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Caroline Polachek

© Nedda Asfari

„Die Frage nach dem Genre, die stelle ich nicht“: Sängerin Caroline Polachek über Pop, Berlin und Beyoncé

Mit ihrer Band Chairlift wurde sie bekannt, inzwischen hat sie als Solo-Künstlerin schon ihr drittes Album herausgebracht. In Berlin startete ihre aktuelle Europa-Tournee.

Für Beyoncé und Travis Scott hat sie geschrieben und komponiert, mit Charli XCX, Christine and the Queens, Grimes und Blood Orange hat sie gemeinsam gesungen. Doch Eigentlich ist es nicht nötig, mit all den Namen irgendetwas zu beweisen. Caroline Polachek ist für sich selbst eine Wucht. Aktuell ist die 37-Jährige auf Europa-Tournee, die in Berlin, im lange ausverkauften Huxleys startete. Im Backstage-Bereich traf sie der Tagesspiegel zum Interview.

Frau Polachek, in fünf Stunden startet ihr ausverkauftes Konzert, draußen sitzen die Fans jetzt schon auf Picknickdecken und warten, dass es endlich los geht. Es ist also höchste Zeit, dass Sie in Berlin sind.
(Lacht) Als Caroline Polachek ist es tatsächlich das erste Mal Berlin. Mit meiner ehemaligen Band habe ich hier schon öfter gespielt.
Oh Moment, stimmt gar nicht. Ich bin hier schon aufgetreten, zusammen mit James Ferraro. Ich kann mich aber kaum noch daran erinnern. Das war super chaotisch. Wir waren hier, hatten nichts geplant und es war Halloween. Wir waren beide als mittelalterliche Märtyrer verkleidet, ich als Jeanne d‘Arc und James als untoter Mönch. Das war mein erster, sehr spezieller Auftritt in Berlin.

Ihr erstes Album ist in Rom und ihr aktuelles Album „Desire, I Want to Turn Into You“ ist teilweise auf Sizilien entstanden. Was inspiriert Sie an Italien?
Das stimmt, mein erstes Album als Solo-Künstlerin habe ich in Rom aufgenommen, das war aber nicht für Caroline Polachek, sondern für mein damaliges Alias Romana Lisa, aber ja, das haben wir in der Französischen Akademie in Rom gemacht. Ich war sehr inspiriert und wusste, ich muss zurückkommen, um hier an Musik zuarbeiten. Dieses Mal war es aber Sizilien, wir haben uns ein Haus direkt am Fuße des Ätna gemietet. Das war sehr emotional: Tagsüber sah man die Rauchfahnen und nachts, als alles dunkel war, leuchteten nur die neon-roten Lava-Flüsse über uns. Es wirkte, als hätte sie eine Persönlichkeit, einen Charakter.

Caroline Polacheks zweites Album „Desire, I Want to Turn Into You“ erschien Mitte Februar und hat das Potential, sie in den Pop-Olymp zu katapultieren.
Caroline Polacheks zweites Album „Desire, I Want to Turn Into You“ erschien Mitte Februar und hat das Potential, sie in den Pop-Olymp zu katapultieren.

© Nedda Asfari

Der Ätna ist eine sie?
Ja! Ich spürte eine intensive, symbolische Verbindung. Alles, was wir kollektiv durch die Pandemie erlebt haben, war in ihr enthalten. Wir musste uns alle so lange zurückhalten, einschränken, irgendwann hatten wir das Bedürfnis nach Katharsis, nach Explosion. Und als die Zeit reif war, Musik zu schreiben und wieder auf Tour zu gehen, fühlte ich mich tief mit der Metapher des Vulkans identifiziert. 

Wer ist eigentlich Ramona Lisa?
Sie ist eine sehr mysteriöse Figur, aber es steht mir nicht zu, für sie zu sprechen. Sie hat aber auch schon Interviews gegeben… 

Kritiker haben Mühe Sie einzuordnen, Sie können R&B, Rock, Disco, Dance, Elektro und aus der Not wird geschrieben, Sie würden Indie-Pop machen. Viele Ihrer jungen Fans hingegen feiern Sie als „Hyperpop“-Avantgardistin. Was sagen Sie?
Ich werde oft nach dem Wort Pop gefragt. Für mich gibt es zwei Arten das Wort zu verstehen: Einerseits handelt es sich um populäre Musik, Musik, die es in die Charts schafft. Das ist aber relativ absurd, weil das sowohl Lil Nas X, als auch Ed Sheeran bedeuten kann. Da stellt sich mir die Frage, was beschreiben wir hier eigentlich wirklich? Das es beliebt ist? Für mich bedeutet Pop ein gewisser Grad an Auffälligkeit – wie Neonfarben. Pop ist Energie und Klarheit, und ich habe den Anspruch Musik zu machen, die Energie und Klarheit hat. Die Frage nach dem Genre, die stelle ich nicht. Ich habe viel zu viel Spaß zu experimentieren und die Musik zu entdecken, die sich irgendwo in meinem Kopf und meinem Herz befindet. Mich interessieren auch die Abgrenzungen nicht, all die Genre-Bezeichnungen fühlen sich so wahllos an. Das ergibt alles keinen Sinn.

Vielleicht ist das Problem, dass es heutzutage keine „Genres“ mehr gibt?
Nein nein, das ist kein Problem. Ich finde die Zeit, in der wie leben, großartig. Ich bin ein Kind der 90er, damals bedeutete alternative Musik, dass du Gitarre spielst, und Hiphop, dass du rappst. Das stimmt aber alles nicht. Dass es diese starren Grenzen heute nicht mehr gibt, finde ich wunderbar.

Ich habe ein starkes, spirituelles Vertrauen, dass ich und meine Hörer viel gemeinsam haben

Caroline Polachek, Sängerin

Apropos Neunziger: Stecken wir eigentlich im ewigen 90er-Jahre-Revival fest, weil mindestens drei Generationen nicht erwachsen werden wollten und sich als „Kinder“ der 90er verstehen?
Vielleicht. Ich denke, dass es uns viel Kraft gibt, wenn wir gemeinsame Bezugspunkte haben. Universelles, auf das wir uns gemeinsam beziehen können. Sport ist so ein Beispiel, das viele verbindet, eine effiziente Art der Kommunikation. Die Herzen der Menschen öffnen sich leichter, wenn sie gemeinsame Erfahrungen haben. Ich selbst hänge nicht besonders an den 90ern, und was mein aktuelles Album betrifft, schon gar nicht (auch wenn das geschrieben wird). Ich habe aber tatsächlich viel über den Archetyp der weiblichen Musikerin in den späten 90ern nachgedacht, Sarah McLachlan, Celine Dion, Whitney Houston. Für das Album habe ich versucht, meine eigene, 2023-Version davon zu finden.

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Die britische Presse schreibt, Sie wären die neue Kate Bush, eine Ikone der frühen 80er.
Ich freue mich über jeden Vergleich. Aber ich finde es übergriffig, wenn Magazine oder Journalisten implizieren, dass Künstler austauschbar sind. Kate Bush lebt, Kate Bush ist die neue Kate Bush

Ich glaube das wird eher als Auszeichnung verstanden.
Ja, aber ich mag diese Sprache nicht – außerdem bin recht beschützerisch, was Kate betrifft. 

Sie sind in New York geboren, aufgewachsen und als Musikerin groß geworden. Jetzt pendeln Sie zwischen Los Angeles und London. Warum?
Für mich sind London und L.A. das perfekte Ying und Yang. London ist mein geistiges Zuhause, dort habe ich die besten Ideen, und die sozialen und musikalische Erfahrungen, die mich am meisten bewegen. Mir gefällt es in der Stadt zu verschwinden und ein ganz normales Leben zu leben. L.A. hingegen ist die Fabrik. Hier bin ich für große Meetings, wenn ich Musikvideos drehe oder mit meiner Band probe. Ich mag das Hin und Her, denn in L.A. fühle ich mich manchmal ein bisschen zu sehr in der Industrie verfangen, und in London fühle ich mich manchmal ein bisschen zu sehr im Abseits. Die Balance ist gut. 

Ist L.A. eigentlich immer noch das neue New York?
Die Städte sind komplett unterschiedlich. New York ist das neue New York. Ich bin 2018 weggezogen, weil ich glaubte, dass die Musikszene tot sei. Ich war einer der letzten Personen, die gegangen ist, weil ich immer ein großer Fan der Stadt war. Als dann aber alle meine Freunde weg waren, da war es auch für mich Zeit zu gehen. 

Sie sagten, die Musikszene in New York sei gestorben. Können Sie sagen, was wir tun müssen, dass uns das in Berlin nicht passiert? 
Ja, das kann ich tatsächlich! Unterstütze die lokale Szene, besuche kleine Shows, gib dein Geld für kleine Bands aus, unterstütze kleine Veranstaltungsorte. An Orten, mit einer Kapazität von unter 300 Leuten, entsteht neue Musik! In New York haben alle kleinen Spielstätte geschlossen, das bringt die lokale Szene um. 

Das Huxleys hier ist demnach schon viel zu groß...
Ja, und ich bin nicht von hier. Geht also zu einer Show von Berliner Künstlern. Kommt nicht zu mir, unterstützt die lokalen Girls! 

Sie schreiben auch für andere Musiker, was reizt Sie daran?
Tatsache ist, ich bin echt schlecht darin, Musik für andere zu schreiben. Ich bin gut darin Musik für mich zu schreiben und sie dann, eventuell, anderen Leuten zu geben, wenn das richtige Angebot um die Ecke kommt. Der Song „No Angel“, den ich für Beyoncé gemacht habe, war ursprünglich für mich. Ich habe ihn um fünf Uhr morgens, auf meinem Laptop, in einem Hotelzimmer in London, nach einem Festival Auftritt geschrieben. Der Song passte aber nicht zu Ramona Lisa, für die ich damals arbeitete. Dann hörte ich, dass Beyoncé nach Musik sucht, also habe ich den Text so verändert, dass er nach ihr klingt und habe ihr den Song geben. Generell erziele ich als Künstlerin die besten Resultate, wenn ich mich auf mein eigenes Leben, auf meinen eigenen Gefühle beziehe.

Haben Sie trotzdem auch das Publikum im Sinn, oder handelt es sich um einen positiven Nebeneffekt, dass viele Leute gerne Ihre Musik hören?
Ich habe ein starkes, spirituelles Vertrauen, dass ich und meine Hörer viel gemeinsam haben. Dass sie meine Musik hören, weil sie ähnlich fühlen. Wenn ich Musik mache, muss ich also nur meinem eigenen Verlangen treu bleiben und darauf vertrauen, dass die Dinge, die ich magisch finde, auch von meinen Hörern als magisch empfunden werden. Das ist meine einzige Logik. 

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