
© Tagesspiegel/Lydia Hesse
Neue Bundesregierung will sich auf dem Euref-Campus feiern: Welche Signale Berliner Eventorte an die Welt senden
Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung soll am 5. Mai im Schöneberger Gasometer präsentiert werden – vor 800 Gästen inklusive Weltpresse. Kann man machen. Wir hätten noch ein paar andere Ideen.
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Berliner Politiprominenz trifft sich gerne auf dem Euref-Campus, dem alten Gasag-Gelände, das erfolgreich zu einer Innovationsschmiede für Elektromobilität ausgebaut wurde. Das hat Tradition, seit Günther Jauch ab 2011 im noch unsanierten Gasometer vier Jahre lang zu seiner wöchentlichen Talkshow im „Ersten“ einlud.
„Wir hatten schon mal einen Parteitag der Linken, mit Nina Hagen. Die SPD hat bei uns ihren Kanzlerkandidaten Olaf Scholz vorgestellt. Wir freuen uns über jeden, der unsere Ideen teilt“, sagt Euref-Chefin Karin Teichmann. Das schließt die AfD ausdrücklich aus.
Jetzt möchten CDU und SPD ihren Koalitionsvertrag im Gasometer-Saal auf dem Euref-Gelände der Weltöffentlichkeit präsentieren, mit 800 geladenen Gästen, wie der Tagesspiegel-Checkpoint berichtet. Die CDU-Parteizentrale, die das Event organisiert, gibt sich zugeknöpft, will noch nichts verraten.
Die Ampel hatte sich im Futurium präsentiert
In Sachen Inszenierung eines schlichten Papierstapels hat die Ampel-Regierung Standards gesetzt. Am 7. Dezember 2021 luden SPD, Grüne und FDP zur Unterzeichnung des Koalitionsvertrags ins Berliner Wissenschaftsmuseum Futurium ein. Das passte gut zur selbsternannten „Fortschrittskoalition“. Der Vertrag hatte den Titel: „Mehr Fortschritt wagen“.
Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigten interne Szenen aus den Koalitionsverhandlungen. Eine eigens dafür installierte Deckenkamera filmte den Moment des Unterschreibens. Großes Kino, das den neuen Spirit gemeinsamen Handels transportieren sollte. Was danach geschah, ist bekannt.

© Christian Kruppa/Euref
Der Euref-Campus verkörpert nahezu perfekt die Transformation alter schmutziger Industrie zu sauberen High-Tech-Lösungen für den Ausstieg aus der Kohlenstoffwirtschaft. Der im vergangenen Jahr eingeweihte Saal im Gasometer ist mit allen Finessen der Veranstaltungstechnik ausgerüstet, das dürfte hilfreich sein, den Vertragsunterzeichnung buchstäblich in bestes Licht zu rücken.
Auf den oberen Gasometer-Etagen ist allerdings die Deutsche Bahn eingezogen, um ihre Digitalisierung voranzutreiben. Das könnte für einige Häme sorgen. Das größte Schienen-Unternehmen Europas hat inzwischen auch im Ausland eher ein Loser-Image.
Einige Orte wollen per se keine Parteien
Ein ähnlich prosperierender Ort mit Transformations-Aura wäre der Technologiepark Adlershof, doch dort gibt es bislang keine ausreichend großen Räume. Zudem hat sich die landeseigene Betreibergesellschaft Wista – ähnlich wie andere öffentliche Institutionen – eine strikte Abstinenz von parteipolitischen Veranstaltungen auferlegt.

© dpa/Michael Kappeler
Wista-Chef Roland Sillmann freut sich aber auch über den Erfolg der Konkurrenz: „Ich begrüße die Entscheidung, den Koalitionsvertrag an einem der elf Berliner Zukunftsorte zu unterzeichnen. Dieses Netzwerk aus den elf Orten steht für Kooperation und Austausch – insbesondere von Wissenschaft und Wirtschaft – um die Zukunft positiv zu gestalten.“
Das Estrel-Hotel in Neukölln beherbergt häufig Parteitage, ist aber Ende April schon mit der „International Cannabis Business Conference“ am Start, da könnten noch Restmengen Cannabisblütenstaub die Schleimhäute reizen. Für eine drogenfeindliche Partei wie die CDU eine Zumutung.
Andererseits könnte der künftige Kanzler Merz auf den Mut der Hotelierfamilie Streletzki verweisen, die mitten in der Stagnation den höchsten Hotelturm der Stadt baut. Und nebenan verläuft die Baustelle für die östliche Verlängerung der Stadtautobahn.
Weltpresse nur nicht zu nah an die kaputte Brücke führen
Auf der westlichen Seite der Stadtautobahn bietet sich derzeit ein ganz anderes Bild: Abbruch statt Aufbruch. Angeschlossene Zukunftsorte wie der ehemalige Flughafen Tegel (Urban Tech Republik) mit seinem voluminösen Lufthansa-Wartungshangar kommen wegen des Nadelöhrs am Dreieck Funkturm kaum infrage. Alle Welt würde mit der Nase auf das deutsche Brückendesaster gestoßen. Eher ungünstig.

© IMAGO/Bernd Elmenthaler
Die Berliner Messegesellschaft könnte zum gewünschten Zeitpunkt wohl noch ihre schicken Konferenzzentren hub27 oder CityCube bieten. Aber die liegen in Nachbarschaft zum ICC (belastet mit Asbest und anderem Kummer) und Bauten aus der Nazizeit, die sich – genau wie Abflughalle des alten Flughafens Tempelhof – eher nicht als Kulisse für eine Inszenierung einer Koalition des Aufbruchs eignen. Und auch hier behindert die kaputte Brücke die Anfahrt.
Jetzt kommen wir aber mal zu den Hidden Champions der Berliner Eventkultur: Die Wilhelmhallen, eine ehemalige Eisengießerei im östlichen Reinickendorf, 1902 errichtet, bietet Flächen für jede gewünschte Zahl von Gästen, außerdem eine eigene Kantine fürs Catering. Hier könnten die Gäste auf die Pioniere der industriellen Revolution anstoßen und schöne Parallelen zur Gegenwart ziehen.

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Oder noch ein Schritt mutiger: Das Philipp-Morris-Gelände in Neukölln. Dort wird mit dem Projekt NLND (gesprochen „Neuland“, guter Slogan!) um Veranstalter und neue Investoren geworben. Riesige Hallen, die sich über 150.000 Quadratmeter erstrecken, kann sonst kaum noch jemand bieten in Berlin.
Hier riecht es nach Tabak von früher und – wenn der Wind richtig steht – frischem Kaffee einer nahen Rösterei, also nach legalen Politiker-Drogen, die sicher viel konsumiert worden sind während der Verhandlungen. Das Areal gehört noch einem Konzern aus den USA. Die deutschen Antiraucherkampagnen haben über das Profitstreben von Dealmakern wie Donald Trump auf Kosten der öffentlichen Gesundheit gesiegt. NLND böte also eine gute Kulisse: vielleicht für die Präsentation der nächsten Gesundheitsreform.
Mitarbeit: Felix Hackenbruch, Stefanie Witte
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