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„1933 soll im Geschichtsbuch bleiben“: Schüler-Demo am 28. Februar über die Steglitzer Schloßstraße.

© Fichte ohne Rassismus-AG

Update

„Keine Böcke auf Höcke“: 2000 Berliner Schüler demonstrieren gegen Rechtsextremismus

Am Mittwochmorgen stand der Verkehr in der Steglitzer Schloßstraße still: Schüler hatten zur Demo gegen rechts aufgerufen, Hunderte waren gekommen – vom Grundschüler bis zum Abiturienten.

Am heutigen Mittwochmorgen war es laut auf der Steglitzer Schloßstraße: Schülerinnen und Schüler der Fichtenberg-Oberschule hatten zur Demonstration „Schule gegen rechts – 1933 soll im Geschichtsbuch bleiben“ aufgerufen. Laut Veranstalter, die Demo wurde von der AG „Fichte ohne Rassismus“ organisiert, waren rund 2000 vor allem junge Leute dem Aufruf gefolgt. Die Polizei sprach von 1500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.

Ab 8.30 Uhr schallten Sprechchöre durch die noch stille und für den Verkehr gesperrte Einkaufsmeile: „Nie, nie, nie wieder Faschismus“ hallte es zwischen den Häusern, „Keine Böcke auf Höcke“, „AfD – Abgrund für Deutschland“ und „Lieber bunte Truppe statt braune Suppe“ stand auf Plakaten.

Es waren Kinder und Jugendliche aus Steglitz-Zehlendorf und darüber hinaus auf der Straße. Schülerinnen und Schüler der Freien Schule Anne-Sophie aus Zehlendorf demonstrierten wie des Beethoven-Gymnasiums aus Lankwitz, der Königin-Luise-Stiftung in Dahlem und der Friedrich-Ebert-Oberschule in Wilmersdorf. Auch Schüler diverser Grundschulen beteiligten sich, von der privaten Kant-Schule in Steglitz bis zur Athene-Grundschule in Lichterfelde – die jüngeren Demo-Teilnehmer in Begleitung Erwachsener.

Die Polizei geht von 1500 Teilnehmern aus, die Veranstalter von 2000.
Die Polizei geht von 1500 Teilnehmern aus, die Veranstalter von 2000.

© Boris Buchholz

„Wir sind hier für uns, für unsere Freunde, für unsere Familien“, sagte Elia Mai von der Fichtenberg-Oberschule in ihrer Rede. „Ihr alle steht hier, damit sich in Deutschland jeder sicher fühlen kann, ohne sich Sorgen machen zu müssen, ob er als Mensch betrachtet wird oder als Mensch mit anderer Hautfarbe, mit anderer Religion oder mit anderer Sexualität.“

Ganz offensichtlich sind wir nicht die einzige Schule, die für diese Werte kämpft.

Elia Mai, 16

Sie wende sich gegen Rassismus und Hass. Mit Blick auf die Menge fügte sie an: „Ganz offensichtlich sind wir nicht die einzige Schule, die für diese Werte kämpft.“ Es gehe darum – auch wenn viele noch minderjährig seien –, für diese Werte einzustehen. „Dafür muss ich nicht erwachsen sein“, sagte die 16-Jährige. „Lasst uns heute demonstrieren und den Erwachsenen zeigen, dass auch wir Schülerinnen und Schüler eine Meinung haben.“

Frau Kreft, Apothekerin, tanzt zur Musik aus dem Lautsprecherwagen: „Ich finde die Demo super.“
Frau Kreft, Apothekerin, tanzt zur Musik aus dem Lautsprecherwagen: „Ich finde die Demo super.“

© Boris Buchholz

Viel Unterstützung

„Ich finde das super“, sagt Frau Kreft, eine Apothekerin, die auf der Schloßstraße zur Musik aus dem Lautsprecherwagen tanzt. Die „Omas gegen rechts“ waren ebenso auf der Demo vertreten wie blinde und sehbehinderte Menschen. „Wir Blinde begrüßen die Aktion der Fichtenberg-Oberschule sehr“, sagt Manuela Myszka, sie ist zusammen mit einem Dutzend Mitstreiter zur Demo gekommen. Sie erinnert daran, dass behinderte Menschen in der NS-Zeit von den Nazis als „Balastexistenzen“ verfolgt und ermordet wurden.

Manuela Myszka hätte sich mehr Unterstützung von Blindenverbänden für die Demo gewünscht: „Da die AfD ja Inklusion als ‚Belastungsfaktor’ ansieht, haben viele wohl schon Angst, sich als Behinderte noch offen zur Unterstützung der Aktion einer inklusiven Schwerpunktschule zu bekennen.“ Die Fichtenberg-Oberschule ist seit 2018 Schwerpunktschule für den „Förderschwerpunkt Sehen“. „Ich bin sehr besorgt und will nicht, dass sich die Geschichte wiederholt“, sagt Sevim Sakinc, sie ist blind, dem Tagesspiegel.

Auch Blinde und Sehbehindert demonstrierten mit: „Ich will nicht, dass sich die Geschichte wiederholt.“
Auch Blinde und Sehbehindert demonstrierten mit: „Ich will nicht, dass sich die Geschichte wiederholt.“

© Boris Buchholz

Die Polizei vor Ort sprach von einem „tiefenentspannten“ Einsatz. Die Schülerinnen und Schüler, die zum ersten Mal eine Demonstration angemeldet hätten, würden ihre Sache gut machen. Sie würden sich an Absprachen halten und gut mit den Beamten kommunizieren.

Live-Streaming von Rechten schreckt ab

Im Vorfeld der Demonstration hatte ein Rechtsaußen-Blogger Sorgen und Irritationen in verschiedenen Schulen hervorgerufen. Als am Freitag vergangener Woche das Lilienthal-Gymnasium anlässlich des zweiten Jahrestages des russischen Angriffs auf die Ukraine unter dem Motto „Frieden, Freiheit, Toleranz“ demonstrierte, streamte der Youtube-Kanal „Beobachter Live“ zwei Stunden lang die Schülerinnen und Schüler.

„Wir sind hier für uns, für unsere Freunde, für unsere Familien“, sagte Elia Mai bei der Schülerdemo.
„Wir sind hier für uns, für unsere Freunde, für unsere Familien“, sagte Elia Mai bei der Schülerdemo.

© Boris Buchholz

„Es scheint sich hier um einen rechten Verschwörungsideologen zu handeln“, schreibt Florian Bublys, Lehrer am Lilienthal-Gymnasium. Die Schülerschaft sei entsetzt, so der Lehrer. „Im schlimmsten Fall führt diese Art der Berichterstattung dazu, dass Schüler*innen ein Unbehagen oder gar Ablehnung entwickeln, auch zukünftig an Demonstrationen teilzunehmen.“ Selbst wenn das Filmen einer Demonstration legal wäre, „ist es wohl mindestens moralisch zu verachten“.

Das rechte Streamen schreckt ab. Er wisse von Schülern, die aufgrund des Filmens nicht zur Demonstration der Fichtenberg-Schüler gekommen sind, sagt Andreas Golus-Steiner, Schulleiter der Fichtenberg-Oberschule, dem Tagesspiegel am Telefon.

Am Mittwochnachmittag meldet sich der AfD-Abgeordnete Thorsten Weiß zu Wort, er ist der bildungspolitische Sprecher seiner Fraktion. Er nennt die Demonstration der Fichtenberg-Schüler „verstörend“ und kritisiert Schulleiter Andreas Golus-Steiner: „Durch seine aggressiven Appelle zur Teilnahme an der Demonstration hat der Schulleiter die Schüler massiv unter Druck gesetzt und damit den Schulfrieden gefährdet.“

Der Abgeordnete kündigte an, eine Dienstaufsichtsbeschwerde einzureichen. Außerdem werde er „eine Eingabe über den Vorfall beim Senat machen“. Aus seiner Sicht habe der Schulleiter das Neutralitätsgebot verletzt.

Anmerkung: In einer früheren Fassung dieses Textes wurde behauptet, zwei lokale AfD-Politiker hätten die Demonstration der Schülerinnen und Schüler gefilmt. Beide Politiker widersprachen dieser Darstellung.

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