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Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung - BVV - von Treptow-Köpenick im Rathaus Treptow.

© Kitty Kleist-Heinrich

Bezirke: Wie Berlins Stadträte über Parteigrenzen hinweg arbeiten

Vor zwei Jahren startete nicht nur ein neuer Senat. Auch in den Bezirken änderte sich manches. Wir stellen fünf Stadträte und ihre Arbeit vor.

Seit zwei Jahren wird Berlin rot-rot-grün regiert. Ganz Berlin? Nein, in den Bezirken ist das Kollegium, also der Bürgermeister und seine vier Stadträte, nicht politisch, sondern entsprechend dem Stärkeverhältnis der Fraktionen in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) besetzt. In den zwölf Bezirksämtern müssen nicht nur drei, sondern bis zu fünf Parteien kooperieren: SPD, CDU, Grüne, Linke und die AfD. Die stärkste Fraktion oder eine Zählgemeinschaft aus mehreren Fraktionen stellt den Bezirksbürgermeister. Die BVV wählt alle fünf Bezirksamtsmitglieder. 

Die einen wollen neue Radstreifen, die anderen beschweren sich über zu viel Lärm im Park: Stadträte sind für viele Einwohner die Ansprechpersonen bei einer Vielzahl an Themen. Zu viert verwalten sie zehn Fachämter. Der Bezirksbürgermeister kümmert sich neben seinem Amt um Finanzen und Personal. Vor der Bezirksreform in 2001, bei der aus 23 Berliner Bezirken zwölf neue entstanden, gab es dafür mehr Personal. „Früher hatten wir auf der Fläche von Pankow 21 Stadträte“, sagte Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) kürzlich in der BVV Pankow.

2019 könnten die Stadträte um eine Person pro Bezirk verstärkt werden. Eine für Mai geplante Verwaltungsreform soll die Bezirksämter effizienter machen und die Kommunikation mit dem Senat verbessern. Im November wurde bei einem Treffen der Bezirksbürgermeister mit dem Senat ein Diskussionspapier beschlossen. Neben der Personalausstattung der Bezirksämter geht es darin auch um die Prozesse zwischen Senat und Bezirken. Denn bei unbeliebten Themen wird der Ball gerne mal von einer Verwaltungsebene zur anderen gespielt.

Gordon Lemm

Bezirk: Marzahn-Hellersdorf

Alter: 41 Jahre

Partei: SPD

Schule, Sport, Jugend und Familie

Nach der Sommerpause stand ein ungewöhnlicher Vorgang in Marzahn-Hellersdorf an. Die Bezirksverordneten mussten Bürgermeisterin Dagmar Pohle im Amt bestätigen. Die Linken-Politikerin hatte die Pensionsgrenze erreicht. Eigentlich war die Zustimmung eine Formalie. Doch die SPD nutzte den Vorgang, um mehr Unterstützung aus dem Bezirksamt für ihren Stadtrat Gordon Lemm einzufordern.

Die Episode zeigt, unter welchem Druck der Sozialdemokrat steht. Lemm ist zuständig für Schule, Sport, Jugend und Familie. Fast jeder dieser Bereiche könnte für sich genommen eine Arbeitswoche ausfüllen, ihre Bündelung ist ein Kraftakt. Der Mangel an Betreuungsplätzen und die Enge an den Schulen sind berlinweit bekannt. Im Fall von Marzahn-Hellersdorf kommt eine verfestigte Kinderarmut hinzu: mit einem Förderbedarf bei 60 Prozent der Schulanfänger, 1000 Kinderschutzfällen und Rekordausgaben von 81 Millionen Euro für Hilfen zur Erziehung im vergangenen Jahr.

Lemm strahlt trotz allem Gelassenheit aus. Der Stadtrat ist mit Bezirk und Politik gleichermaßen verwachsen. Er stammt aus der Großsiedlung, wurde 2006 Bezirksverordneter und 2011 Fraktionschef. Zugleich wurde er Referent des damaligen Pankower Bürgermeisters Matthias Köhne. Mit dem Kampf gegen die Vernachlässigung von Kindern meint er es ernst: Lemm will die Prävention massiv ausbauen. Dass er alle Verwaltungsbereiche dafür verantwortet, ist seine Chance. Bislang jedoch sieht es so aus, als wären die Probleme für einen Stadtrat allein einfach zu groß.

Michael Grunst

Bezirk: Lichtenberg

Alter: 48 Jahre

Partei: Linke

Bezirksbürgermeister

Wahlen in Lichtenberg gewinnt seit vielen Jahren die Linke. Trotzdem hatte der Bezirk zuletzt mit Andreas Geisel und Birgit Monteiro Bezirksbürgermeister von der SPD, gestellt durch eine Zählgemeinschaft mit Grünen und CDU. Erst seit Dezember 2016 ist mit Michael Grunst wieder ein Linker am Steuer. Zuvor war er unter anderem Stadtrat für Jugend und öffentliche Ordnung – im Nachbarbezirk Treptow-Köpenick.

Die Grünen sind nur noch mit zwei Bezirksverordneten repräsentiert. Die SPD wiederum ist arbeitsfähig. Birgit Monteiro wechselte zur stellvertretenden Bezirksbürgermeisterin und ist im Bezirk für Stadtentwicklung und Wirtschaft zuständig. Monteiro und Grunst sollen eigentlich als Bezirksamt „mit einer Stimme sprechen“. Doch statt Einigung kommt es zu Reibungen. Oftmals herrscht Funkstille.

Die Linke ist mit Monteiro unzufrieden und würde den Bau- und Wirtschaftstadtrat gerne selbst stellen. Monteiro will Gewerbegebiete schützen und verhindert so Wohnungsbau, den Grunst und Linken- Bausenatorin Katrin Lompscher gerne hätten. Monteiro wünscht sich große Konzerne in Lichtenberg. Sie schrieb öffentliche Briefe an deren Führung – ohne Absprache mit Grunst oder dem Bezirksamt. Grunst hingegen forciert eine große Ausstellungshalle für Kunst in der Herzbergstraße, das gefiele auch Linken-Kultursenator Klaus Lederer. Dagegen hat Monteiro dort ein „Unternehmensnetzwerk Herzbergstraße“ ins Leben gerufen. Nun soll ein Rahmenplan des Senats vermitteln

Katrin Schultze-Berndt

Bezirk: Reinickendorf

Alter: 49

Partei: CDU

Bauen, Bildung und Kultur

Kein Mitglied der Reinickendorfer „Regierung“ ist so oft in der Öffentlichkeit präsent wie Katrin Schultze-Berndt. Das liegt vor allem an den vielfältigen kulturellen Aktivitäten in Reinickendorf, die der ehemaligen Studienrätin besonders am Herzen liegen, und die sich auch breiter Unterstützung des Bezirks erfreuen können. Dass dafür mehr Geld und Personal zur Verfügung steht und die Musikschule neue Schwerpunkte habe setzen können, lobt sie im Blick auf zwei Jahre R2G ausdrücklich. Gleichzeitig kritisiert sie heftig das Gehaltsgefälle zwischen Bund und Land auf der einen und den Bezirken auf der anderen Seite – gleiche Aufgaben müssten in allen Behörden gleich vergütet werden, findet sie.

Auch im Schulbereich verknüpft sie Lob (endlich Geld für Schulbauten) mit Sorgen nicht nur über die Schulpolitik des Senats: Es gebe nicht genügend Ingenieure, um Planungen umzusetzen, die Versäumnisse vieler Jahre könnten nicht so schnell aufgearbeitet werden. Der Bezirk würde auch gerne, bilanziert sie, etliche Kilometer überarbeitungsbedürftige Radwege sanieren, scheitere aber mangels Platz auf vielen Straßen an der Senatsforderung, Radwege müssten zwingend zwei Meter Breite aufweisen.

Dass Katrin Schultze-Berndt nicht nur pro forma CDU-Mitglied ist, macht die stellvertretende Parteivorsitzende durch eine Kette von Vorwürfen deutlich: R2G wolle die Stadt ideologisch und mit aller Macht verändern, Reinickendorf hingegen achte auf den Ausgleich zwischen allen Interessengruppen. Das Klima zwischen der rot-rot-grünen Landesregierung und dem CDU-dominierten Bezirksamt ist mit „mau“ noch schmeichelhaft umschrieben – das wird auch in der täglichen Arbeit deutlich.

Daniel Krüger

Bezirk: Pankow

Alter: 49 Jahre

Partei: Parteilos, für AfD

Ordnung, Umwelt- und Naturschutz

Daniel Krüger ist an der Danziger Straße aufgewachsen, doch reiht er sich nicht ein in die Prenzlberger Partygesellschaft. Er ärgert sich über die vielen Kronkorken auf dem Gehweg, wenn er aus dem Haus kommt. Ein bisschen mehr Law and Order würde der 24/7-Metropole gut tun, findet er. Als Parteiloser sitzt er für die AfD in Pankows BVV. Ihn habe der „unverantwortliche“ Umgang mit der Flüchtlingskrise aus der CDU getrieben, sagt er. „Wie soll man diese hilfsbedürftigen Menschen integrieren, wenn man in Berlin nicht einmal genügend Schulplätze und Lehrer hat?“

In der Praxis hält er sich aus ideologischen Debatten heraus und arbeitet parteiübergreifend pragmatisch. Er sei ein „Profi“, heißt es. Angesichts des Personalmangels setzt er auf effektvolle „Schwerpunkteinsätze“. Mal gegen Parkgriller und -vermüller, mal gegen Falschparker. Die Probleme löst er damit nicht, aber er adressiert sie. Sein größter Coup könnte ihm am Mauerpark gelingen. Er hat die Lärmbeschwerden der Anwohner ernst genommen und eine Musikbegrenzung und Parkwächter vorgeschlagen. Nun soll ein Konzept erarbeitet werden. Für den Park fordert er die Landeszuständigkeit, sein Bezirk sei damit überfordert. Dass Krüger damit Recht hat, weiß er selbst am besten.

Christiane Heiss

Bezirk: Tempelhof-Schöneberg

Alter: 58 Jahre

Partei: Grüne

Bürgerdienste, Ordnung, Straßen-/Grünflächen

In manchen Sitzungen im Rathaus Schöneberg kann Christiane Heiß während der Anfragen von Einwohnern oder Bezirksverordneten beinahe die ganze Zeit am Rednerpult stehenbleiben. Die Stadträtin der Grünen muss am häufigsten Auskunft geben. An ihr und ihrem Ressort arbeiten sich die Fraktionen für das ab, was im Bezirk nicht funktioniert. Zugeparkte Busspuren, Müll im Park, schlecht geplante Baustellen, marode oder nicht vorhandene Radwege – das nervt jeden. Heiß antwortet meist trocken. Mal einsilbig, mal ausführlich.

Auch die SPD, der größere Partner der rot-grünen Zählgemeinschaft, schont die Stadträtin nicht. Unvergessen der Zwist im vergangenen Jahr, als im Schulenburgring, in dem der Regierende Bürgermeister Michael Müller wohnt, ein paar Parkplätze abgeschafft wurden, damit Radfahrer in der Einbahnstraße auch in Gegenfahrtrichtung fahren können. Das Gepolter der Sozialdemokraten blieb aber folgenlos, da sie den vorangegangenen BVV-Beschluss mitgetragen hatten. Rot und Grün im Bezirk schonen sich gegenseitig nicht: Beide Fraktionen suchen sich in verschiedenen Fällen Stimmpartner jenseits ihrer Zählgemeinschaft, die vor zwei Jahren die Sozialdemokratin Angelika Schöttler erneut ins Amt der Bezirksbürgermeisterin gehoben hat.

Gegenwind erfährt Heiß beim Ansinnen, aus Tierschutzgründen das Wildgehege im Franckepark aufzugeben und die Hirsche nach Brandenburg umzusiedeln. Und vieles – wie die Radwegplanung für den Tempelhofer Damm und Maßnahmen gegen Durchgangsverkehr – geht den Bürgern zu langsam.

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