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Die neue U-Bahnlinie soll die unterschiedlichsten Teile Berlins zusammenbringen.

© Arnulf Hettrich / imago images

Die U5 zwischen Hönow und Hauptbahnhof: Die vielen Welten Berlins auf einer Linie – jetzt verbunden?

Die neue U5 zieht sich nicht nur von Ost nach West sondern auch durch verschiedene Lebensrealitäten. Doch sind sie wirklich so unterschiedlich? Ein Ortsbesuch.

Frau Kuć wird sich ab Freitag rund 15 Minuten Fußweg sparen, wenn sie ihren Sohn besucht. Er wohnt in der Nähe des Roten Rathauses in Mitte. Sie in Hellersdorf, nicht weit entfernt von der gleichnamigen Station der U-Bahn-Linie 5, auf deren Vorplatz sie an diesem sonnigen Montagmittag im November steht.

Bisher ist sie mit der U5 immer bis Alexanderplatz gefahren – klar, bis zur Endstation. Ab Freitag wird sie direkt am Roten Rathaus aus dem Waggon steigen, denn dann eröffnet die Direktverbindung zwischen Hönow – noch in Brandenburg gelegen – und dem Berliner Hauptbahnhof. „Für mich wird das besonders praktisch“, sagt die Hellersdorferin, ihre Augen über der Schutzmaske lächeln.

Lückenschluss nennt die BVG das Bauprojekt, das schon 2017 hätte fertig sein sollen und mit drei neuen Bahnhöfen nun zwei alte U-Bahn-Linien verbindet: Rotes Rathaus, Museumsinsel und Unter den Linden füllen die unterirdische Unterbrechung zwischen U5 und Kanzlerlinie U55.

Damit können Berlinerinnen und Berliner nicht nur von Ost nach West und andersherum durch die Stadt fahren. Nein, die U5 verbindet nun auch verschiedenste gesellschaftliche Milieus Berlins miteinander: vom Hellersdorfer Plattenbau über die einfamilienhausgewordene Idylle in Biesdorf, den gentrifizierten Samariterkiez bis hin zu modernen Neubauten, die rund um den Hauptbahnhof aus dem Boden gestampft werden.

„Berlin tief verbunden“, mit dem Spruch bewirbt die BVG ihr Prestigeprojekt, das 239.000 Euro pro verlängerten Meter Bahnstrecke kostete. An der Oberfläche scheinen die verschiedenen Stationen der U5 wenig miteinander zu tun zu haben, doch vielleicht sind sich die überirdischen Welten unserer Metropole ähnlicher, als sie auf den ersten Blick scheinen.

Hellersdorfs Helle Mitte: alte Bevölkerung, neue Quartiere

Steigt man in Hellersdorf die Treppen vom Bahngleis hinauf, steht man mitten in der Hellen Mitte: ein unscheinbares Gewerbegebiet, es beherbergt Geschäfte, Restaurants, Büros und das Rathaus Hellersdorf. Dass der Komplex erst Mitte der 90er Jahre erbaut wurde, sieht man ihm auf den ersten Blick nicht an, denn die von rechteckigen Fensterscheiben gespickte Fassade mutet eher an wie viele der Plattenbauten im Bezirk.

Werbespruch der BVG für den Lückenschluss: "Berlin tief verbunden".
Werbespruch der BVG für den Lückenschluss: "Berlin tief verbunden".

© imago images PEMAX

Unter der Woche geht es dort geschäftig zu, trotz Corona. Einfarbige Parka-Mäntel, in die sich ihre Besitzer gehüllt haben, huschen über die Kreuzung. Runter zur U-Bahn, verschwinden dann hinter den gelben Türen der Waggons.

Vor der Hellen Mitte trifft man eher ältere Stadtbewohner, ähnlich wie Frau Kuć, die an diesem Tag zur Physiotherapie eilt. Hellersdorf ist, was die Bevölkerungsstruktur betrifft, einer der ältesten Bezirke Berlins. Und das, obwohl auch dort in Bauprojekte investiert wird: bis 2023 sollen mit dem Quartier Stadtgut Hellersdorf 1500 neue Wohnungen in direkter Nachbarschaft zur Hellen Mitte entstehen.

Bezahlbar sollen sie sein, so das Versprechen der ehemaligen Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke). Das Schreckgespenst der Gentrifizierung soll Hellersdorf nicht heimsuchen, anders als es momentan schon mit Lichtenberg passiert – zehn Stationen in Richtung Westen mit der U5.

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Doch Hellersdorfs zentralen Platz prägen auch Studierende. Genauer: Studierende der Alice-Salomon-Hochschule. Sie holten mit der Kontroverse um Eugen Gromigers Gedicht „Avenidas“ eine Feminismus-Diskussion nach Hellersdorf, wie man sie wohl eher in der Nähe neuen U5-Station Unter den Linden an der Humboldt-Universität vermutet hätte.

Biesdorfer Idyll für 500.000 Euro

Also endlich ab in die Bahn, Richtung Alexanderplatz. Bis zum Tierpark verläuft die Strecke überirdisch. Dieser Abschnitt der U5, die vor 1990 Linie E hieß, wurde zwischen 1985 und 1988 erbaut. Er führt Fahrgäste über einen Schlenker in Richtung Süden am Kienberg, also den Gärten der Welt, vorbei.

Schweift der Blick in die Ferne, stößt er auf kahles Geäst, von dem man sich im Winter nur vorstellen kann, wie es nächstes Frühjahr in Grün getaucht sein wird. Ehe man der Vorfreude frönen könnte, rast der BVG-Waggon schon weiter durch Kaulsdorf und Biesdorf, Einfamilienhäuser mit Autos und Wohnwagen davor reihen sich fortan aneinander.

U-Bahnhof am Kienberg, Gärten der Welt.
U-Bahnhof am Kienberg, Gärten der Welt.

© Kai-Uwe Heinrich / TSP

Mit Mahlsdorf zusammen bilden die ehemaligen Dörfer das größte zusammenhängende Siedlungsgebiet Europas, vor allem Familien mit Kindern ziehen hier hin. Ein Einfamilienhaus kostet heute hier rund 500.000 Euro (damit könnte man mit einer BVG-Jahreskarte im Abo rund 68 Jahre ununterbrochen U5 fahren). Superlative in Berlins Osten.

Apropos: kleiner Zwischenstopp am Tierpark, eines der größten Naherholungsgebiete Berlins. Was der Zoo für West-Berlin war, war der Tierpark im ehemaligen Ost-Berlin. Rund um die Anlage ragen die Plattenbauten, die man schon die ganze Fahrt über erwartet hätte, auch endlich aus dem Boden.

Die U5 hieß vor der Wende Linie E

Doch auch an dieser Station blenden die Milieus ineinander. Aus der Bahnstation steigen ältere Herren in Jogginghose und mit Plastiktüten in der Hand empor, neben ihnen, mit coronakonformem Abstand dribbelt ein junges Paar – beide in schicke Mäntel gehüllt – die Stufen hoch. Während des Lockdowns bietet sich eine Fahrt mit der U5 an – denn Tierpark und Zoo dürfen öffnen.

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Weiter geht’s: Runter zum U-Bahnhof, der einzige unterirdisch erbaute Bahnhof in der DDR. Vorbei an einem Krokodil, Storch und Pfau: sie fügen sich farbenfroh ins Mosaik-Wandbild „Tierwelt“ der Künstlerin Dagmar Glaser-Lauermann. Mindestens so gelb wie die menschgewordene Sonne auf dem Kunstwerk sticht der aus dem schwarzen Tunnel einfahrende BVG-Waggon ins Auge.

Wandmosaik am U-Bahnhof Tiergarten.
Wandmosaik am U-Bahnhof Tiergarten.

© Maria Kotsev / TSP

Nächster Ausstieg: Frankfurter Allee. Im Vergleich zum Friedrichshainer Trubel wirkten die bisherigen Stationen geradezu verlassen. Kaum über der Erde, drängen sich die Menschen über den Gehweg, die Coronapandemie scheint nahezu vergessen. Vor dem Fahrstuhleingang spielt ein bärtiger Mann auf einem hölzernen Klavier Italo-Schnulzen.

Konflikt im Samariterkiez: Ausverkauf statt Hausbesetzercharme

Einige Meter weiter auf der Frankfurter Allee, auf Höhe der Samariterstraße, reihen sich alte Elektrogeschäfte an Kiezbäckereien, Imbisse und Spätis. Ein Einrichtungsladen wirbt mit dem Slogan „Make love great again“, ein Pizzaladen heißt „Salami Social Club“. Der Kiez kann sich vermarkten.

Das erkennt man nicht zuletzt an den jungen Passanten, die in Samthosen und Bomberjacken durch die Gegend spazieren. Und an den steigenden Mieten, auch, wenn man diese augenscheinlich nicht wahrnimmt.

Einem Späti-Besitzer in der Nähe des U-Bahnhofs bereitet die Entwicklung zunehmend Sorgen. Er möchte gerne anonym bleiben. Seit 2007 verkauft er im Samariterkiez Snacks, Tabakwaren und Kaltgetränke.

„Besonders skandinavische Investoren kaufen hier in der Gegend Immobilien auf“, sagt er. „Ein Kollege musste wegen der steigenden Mieten seinen Laden aufgeben. Aus gewerblicher Sicht ist die Entwicklung schwer mitanzusehen.“

Ein Plakat in der Samariterstraße macht auf hohe Mieten aufmerksam.
Ein Plakat in der Samariterstraße macht auf hohe Mieten aufmerksam.

© Christian Mang / imago images

Doch sind es nicht zuletzt Läden wie seiner, die auch von der Aufwertung des Kiezes profitieren. Ein typisches Spannungsverhältnis in hip gewordenen Berliner Kiezen.

Von der Geschichte des Samariterkiezes als linksautonom geprägter Stadtteil und Bezirk der Arbeiterkämpfe (so etwa nach der Novemberrevolution 1918 oder den Streiks im Vorfeld des Volksaufstandes von 1953) ist wenig geblieben. Graffiti und Plakate mit der Aufschrift „Liebig34 verteidigen“ an einer Hauswand erinnern vage an die mittlerweile sehr klein gewordene Hausbesetzerszene.

Der Frust der Alteingesessenen

Nachdem viele Immobilien in den 90er Jahren hier saniert wurden, zogen wohlhabendere Menschen ein. Der linksalternative Charme blieb dem Kiez aber weitestgehend erhalten. Trotzdem: Links und jung sind hier nicht alle.

Eine ältere Dame echauffiert sich beim Vorbeigehen an einer wohnungslosen Frau darüber, dass sich der Staat nicht zuerst um Obdachlose kümmere, anstatt Geflüchtete aufzunehmen.

Vom Frankfurter Tor, die Karl-Marx-Allee entlang, leert sich die ehemalige DDR-Prachtstraße – oder die Menschen haben zumindest mehr Raum, um sich aus dem Weg zu gehen. Viele Läden und Cafés haben zu. Immerhin geht es auf den neuen Fahrradstreifen geschäftig zu.

Rund um den Hauptbahnhof: bald lebenswert statt nur Betonwüste?

Auch der Alexanderplatz wirkt einsam und verlassen: Wer hätte gedacht, dass der Hauptstadt ausbleibender Tourismus nicht gut zu Gesicht stehen würde? Berlins Mitte als Niemandsland. Ähnlich, wie das Gebiet rund um den Hauptbahnhof, mit dem der „Alex“ künftig durch den Lückenschluss verbunden wird.

Doch das wird wohl nicht lange so bleiben. Sobald die Coronazahlen ein weniger besorgniserregendes Niveau erreichen, wird vermutlich auch der Touristen-Magnet Alexanderplatz seine Anziehungskraft wieder entfalten. Ebenso die Museumsinsel.

Vielleicht verirren sich künftig sogar Touristen an den autofreien Teil der Friedrichstraße, wenn sie am neuen Bahnhof Unter den Linden aussteigen. Das Hauptgebäude der Humboldt-Universität ist ohnehin ein beliebter Pilgerort für Besucherinnen.

Auch rund um den Hauptbahnhof, der die Ankommenden bisher in eine gesichtslose Betonwüste entließ, wird Leben einkehren: In drei Jahren soll hier ein neues Stadtquartier eröffnen. Berlin auf neuen Wegen, von Hellersdorf bis Hauptbahnhof.

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