sich für den Schutz von Jüdinnen und Juden einzusetzen. Antisemitismus zu bekämpfen, sei „Aufgabe der gesamten Gesellschaft“, sagte sie. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) sprach von einer „Bürgerpflicht“. Aber wie geht das? Wo kann man anfangen? Ein Überblick.

1 Über Antisemitismus lernen

Nur weil man als Schüler:in in Geschichtsstunden über die Nazizeit saß, heißt das nicht, dass man genug über Antisemitismus weiß. Nur wer Judenfeindlichkeit im Alltag erkennt, kann sich ihr entgegenstellen. Zahlreiche Bücher und Dokumentationen beschäftigen sich mit der Geschichte des Antisemitismus und seinen aktuellen Formen.

Lorenz Blumenthaler, Sprecher der Amadeu-Antonio-Stiftung für Antisemitismus und Rechtsextremismus, empfiehlt, die Stimmen jüdischer Menschen nicht zu vergessen. Er hat dazu einen Buchtipp: „Sicher sind wir nicht geblieben: Jüdischsein in Deutschland“ von Laura Cazés.

Andere Expert:innen empfehlen die Bücher von Samuel Salzborn, der mittlerweile Antisemitismusbeauftragter des Lands Berlin ist, etwa „Kollektive Unschuld. Die Abwehr der Shoah im deutschen Erinnern“. Über „Antisemitismus in der Sprache“ gibt es ein dünnes Buch von Ronen Steinke. Außerdem bietet die Bundeszentrale für politische Bildung in ihrem Onlineshop zahlreiche Publikationen zu Antisemitismus an, für maximal 4,50 Euro.

2 Empathie zeigen und sich solidarisieren

Eine weitere Möglichkeit, sich gegen Antisemitismus zu engagieren, ist, jüdischen Menschen das Gefühl zu geben, dass sie nicht allein sind. Das geht über Zuspruch, zum Beispiel in einer E-Mail, die Teilnahme an Veranstaltungen und, wenn nötig, eine Zeugenaussage bei der Polizei. Zudem kann man Menschen fragen, was sie brauchen.

Lorenz Blumenthaler von der Amadeu-Antonio-Stiftung sagt: „Seit dem 7. Oktober nehmen viele Jüdinnen und Juden ein dröhnendes Schweigen der Zivilbevölkerung wahr.“ Wer seine Solidarität auf die Straße tragen will, kann zu Mahnwachen und Demonstrationen gegen Antisemitismus gehen. Präsenz zeigen kann man in Berlin zum Beispiel jeden Freitag um 16 Uhr vor der Synagoge in der Brunnenstraße 33.

Blumenthaler empfiehlt den Instagram-Kanal „Jewish Resistance Alliance“, um sich über aktuelle Versammlungen zu informieren. Außerdem gibt es die Webseite www.mahnwachen-gegen-antisemitimus.org. Die Jüdische Gemeinde zu Berlin kündigt Aktionen auf ihrer Facebook-Seite sowie in ihrem Gemeindemagazin an.

3 Den Mund aufmachen

Jeder antisemitische Vorfall, ob strafrechtlich relevant oder nicht, sollte als solcher benannt werden. Wer sich dabei unsicher ist, dem kann das Projekt „stopantisemitismus.de“ helfen. Es hat 35 Zitate aus dem deutschen Alltag gesammelt; manche von ihnen sind offen antisemitisch, andere versteckt. Die Homepage erklärt, was an den Aussagen jeweils problematisch ist und wie man reagieren kann, wenn man sie im Alltag hört.

Wenn man zum Beispiel mitbekommt, wie ein Jude in Berlin für die Politik der israelischen Regierung verantwortlich gemacht wird, kann man darauf hinweisen, dass nicht alle Jüdinnen und Juden Israelis sind und nicht alle Israelis Juden. Man kann auch fragen: „Was hat dieser Mensch damit zu tun, was in Israel passiert?“

Beim Widersprechen geht es gar nicht unbedingt darum, das Gegenüber zu überzeugen. „Wichtiger ist oft, gegenüber Umstehenden, die unsicher sind, deutliche Positionierungen, gute Argumente und eine klare Haltung zu zeigen“, erklärt die Amadeu-Antonio-Stiftung auf ihrer Webseite.

Wer in Bus oder Bahn Zeuge eines antisemitischen Vorfalls wird, der sollte sich die genaue Stelle des Vorfalls notieren, idealerweise auch die Wagennummer. So ist es später einfacher, Material der BVG-Videoüberwachung zu nutzen, falls es zu einer Strafverfolgung kommt.

Bei antisemitischen Vorfällen an Schulen meldet man diese der Schulaufsichtsbehörde des Bezirks. Sieht man antisemitische Schmierereien, kann man diese über die Internetwache der Berliner Polizei melden. Dort kann man ein Onlineformular ausfüllen und beschreiben, was man beobachtet hat.

Alexander Rasumny von der Beratungsstelle OFEK sagt: „Bei einer Meldung ist es wichtig zu erwähnen, dass es sich bei der Schmiererei um eine antisemitische Schmiererei handelt. Die Polizei fordert den Hausbesitzer dann auf, sie zu entfernen.“ Wer antisemitische Aufkleber an Laternenmasten oder in der Bahn entdeckt, kann diese natürlich selbst abmachen. Aber Achtung! Vorher unbedingt dokumentieren, zum Beispiel auf Fotos, und den Fall melden.

Das geht bei der Dokumentationsstelle Rias. Sie sammelt über ihr Meldeportal www.report-antisemitism.de antisemitische Vorfälle, auch wenn sie strafrechtlich nicht verfolgt werden können.

Doch woran erkennt man antisemitische Symbole überhaupt? Dazu hat die Amadeu-Antonio-Stiftung eine kostenlose Broschüre veröffentlicht: „Deconstruct antisemitism! Antisemitische Codes und Metaphern erkennen“. Auch das Glossar der Analyse „From the River to the Sea: Israelbezogener Antisemitismus in Bayern 2021“ der Rias Bayern hilft.

4 Digital dagegenhalten

Antisemitismus widersprechen, Betroffene unterstützen, Diskriminierungen melden – das geht auch in digitalen Räumen. Antisemitismus im Netz kann dazu führen, dass sich jüdische Menschen aus sozialen Medien zurückziehen. Zudem schaffen die Plattformen Räume für Hass und Radikalisierung, was im schlimmsten Fall in tödlichen Gewalttaten enden kann – wie dem Anschlag von Halle 2019, bei dem der Täter versuchte, in eine Synagoge einzudringen und zwei Menschen erschoss.

Die Bildungsstätte Anne Frank hat eine online abrufbare „Argumentationshilfe für Antisemitismus im Netz“ veröffentlicht. Darin rät sie, Hasspostings zu melden, und liefert Vorschläge, wie man ausgewählten antisemitischen Aussagen widersprechen kann. Zum Beispiel könne man auf die Behauptung, Deutschland habe Antisemitismus über Einwanderung „importiert“, entgegnen, dass Antisemitismus in allen Schichten und gesellschaftlichen Gruppen vorkommt. Die Plattform „Oy Vey!“ bietet für Engagement im Netz vorgefertigte Instagram-Folien und Texte, die man kostenlos herunterladen kann.

5 Sich mit jüdischem Leben beschäftigen

„Sich mit jüdischem Leben zu beschäftigen, ist eine super Sache, aber es ist noch kein Engagement gegen Antisemitismus“, stellt Alexander Rasumny von OFEK klar. „Man kann sich gegen Antisemitismus engagieren, ohne sich mit jüdischem Leben zu beschäftigen.“ Trotzdem hilft es, wenn man die eigene Sensibilität für Antisemitismus schärfen will.

In Berlin gibt es täglich Veranstaltungen rund um jüdisches Leben. Zum Beispiel organisieren Marion Kollbach und Sonia Simmenauer zusammen mit der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (Kiga) regelmäßig einen „Jüdischen Salon“ an der Volksbühne. Dafür laden sie Gäste wie Eva Menasse, Carolin Emcke oder Max Czollek zum Gespräch ein. Der Eintritt kostet zwei Euro.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Wem das zu intellektuell ist, der kann Fußball gucken. Berlin hat nämlich einen jüdischen Sportverein, den TuS Makkabi Berlin. Im Oktober stellte der Verein seinen Betrieb kurzfristig ein, aus Sorge vor antisemitischen Attacken. Mittlerweile wurden die Sicherheitsvorkehrungen erhöht, und der Ball rollt wieder. Außer Fußball hat der TuS Makkabi Abteilungen für Basketball, Schach, Gymnastik, Tischtennis und Sportschießen.

Filmliebhaber können sich für den Sommer das Jüdische Filmfestival Berlin und Brandenburg vormerken. Es heißt „Jewcy Movies“ und wird das nächste Mal vom 18. bis 23. Juni 2024 stattfinden. Das Festival zeigt jüdische Filme aus aller Welt. Auf seiner Webseite heißt es: „Jüdische Themen werden diskutiert, jüdische Biografien werden erzählt und jüdisches Leben in all seiner ganzen Erfahrung, Tradition und Alltagskultur gezeigt.“

Im Jüdischen Museum Berlin kann man sich noch bis zum 14. Januar eine Ausstellung über jüdisches Leben in der DDR ansehen. Sonntags ab 11 Uhr lädt das Museum zu einem begleitenden Brunch ins Museumscafé (außer am jeweils ersten Sonntag eines Monats). Nach zwei Gängen gibt es eine einstündige Führung – und ganz zum Schluss: traditionell jüdischen Nachtisch. Preis: 28 Euro, ermäßigt 25 Euro.

Außerhalb des Museums lockt Berlin mit zahlreichen jüdischen Restaurants und Cafés. Viele Betreiber:innen berichten von drastisch zurückgegangenen Gästezahlen seit dem 7. Oktober, und Essen ist immer ein guter Weg, um eine Kultur kennenzulernen. Höchste Zeit also für eine kulinarische Entdeckungsreise. L’Chaim! Auf das Leben!

Hinweis: In einer früheren Version dieses Texts zitierten wir Robert Lüdecke von der Amadeu Antonio Stiftung. Das war ein Missverständnis, wir haben die entsprechenden Stellen korrigiert. Korrekt zitiert wird nun Lorenz Blumenthaler, der ebenfalls ein Sprecher der Stiftung ist.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
false
showPaywallPiano:
false