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Regierender Kai Wegner (CDU) lobte die Arbeit der Azubi-Berater in den Unternehmen.

© Tagesspiegel/Thomas Loy

Berliner Azubimesse: Schulabgänger fürchten Kürzung von Sozialleistungen

In den Messehallen des Hotel Estrel in Neukölln buhlen 70 Unternehmen um Jugendliche ohne Ausbildungsplatz. Doch manche schrecken vor einer Lehre zurück.

Die Firma Frisch & Faust Tiefbau sucht Lehrlinge, „jedes Jahr 30“, sagt Ausbildungskoordinator Helmut Arndt. Wenn sie die Hälfte der Stellen besetzen können, seien sie schon froh. 120 Praktikanten nehmen sie jedes Jahr in den Betrieb, rund zehn Prozent bleiben „kleben“, machen also eine Ausbildung.

Dafür tut der Betrieb mit 160 Mitarbeitern einiges, vor allem in den Schulen – lässt den Nachwuchs Flächen berechnen oder fragt, mit welchem Gefälle Abwasserrohre verlegt werden. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) schätzt zehn Prozent, die Leiterin der Agentur für Arbeit, Ramona Schröder, legt nochmal zehn Prozent darauf. Arndt lacht. Wieder zwei in die Falle getappt. Das Gefälle liege zwischen 0,5 und einem Prozent, sonst würden die Rohre ja in der Tiefe verschwinden.

Frisch & Faust ist einer von 70 Betrieben, die am Donnerstag im Estrel Convention Center um Auszubildende buhlen. Die Messe „Nicht ohne Ausbildung in die Ferien“ findet jedes Jahr um diese Zeit statt, nach den Ferien gibt es dann noch eine „Last-Minute-Börse“, um kurz vor Ausbildungsbeginn noch Stellen und Bewerber zu matchen. In Berlin werde eine Menge getan, um den Übergang von der Schule in den Beruf für die unterschiedlichsten Bewerber zu ebnen, sagt Möller. Er könne das beurteilen, er habe schon woanders gearbeitet.

Tiefbauer Helmut Arndt zeigt Kai Wegner und der Leiterin der Regionaldirektion der Arbeitsagentur, Ramona Schröder, wie ein Abwasserrohr verlegt wird.
Tiefbauer Helmut Arndt zeigt Kai Wegner und der Leiterin der Regionaldirektion der Arbeitsagentur, Ramona Schröder, wie ein Abwasserrohr verlegt wird.

© Tagesspiegel/Thomas Loy

Auf der Messe liegt das Betreuungsverhältnis denn auch – geschätzt – bei 3:1. Auf einen Bewerber kommen mehrere Ausbildungsverantwortliche und Azubis aus den Betrieben oder Mitarbeiter von den Jugendberufsagenturen. Die Jobprofis von den Agenturen agieren wie Headhunter, sprechen Jugendliche an, die etwas ratlos herumlaufen, und schwärmen ihnen von diversen Branchen vor. Die meisten haben eine persönliche Einladung zur Messe erhalten, insgesamt 10.000 Einladungen wurden verschickt, erzählt Möller. Wenn ein Drittel davon erscheine, sei das ein Erfolg.

Nach Angaben der Agentur für Arbeit sind derzeit noch 16.885 Jugendliche auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz, auf der anderen Seite sind 14.442 offene Azubi-Stellen gemeldet. Dass ihm das Thema wichtig ist, will der Regierende mit einem Messe-Rundgang unter Beweis stellen. Schon am dritten Stand stößt er auf ein massives regulatorisches Hindernis.

Ulrike Werner von der Bäckereikette Steinecke erzählt Wegner, dass potenzielle Azubis wieder abspringen, wenn ihre Eltern erfahren, dass das Azubi-Gehalt auf die Sozialleistungen angerechnet wird. Wegner findet das falsch, „Leistung muss sich lohnen“, und verspricht, das Problem zu thematisieren, auch wenn er als Landespolitiker keinen direkten Einfluss auf die Bundesgesetzgebung habe.

Die fanden gut, dass ich was mache und nicht zu Hause faul herumsitze.

Enes Akin, Bäcker-Lehrling

Vom Bäcker-Azubi Enes Akin, zweites Lehrjahr, möchte Wegner wissen, was seine Freunde dazu gesagt hätten, dass er Bäcker lernt. „Die fanden gut, dass ich was mache und nicht zu Hause faul herumsitze“, sagt der Jugendliche. Eigentlich ist er zufällig im Bäckerhandwerk gelandet, er sei aber jetzt „sehr zufrieden“ und bereue nichts.

Steinecke lockt Bewerber mit „übertariflicher Bezahlung“ (1. /2./3. Lehrjahr 900/1000/1100 Euro) und „Ausbildung um die Ecke“. Gegenüber sucht die Biobäckerei Beumer & Lutum auch händeringend Nachwuchs. Sie haben gleich eine ganze Theke mit kostenlosen Backwaren zum Direktverzehr aufgebaut.

10.000
Jugendliche ohne Azubi-Platz wurden eingeladen

Bäderbetriebe und BSR bekommen Besuch von Wegner, der ist erstaunt, was es für unterschiedliche Ausbildungsjobs bei den Bäderbetrieben gibt, „ist ja Wahnsinn“. Der älteste Bäderbetriebe-Azubis ist derzeit 53, der jüngste 15, wird ihm erzählt. „Toll, was Sie da leisten.“ Auch bei der BSR halten sich die Nachwuchssorgen in Grenzen.

Beim Technologiekonzern ABB präsentieren sich nur junge Frauen. „Toll“, findet Wegner, „früher bei Siemens habe ich nur Jungs gesehen“.

Aüsein Simsek und sein Kumpel Enes Kaya sind bester Stimmung, haben sich schon die Taschen mit Flyern vollgestopft. Simsek hat eine Ausbildung bei Rewe angefangen, aber wieder abgebrochen, weil er mit den Kollegen und den Lehrern in der Berufsschule nicht zurechtkam, wie er erzählt. Jetzt möchte er mal etwas anderen ausprobieren. Eine Frau von der Jugendberufsagentur spricht ihn an, schwärmt von ABB und Borsig, den Lokomotiven, die dort mal gebaut wurden, von den Gleisbauern der BVG.

„Können Sie was empfehlen, wo man gut Geld macht?“ fragt Simsek. Es sollte aber auch irgendwie zu ihm passen, bloß kein Einzelhandel mehr. 900 Euro netto im ersten Jahr, da kämen inzwischen fast alle heran, sagt die Jobvermittlerin. Da könne er sich nach Belieben umschauen.

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