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Der Bahnhof Rathaus Neukölln in Berlin.

© imago images/Emmanuele Contini

Update

Infektionszahlen in den Berliner Bezirken: Je prekärer und enger, desto mehr Corona

Der Senat veröffentlicht Daten zur Corona-Pandemie. Die Unterschiede zwischen den Bezirken sind gravierend und wohl auf die soziale Lage zurückzuführen.

Knappes Einkommen, dichtere Bebauung, hohe Einwandererquote – das sind wesentliche Faktoren dafür, dass ein Viertel in Berlin zum Corona-Hotspot wird. Die Pandemie hat in Berlin unterschiedlich starke Wucht entfaltet, die Fallzahlen schwanken je nach Bezirk bis ums Dreifache. 

Das geht aus einer am Montag veröffentlichten Studie des Senats hervor. Im Herbst 2020 waren Neukölln, Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg am stärksten betroffen, während Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf, Treptow-Köpenick die niedrigsten Inzidenzen aufwiesen.

„Je höher der Anteil der Arbeitslosen beziehungsweise Transferbeziehenden in den Bezirken ist, desto höher ist die Covid-19-Inzidenz“, heißt es in der Studie, die die Senatsgesundheitsverwaltung am Montag veröffentlichte. Zudem sei festzustellen, dass Bezirke, die „dichter besiedelt sind und in denen weniger Frei- und Erholungsfläche“ zur Verfügung stehen, „signifikant stärker von der Covid-19-Epidemie betroffen sind“.

Die Studie bezieht sich auf Daten von 29. Oktober 2020 – also zum Beginn der zweiten Ansteckungswelle und lange, bevor die gefährlichen Corona-Mutationen in der Stadt registriert wurden. Damals waren seit Pandemiebeginn 796 Fälle pro 100.000 Berliner registriert worden. 

Die Fallzahlen unterschieden sich je nach Bezirk deutlich: In Neukölln hatten sich 1361 von 100.000 Einwohnern angesteckt, in Mitte 1243, in Friedrichshain- Kreuzberg 1059. Dagegen waren es in Lichtenberg nur 489 Fälle auf 100.000 Einwohner, in Marzahn-Hellersdorf 427, in Treptow-Köpenick 418.

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Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci sagte dem Tagesspiegel, die Studie zeige, dass das Infektionsrisiko in Berlin besonders durch die Dichte der Stadt enorm hoch sei. „Es zeigt zweitens, dass wir die soziale Frage und die Frage nach der öffentlichen Gesundheit ganz neu zusammendenken müssen“, sagte die SPD-Politikerin.

Die Bevölkerungsdichte ist aber nur ein Faktor, erläutern die Autoren der Studie. Berlin hat mit 4090 Bewohnern je Quadratkilometer die höchste Bevölkerungsdichte bundesweit – das stark vom Coronavirus betroffene Bayern hat eine deutlich geringere von nur 185. 

Die Senatsgesundheitsverwaltung schreibt, die Covid-19- Inzidenz sei zudem „positiv assoziiert“ mit dem Anteil der Einwohner mit Migrationshintergrund sowie mit dem Anteil der Nicht-EU-Ausländer. Vereinfacht: Die Infektionsraten sind in Einwanderervierteln deutlich höher.

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Eine umfangreiche Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) kam bereits im Oktober 2020 zum Schluss, dass das Coronavirus zugewanderte Menschen öfter trifft. Einwanderer-Familien sind demnach eher einkommensschwach, leben häufiger auf engem Raum und arbeiten oft in Jobs, in denen das Abstandhalten schwieriger ist. 

Damit sind sie der Studie zufolge deutlich anfälliger für eine Covid-19-Erkrankung. Die europaweite Studie kam zu dem Ergebnis, dass das Infektionsrisiko von Menschen mit Migrationshintergrund mindestens doppelt so hoch wie bei der alteingesessenen Bevölkerung ist. 

Gleichzeitig stünden Zugewanderte im OECD-Raum oft an vorderster Front im Kampf gegen das Coronavirus. So stellten sie einen großen Teil des medizinischen Fachpersonals: Im Durchschnitt stamme ein Viertel der Ärzte aus dem Ausland, in Deutschland etwa ein Fünftel. Bei den Pflegekräften ist es demnach circa ein Sechstel.

Menschen in Wohnblocks sind Leidtragende

Der Osnabrücker Migrationsforscher Andreas Pott warnte davor, Menschen in Corona-Hotspots für ihr angeblich amoralisches Verhalten zu stigmatisieren. Wenn Menschen sich in Wohnblocks in großer Zahl mit dem Virus ansteckten, seien sie in erster Linie Leidtragende, sagte der Direktor des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) dem Evangelischen Pressedienst. 

„Sie leben in beengten Verhältnissen und leisten oft schwere Arbeit, bei der sie mit vielen Menschen zusammenkommen und die sie nicht ins Homeoffice verlegen können.“ 

Insgesamt zeichnet die Studienlage zum Zusammenhang zwischen sozio-ökonomischer Lage und Ansteckungsrisiko ein schlechtes Bild. Einer aktuellen Studie aus den USA zufolge haben sich in einigen Städten die Bewohner von ärmeren Stadtvierteln häufiger infiziert. Sie mussten während eines Lockdowns regelmäßig öffentliche Verkehrsmittel nutzen. 

Die Orte, die sie aufsuchen, sind öfter klein und überfüllt. Zu ähnlichen Erkenntnissen kommt eine Studie aus Basel: Weniger Rückzugsmöglichkeiten, die Nutzung von Bus und Bahn sowie Berufe ohne Homeoffice-Option mit viel Menschenkontakt – diese Faktoren steigern das Ansteckungsrisiko.

Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) wundert der Zusammenhang zwischen engen Wohnverhältnissen oder Armut und einem erhöhten Infektionsrisiko nicht. "Dass die soziale Lage auch Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen hat, belegen diverse Berichte", sagte Hikel dem Tagesspiegel. "Umso wichtiger ist es, Menschen zur größtmöglichen Selbstständigkeit zu befähigen. Das machen wir seit vielen Jahren durch Investitionen in unsere Bildungsinstitutionen."

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