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Kitakinder (Symbolbild).

© imago/biky

Bezirk erwartet weniger Kinder: Beliebter deutsch-türkischer Kita in Berlin-Kreuzberg droht die Schließung

Die in ganz Berlin gefragte Europakita soll nach einem Gebäude-Abriss in wenigen Jahren wegfallen. Eltern wehren sich, der Bezirk beschwichtigt – und verweist auf den Träger.

Bei einem scheinen sich alle sicher: Der deutsch-türkische Campus an der Blücherstraße in Kreuzberg ist einzigartig. Von der Kita bis zum Abitur können hier Kinder und Jugendliche ihre Bildung in den zwei Sprachen durchlaufen. Doch das einmalige Berliner Ensemble – wichtige Anlaufstelle für die deutsch-türkische Community – ist bedroht. Denn in sechs Jahren wird der Kitabetrieb auf dem Gelände voraussichtlich enden.

Auf dem Gelände zwischen Urban- und Blücherstraße in Friedrichshain-Kreuzberg gibt es mit der Europakita, der Aziz-Nesin-Grundschule und der Carl-von-Ossietzky-Schule drei Einrichtungen mit einem bilingualen deutsch-türkischen Konzept. Das Grundschulgebäude, in dem sich die Kita befindet, ist baufällig und muss abgerissen werden. Die Schule wird neu errichtet, aber ein neuer Kita-Bau ist nicht geplant. Darüber hat der Kita-Träger, die Arbeiterwohlfahrt Mitte (Awo), die Eltern der Kita-Kinder Ende des vergangenen Jahres informiert.

Dabei ist die deutsch-türkische Vorzeigekita, die es seit 1976 gibt, stadtweit gefragt: Eltern kommen nach eigenen Angaben aus Steglitz oder Wedding, um ihre Kinder dort unterzubringen. Bei rund 80 Plätzen kann die Kita aktuell nur etwa zehn bis zwanzig Prozent der Interessenten aufnehmen. Zwar gibt es laut Bildungsverwaltung knapp 100 Kitas in Berlin, die auch unter Einbezug von Türkisch mehrsprachig arbeiten. Doch die Europakita ist eine der wenigen Einrichtungen, die ein echtes bilinguales Konzept vorweisen kann.

Türkischer Bund fordert Erhaltung der Kita am Standort

Der Türkische Bund Berlin-Brandenburg (TBB) fordert von den politisch Verantwortlichen im Bezirk, dass die Kita am Standort bestehen bleibt. Diese habe „einen bedeutenden Beitrag zur gesellschaftlichen Partizipation und beispielhaften Diversifizierung der Berliner Stadtgesellschaft“ geleistet, hieß es in einer Mitteilung des TBB. Kinder und Enkelkinder der ersten und zweiten Generation der Arbeitsmigranten sowie der neuen Einwanderer aus der Türkei und türkischsprachigen Ländern hätten dort ein Zuhause gefunden.

Frühkindliche Erziehung in zwei Sprachen: Guten Appetit auf Deutsch und Türkisch.
Frühkindliche Erziehung in zwei Sprachen: Guten Appetit auf Deutsch und Türkisch.

© imago/biky

Doch der Bezirk geht von einer sinkenden Anzahl an Kitakindern im Einzugsgebiet in den nächsten Jahren aus. Ein neuer Kitabau auf dem Campusgelände ist daher nicht Teil der Planung. Stattdessen machte der Bezirk einen Alternativvorschlag, der aber vom Kita-Träger Awo abgelehnt wurde.

Träger lehnt Ringtausch bei Kita-Standorten ab

Laut Jugendstadtrat Max Kindler (CDU) wurde eine Art Ringtausch vorgeschlagen: Die Europakita könne nach Abriss des alten Gebäudes in die ebenfalls von der Awo betriebene Naturkita Löwenzahn ziehen, die an das Campusgelände angrenzt. Die Löwenzahn-Kita selbst wiederum könne dann in ein neues Wohngebiet an der Franz-Künstler-Straße ziehen.

Diesen Plan skizzierte Kindler vergangene Woche bei der Sitzung des bezirklichen Jugendhilfeausschusses vor aufgebrachten Eltern. „Jetzt liegt es an der Awo, sich einen Ruck zu geben, in das naturnahe Angebot an die Franz-Künstler-Straße umzuziehen“, sagte Kindler.

Überall wird über Vielfalt gesprochen und geschrieben, und Berlin schmückt sich gern damit. Aber hier wird sie wirklich gelebt.

Mutter eines Kitakindes

Die Awo wiederum sieht das anders. Den Vorschlag könne man nicht realisieren, weil die Kita Löwenzahn ein besonderes, naturnahes Konzept habe und an den Standort gebunden sei, sagte der Vorsitzende des Awo Kreisverbands Mitte, Manfred Nowak, dem Tagesspiegel. Auch die Awo wünsche sich, dass es auf dem erneuerten Campus weiterhin eine deutsch-türkische Kita gebe. Als Träger habe man „viel Verständnis für das Begehren der Eltern und die deutsch-türkische Community“.

Elif Eralp, migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, kritisiert das Vorgehen des Bezirks: Die Kita decke einen Teil eines großen Bedarfs der 200.000 Berliner mit türkischsprachigem Hintergrund ab, die in Berlin „viel zu wenig bilinguale und mehrkulturelle Angebote für ihre Kinder“ wahrnehmen könnten. „Den Bedarfen dieser Community gerecht zu werden, ist Aufgabe der Politik und diese Verantwortung können die Stadträte Kindler oder Hehmke nicht einfach auf die Awo abwälzen“, sagte sie.

Schulstadtrat Andy Hehmke (SPD) beschwichtigt: „Das bilinguale deutsch-türkische Angebot von der Kita bis zum Abitur an der Blücherstraße ist einmalig in der Stadt.“ Der Campusgedanke funktioniere nur, wenn dieses Angebot weiter bestehen bleibe. „Daher setze ich mich für den Erhalt der Kita auf dem Campus ein“, sagte Hehmke.

Diese Woche wolle man das weitere Vorgehen besprechen. Den Türkischen Bund und die Eltern des Bezirks zum Gespräch einladen. Die wiederum hoffen, dass ihre Kita auf dem Campus bleiben kann. „Überall wird über Vielfalt gesprochen und geschrieben, und Berlin schmückt sich gern damit. Aber hier wird sie wirklich gelebt“, sagte eine Mutter im Jugendhilfeausschuss. Aus ihrer Sicht wäre es ein Armutszeugnis, das nicht fortzuführen.

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