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Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer betrachten die Berliner Linke als regelrecht befreit.

© picture alliance/dpa/Christoph Soeder

„Es geht ein Aufbruch durch die Partei“: Berliner Linke will soziale Forderungen „durchkämpfen“

Die Gründung des Bündnisses Sahra Wagenknecht hat die Berliner Linke kaum erschüttert. Die Landesvorsitzenden Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer erklären, wie die Partei wieder zu sich selbst finden will.

Was bedeutet die Gründung der Wagenknecht-Partei für die Berliner Linke?
Maximilian Schirmer: Wir bedauern es sehr, dass sich einige unserer Genoss:innen dem neuen Projekt anschließen werden. Im Landesverband selbst gibt es jedoch keine großen Absetzbewegungen, im Gegenteil. Wir freuen uns über viele Neueintritte und darüber, dass sich auch erfahrene Genoss:innen jetzt wieder stärker einbringen wollen. Es geht ein Aufbruch durch die Partei und diesen frischen Wind wollen wir nutzen, indem wir uns um die wirklich relevanten Themen kümmern.

Ein Befreiungsschlag?
Franziska Brychcy: Die Entscheidung bringt uns Klarheit, die lange gefehlt hat. Zudem ist deutlich geworden, dass es sich bei der Neugründung um keine linke Partei handelt. Uns ist es wichtig, klare Kante gegen Rechtspopulismus und -Extremismus zu zeigen. Wir sind die Partei der Solidarität, des sozialen Zusammenhalts und auf dieser Grundlage wollen wir konkrete Angebote für die Menschen machen.

Vor lauter Streit drang die Linke zuletzt kaum mehr inhaltlich durch. Wie wollen Sie das ändern?
Schirmer: Indem wir die tatsächlichen Problemlagen in unserer Stadt anpacken. Ob es zu einer Zeit, in der Krankenhäuser ums Überleben kämpfen, Kitaplätze fehlen und bezahlbarer Wohnraum immer weniger wird, die richtige Maßnahme ist, sich um Olympia zu bewerben, wage ich zu bezweifeln. Wir sind die Partei, die sich um diese Probleme kümmert.

Probleme, die die Linke in der Regierung nicht zu lösen vermochte. Haben Sie ein Glaubwürdigkeitsproblem?
Brychcy: Wir haben die Rolle der sozialen Opposition angenommen und stehen vor großen Herausforderungen wie etwa den Mieterhöhungen bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen. Zur Erinnerung: Wir Linke hatten dort einen Mietenstopp verhandelt. Bezahlbares Wohnen und bezahlbarer Neubau werden unsere Themen bleiben und die aktuelle Entwicklung zeigt, wie wichtig unsere Stimme dabei ist.

Es darf einfach nicht sein, dass sich Leute fragen müssen, ob sie die nächste Klassenfahrt für ihr Kind oder ihre Miete noch bezahlen können.

Maximilian Schirmer, Vorsitzender der Berliner Linkspartei

Nur können Sie eigene Vorhaben nun noch weniger durchsetzen…
Brychcy: Weil der politische Willen von Schwarz-Rot fehlt. Man hätte für eine Fortsetzung des Mietenstopps im Landeshaushalt einen Ausgleich finden können – genau wie wir es damals getan haben. Wir werden weiter den Finger in die Wunde legen.

Aber nochmal: Wie dringen Sie durch?
Brychcy: Bei der Wiederholungswahl haben uns die Menschen vor allem wegen unserer wohn- und mietenpolitischen Kompetenz gewählt. Wir werden das Thema weiterhin besetzen, etwa beim Auslaufen des sozialen Wohnungsbaus, den angesprochenen Mieterhöhungen bei den Landeseigenen oder der Forderung nach sozialem Wohnungsneubau. Wir wollen und werden das konkret und vor Ort, nach dem Prinzip der Stadt von unten, angehen.

Schirmer: Die Menschen haben genug von personengetriebenem Streit, ja. Sie haben aber auch genug von Versprechungen und Ankündigungen, die sich in ihrer Lebensrealität nicht widerspiegeln. Wir wollen mit den Leuten gemeinsam in den Kiezen für ihre Anliegen kämpfen, ganz egal ob es dabei um höhere Löhne, Ärztemangel oder bezahlbare Mieten geht.

12.000
Menschen mit Aufenthaltsstatus leben auch in Großunterkünften

Ein zentrales ist die Unterbringung von Geflüchteten. Der Senat setzt vor allem auf Großunterkünfte. Ein Fehler?
Brychcy: Wir haben das große Problem, dass rund 12.000 Menschen mit Aufenthaltsstatus auch in Großunterkünften leben, weil für sie Wohnungen fehlen. Um dieses wohnungspolitische Problem zu lösen, braucht es eine gemeinsame Kraftanstrengung von Land und Bezirken. Wir müssen gemeinsam für Akzeptanz statt Abwehr sorgen. 

Schirmer: Wir sehen aktuell, dass der schwarz-rote Senat die Fehler des letzten schwarz-roten Senats wiederholt. Man schafft Ad-hoc-Lösungen, die sehr teuer sind und schnell Abhilfe schaffen sollen, lässt die mittel- und langfristigen Lösungen aber vermissen. Wir fordern die Ertüchtigung von leerstehenden Bundesimmobilien sowie den Bau bezahlbarer vor allem kommunaler Wohnungen, um geflüchteten Menschen und allen anderen Wohnungssuchenden auch langfristig etwas bieten zu können.

Gregor Gysi hat der Linke zuletzt empfohlen, sich künftig auf fünf Themen zu konzentrieren. Welche sollten das Ihrer Ansicht nach sein?
Schirmer: Es darf einfach nicht sein, dass sich Leute fragen müssen, ob sie die nächste Klassenfahrt für ihr Kind oder ihre Miete noch bezahlen können. Nur wenn wir Fragen wie diese klar beantworten, können die Menschen wieder Vertrauen in die Politik gewinnen.

Brychcy: Die zwei für uns zentralen Themen sind soziale Gerechtigkeit in all ihren Ausprägungen und Frieden, das meint zum Beispiel auch unser friedliches Zusammenleben hier in Berlin.

Bis zur Abgeordnetenhauswahl 2026 ist zwar noch etwas Zeit, dennoch könnte eine Wagenknecht-Partei zur existenziellen Gefahr für die Linke werden. Wie gehen Sie damit um?
Brychcy: Wir haben keine Angst vor einer neuen Partei. Sie wird es neben der Linken in Berlin schwer haben. Erstens braucht es das entsprechende Personal und Programm, zweitens wird es sich dabei eben nicht um eine linke Partei handeln. Die große Herausforderung für uns wird eher sein, verlorenes Vertrauen in die Demokratie allgemein zurückzugewinnen. Dem werden wir uns stellen.

Schirmer: Unser Bezugspunkt wird nicht eine Partei sein, die es noch gar nicht gibt. Unser Bezugspunkt ist der aktuelle schwarz-rote Senat und seine unsoziale Politik. Gegen diesen werden wir unsere sozialen Forderungen durchkämpfen.

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