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Hochdruckreinigung des †berlaufkanals Hohenstaufenstra§e
11792_Reinigung Regenüberlaufkanal Hohenstaufenstraße. Quelle: Joachim-Donath /Berliner Wasserbetriebe

© Joachim Donath/BWB

Bau der Berliner Kanalisation ab 1873: Dufte Idee mit den Abwasserrohren

In Folge 30 unserer Kolumne „Aus der Zeit“ über Berlin Wirtschaftsgeschichte geht es um den Aufbau der Kanalisation in der wachsenden Großstadt

Eine Kolumne von Beata Gontarczyk-Krampe

Jedes Jahr wiederholte sich das Drama: Der Winter neigte sich dem Ende, der Schnee schmolz und die kleine Panke verlor ihre Façon. Sie wurde wilder und breiter, irgendwann verließ der sonst kleine Fluss sein Bett, um angrenzende Grundstücke zu überfluten.

Woanders in der Stadt sah es kaum besser aus. Jeder Starkregen wirkte wie eine Katastrophe, da bis die zweite Hälfte 19. Jahrhunderts Berlin über keine Kanalisation verfügte. Die Berliner verließen sich auf Gruben, Rinnsteine und Hausgossen. Heftige Niederschläge spülten ihren unappetitlichen Inhalt direkt auf den Damm.

Das war nicht nur höchst unangenehm, sondern auch lebensgefährlich, Stichwort „Cholera“. Ärzte, Ingenieure und Sozialreformer wie Rudolf Virchow und James Hobrecht schlugen Alarm: ohne funktionierende Abwasserkanalisation werde sich Berlin bald in einer Mistgrube verwandeln.

Humor verlieren die Berliner auch dann nicht, wenn die Stadt unter Wasser steht – Gruß aus der „Seestadt Lichtenberg“ auf einer Postkarte von 1898.
Humor verlieren die Berliner auch dann nicht, wenn die Stadt unter Wasser steht – Gruß aus der „Seestadt Lichtenberg“ auf einer Postkarte von 1898.

© Stiftung Stadtmuseum Berlin

Um ihre Hofgruben seltener leeren zu müssen, kippten viele Berliner ihren Abfall und Fäkalien in die bis zu einem Meter breiten und tiefen Rinnsteine. Oder direkt in die Spree. Die Dringlichkeit der Lage erkannte man zwar früh, leider zog sich die Planung der Lösung über Jahrzehnte hin.

Auch nach dem Bau der Kanalisation gab es Überschwemmungen: hier in der Yorckstraße am 14. April 1902, dem bis 1959 stärksten Regen in Berlin.
Auch nach dem Bau der Kanalisation gab es Überschwemmungen: hier in der Yorckstraße am 14. April 1902, dem bis 1959 stärksten Regen in Berlin.

© privat

Nach vielen verworfenen Plänen (unter anderem von Eduard Salomon Wiebe, den Erbauer der Preußischen Ostbahn, auf der Strecke Berlin-Königsberg-Eydtkuhnen) und Streitereien über die Kosten und Zuständigkeiten, fing man 1873 an, die Berliner Kanalisation zu bauen. Es dauerte weitere 20 Jahre, bis man von einem Kanalisationssystem sprechen konnte. Aber es war eines, der die Welt beeindruckte.

James Hobrechts Radialsystem, das die Stadt in zwölf Abschnitte teilte, um das Abwasser durch ein Netzwerk von gemauerten Leitungen mit Pumpwerken und der Schwerkraft auf die von der Stadt aufgekaufte Rieselfelder um Berlin fließen zu lassen, war so beeindruckend und effektiv, dass Städte wie Tokio, Kairo und Moskau das Berliner System kopierten.

Großzügig geplante Kanäle – die Stadt sollte doch noch wachsen – könnten auch die starken Niederschläge auffangen. Heute verfügt Berlin über rund 3300 Kilometer Regenwasserleitungen, was der Autostrecke von Berlin bis in den Süden der Türkei entspricht.

Sie sind nicht das einzige, das die Stadt von Überschwemmungen schützt: auch die rund 1900 Kilometer Mischkanäle dienen dem Zweck. Das sind die älteren Kanäle hauptsächlich im Zentrum, die für Hausabwasser und – wenn nötig – auch für Regenwasser benutzt werden.

Noch mehr Kanäle kann man aus Platzmangel unter Mitte, Moabit oder Kreuzberg leider nicht bauen – da helfen die unterirdische Regenüberlaufbauwerke, wie das gigantische Regenwasserdepot unter dem Mauerpark. Es kann fast 7500 Kubikmeter auffangen. 2026 soll auch Berlins größte „Regentonne“ – das Regenüberlaufbecken an der Chausseestraße mit dem Fassungsvermögen von fast 17.000 Kubikmetern – fertig werden. Er wird den Regen aus Berlin-Mitte auffangen, um Überläufe in die Spree zu verhindern.

Neue Konzepte, wie in dem Grünauer Quartier 52° Nord, wo das Regenwasser von den Dächern und Gehwegen in ein großes offenes Auffangbecken hereinfließt, werden getestet. Die Herren Virchow und Hobrecht fänden das bestimmt dufte.

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