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Bundesinnenministerin Nancy Faeser am 09.11.2023 im Bundestag.

© IMAGO/dts Nachrichtenagentur/IMAGO/dts Nachrichtenagentur

„Nie wieder ist jetzt“: Politiker rufen zum Jahrestag der NS-Pogromnacht zum Schutz jüdischen Lebens auf

Anlässlich des 9. Novembers haben Regierungs- und Oppositionspolitiker die deutsche Verantwortung betont, Juden zu schützen.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hat zum 85. Jahrestag der NS-Pogromnacht von 1938 zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland heute aufgerufen. Dass Jüdinnen und Juden heute auch in Deutschland offenen Antisemitismus und Hass erlebten, sei unerträglich, sagte die SPD-Politikerin am Donnerstag im Bundestag.

Die historische Verantwortung Deutschlands für den Holocaust muss sich jetzt in konkretem Handeln zeigen.“ Bas wies auf die Lehre aus dem Holocaust hin, dass sich solche Mordtaten nie wiederholen dürften. „Nie wieder ist jetzt“, sagte sie.

Die Bundestagsdebatte verfolgten die 102-jährige Holocaust-Überlebende Margot Friedländer, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, und der israelische Botschafter Ron Prosor. Sie wurden zu Beginn der Sitzung mit langem Beifall begrüßt.

Faeser: „Nie wieder, meine Damen und Herren, ist jetzt“

Der Kampf gegen Antisemitismus in Deutschland ist nach Worten von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Aufgabe der ganzen Gesellschaft. „Nie wieder, meine Damen und Herren, ist jetzt“, sagte sie am Donnerstag in der Bundestagsdebatte „Historische Verantwortung wahrnehmen - Jüdisches Leben in Deutschland schützen“ in Berlin.

Sie erinnerte an die Reichspogromnacht vom 9. November 1938, den Beginn der Schoah, und betonte: „Die Erinnerung an diesen Zivilisationsbruch ist konstitutiv für unseren Staat und unsere Gesellschaft, genau wie das Versprechen: nie wieder.

Mit Verweis auf antisemitische Hetze online und offline seit den Hamas-Terrorangriffen in Israel fügte Faeser hinzu: „Unsere Demokratie toleriert keinerlei Judenhass.“

Wer Menschen angreife, müsse mit der ganzen Härte des Rechtsstaats rechnen. Wer Massenmord rechtfertige, wer Freiheitsrechte missbrauche, um unmenschliche Straftaten und Hass zu propagieren, könne sich auf den Schutz der Meinungsfreiheit nicht berufen.

„Aus Respekt gegenüber der Geschichte, aus Verantwortung für die Gegenwart und aus Sorge um die Zukunft: Deshalb halten wir dagegen.“

2023 seit nicht 1938

2023 sei nicht 1938, fügte sie hinzu. Heute könnten die angegriffenen Jüdinnen und Juden auf die Hilfe des Staates zählen, in dem sie leben. Auch die Gesellschaft sei gefordert. Antisemitismus sei ein Angriff auf die Würde der Menschen. Ihn zu bekämpfen, sei Aufgabe der gesamten Gesellschaft. „Wir sind lauter als diejenigen, die Hass verbreiten“, sagt Faeser.

Am 9. November 1938 waren die Nationalsozialisten von der Diskriminierung von Juden zu offener Gewalt übergegangen. Mehr als 1.300 Menschen wurden getötet und mindestens 1.400 Synagogen in Deutschland und Österreich stark beschädigt oder zerstört.

Mützenich: Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus ist bleibende Aufgabe

„Natürlich ist die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus eine bleibende Aufgabe“, sagte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich am Donnerstag im ARD-„Morgenmagazin“.

„Mit Sicherheit tragen wir alle Verantwortung dafür, was wir zurzeit sehen. Aber das ist nicht die Politik, das ist nicht die Schule, das sind nicht die Vereine, und das sind schon gar nicht die Religionsgemeinschaften alleine.“

Auch Außenministerin Annalena Baerbock verwies auf die Aufgabe, jüdisches Leben in Deutschland zu schützen. „Dass Jüdinnen und Juden in Deutschland sichtbar und ohne Angst leben können, bleibt unsere immerwährende Verpflichtung“, schrieb die Grünen-Politikerin auf der Plattform X, ehemals Twitter.

„Es ist unser aller Verantwortung, aus dem Bewusstsein um unsere Vergangenheit unsere Gegenwart zu gestalten. Nie wieder ist jetzt.“

Özdemir erinnert an die „republikanische Pflicht eines jeden Bürgers“

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat die Menschen in Deutschland zum gemeinsamen Schutz jüdischen Lebens aufgerufen. „Ich bin es leid, dass stets jüdische Organisationen zu Protesten gegen Antisemitismus aufrufen müssen“, sagte der Grünen-Politiker am Donnerstag im Bundestag.

„Es ist vornehmste republikanische Pflicht eines jeden Bürgers dieses Landes, von uns allen, sich dem antisemitischen Hass entgegenzustellen.“ Özdemir forderte auch, das Verhältnis zu muslimischen Dachverbänden zu überprüfen.

„Erst nach Aufforderung Antisemitismus auf Deutsch verurteilen, um danach auf Türkisch und Arabisch das Gegenteil zu sagen, das darf künftig nirgendwo mehr durchgelassen werden. Auch das wäre praktizierte deutsche Staatsräson.“

Der Grünen-Politiker rief junge Menschen dazu auf, sich nicht vor den Karren der Hamas oder anderer Terrororganisationen spannen zu lassen. „Sie missbrauchen Euch als nützliche Idioten. Es gibt Frieden und Freiheit für die Palästinenser nur mit dem Staat Israel, niemals gegen ihn.

Laschet ist beunruhigt über „Mischung aus rechtem, linkem und eingewandertem Antisemitismus“

Armin Laschet (CDU) sagte im „Morgenmagazin“: „Was mich beunruhigt, ist diese Mischung aus rechtem Antisemitismus, der immer da war seit 1945, dem linken Antisemitismus, dem intellektuellen, der das Ganze plötzlich intellektuell begründet, und dem eingewanderten Antisemitismus, den wir hier auf den Straßen in Berlin und in Paris und in London erleben. Diese Mischung und diese Bedrohungslage, die ist gefährlich und die ist in der Form neu.“

Dass es im Vorfeld der Sonderdebatte zum Schutz jüdischen Lebens im Bundestag keinen gemeinsamen Entwurf von Opposition und Regierung gegeben habe, bedauerten nach eigenen Aussagen sowohl Laschet als auch Mützenich.

„Ich werde alles dafür tun, dass wir in den Beratungen, in den Ausschüssen dann auch mit einem gemeinsamen Antrag herauskommen“, sagte Mützenich. „Es gibt auch gar keine Differenzen zwischen den demokratischen Parteien, was den Antisemitismus und letztlich auch die internationale Solidarität betrifft. Ich hoffe, dass wir keine scharfe innenpolitische Debatte heute führen.“ (dpa/epd)

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