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Ulrich Strasse von der Stiftung Deutsche Schule für Blindenführhunde aus Berlin-Müggelheim, die Labradore für Blinde und sehbehinderte Menschen züchtet und ausbildet.

© privat

Labradore für Blinde: „Wir suchen immer geeignete Familien zur Aufzucht“

Ulrich Strasse leitet die Stiftung Deutsche Schule für Blindenführhunde. Im Interview erzählt er, wie angehende Blindenführhunde aufwachsen und warum sich Labradore besonders eignen.

Herr Strasse, Sie sind ehrenamtlicher Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Schule für Blindenführhunde. Wie sind Sie dazu gekommen?
Ich habe eine Schwester, die blind ist. Ihr Leben hat sich komplett verändert, seitdem sie einen Blindenführhund hat. Auch ich selbst habe schon immer ein Faible für Hunde gehabt. Vor fünf Jahren bin ich in den Vorruhestand gegangen, habe vorher lange in der Stromversorgung gearbeitet, auch in Führungspositionen. Als der Gründer der Stiftung Schule für Deutsche Blindenführhunde Mario Fiedler 2020 viel zu früh verstorben ist, hat man mich gefragt, ob ich mir die Stiftungsleitung vorstellen kann. Die Schwester meiner Schwiegertochter arbeitete damals für die Stiftung. So kam der Kontakt zustande.

Was ist die Aufgabe der Stiftung?
Wir bilden Blindenführhunde aus, das ist unser gemeinnütziger Zweck und fördern entsprechend unserer Satzung den Tierschutz durch artgerechte Zucht, Aufzucht und Haltung von Blindenführhunden, überwiegend Labradore.

Warum grade Labradore?
Sie sind einfach am geeignetsten als Blindenführhunde. Sie sind freundlich, kinderlieb, wissbegierig. Und sie sind nicht so stark auf einen einzelnen Menschen fixiert, wie beispielsweise Schäferhunde. Beim Labrador ist es einfach so: heute bin ich sein Herrchen, er liebt mich über alles. Aber wenn ein neues Herrchen ihm Futter gibt, dann hat er mich auch irgendwann vergessen. Das ist wichtig, weil die Hunde ja mehrere Halterwechsel mitmachen müssen.

Wie wachsen angehende Blindenführhunde auf?
Die Labradorwelpen bleiben die ersten 8 bis 10 Wochen bei uns. Danach kommen sie zu Patenfamilien, wo sie großgezogen und sozialisiert werden. Wir sind immer auf der Suche nach geeigneten Patenfamilien, Interessierte können sich bei uns melden. Die Familien müssen natürlich tierlieb sein und ein entsprechendes Zuhause haben, wo der Hund zum Beispiel nicht zu viele Treppen steigen muss und sich einfach gut entwickeln kann. Wir treffen uns regelmäßig mit den Patenfamilien, das Futter wird von uns gestellt, auch die Tierarztkosten.

Wie geht es dann weiter?
Nach etwa einem Jahr werden die Hunde durch zertifizierte Ärzte untersucht, die schauen, ob die Tiere gesundheitlich als Blindenführhunde geeignet sind. Sie werden geröntgt um zu sehen, ob die Ellenbogen und die Knie in Ordnung sind. Wenn das der Fall ist, werden sie auch kastriert. Danach gehen die Hunde nochmal zurück in die Familie. Aber wenige Monate später müssen die Familien die Hunde dann abgeben. Das ist natürlich nicht einfach, weil man den Hund ja liebgewinnt.

Und dann geht es in die Ausbildung?
Ja, dafür sind die Hunde bei unserem Trainer, das dauert dann so 6 bis 9 Monate. Die Tiere müssen zum Beispiel rund 30 Hörzeichen lernen, Ampeln anzeigen können, Menschen auf Treppen begleiten. Erst in der Ausbildung sehen wir, welcher Hund sich wirklich als Blindenführhund eignet. Er muss gute Charaktereigenschaften haben, darf keinen ausgeprägten Jagdinstinkt besitzen und nicht ängstlich sein. Und er muss gehorsam sein. Wir vertrauen dem Hund ja das Leben des Halters an. Wenn dann alles läuft, erfolgt die Übergabe an den neuen Halter.

Das Schöne bei Labradoren ist: die jungen Hunde können von den älteren noch lernen.

Ulrich Strasse, Stiftung Deutsche Schule für Blindenführhunde

Und was ist, wenn ein Hund doch nicht geeignet ist?
Dann versuchen wir, ihn zum Beispiel als Assistenzhund zu vermitteln. Meistens wollen auch immer die Patenfamilien den Hund behalten. Aber selbst in dem Fall bleibt der Hund Eigentum der Stiftung. Das liegt daran, dass wir dem Tierschutz verpflichtet sind und wir nicht möchten, dass ein Hund zum Beispiel ins Tierheim muss, wenn der Besitzer verstirbt.

Wie früh müssen sich Menschen für einen Blindenführhund bewerben?
Blinde beziehungsweise sehbehinderte Menschen können uns kontaktieren, wir führen dann Gespräche und schauen, wie es bei ihnen zu Hause aussieht, wie sie zur Arbeit gehen et cetera. Dann laden wir die Personen zu uns ein und schauen, wie sie mit einem Führhund zurechtkommen. Die Menschen sind dann natürlich sehr aufgeregt, wollen am liebsten gleich den Hund mitnehmen. Aber das geht leider nicht, wir haben die Hunde ja nicht auf der Stange. Das dauert dann immer noch mal zwei bis drei Jahre. Da kullern dann schon mal die Tränen.

Was kostet die Ausbildung eines Blindenhunds?
Insgesamt zwischen 35.000 und 40.000 Euro. Zum Glück übernehmen das in Deutschland die Krankenkassen.

Wie viel Zeit verwenden Sie in der Woche ehrenamtlich auf die Stiftung?
Es ist schwer zu zählen, aber so 20 bis 30 Stunden sind es bestimmt. Eigentlich wollte man mich fest anstellen, aber ich habe gesagt: will ich alles nicht. Für mich ist es auch eine Berufung, den Menschen zu helfen.

Glauben Sie, dass Roboter irgendwann Blindenführhunde ersetzen könnten?
Wir hatten kürzlich einen Studenten aus Australien bei uns, der selbst blind ist. Er forscht dazu, ob Roboter mit Sensoren und allem drum und dran die gleiche Funktion erfüllen könnten. Aber wir waren uns einig: die Technik ist die eine Seite, doch die Liebe, die von einem Hund kommt, kann keine Technik ersetzen.

Wie lange können Blindenführhunde arbeiten?
Bis sie 10, 11 Jahre sind. Dann vermitteln wir den Hund weiter und schauen, dass er einen absolut tollen Lebensabend hat. Aber oft wollen die Menschen ihren Hund ohnehin behalten, damit er in der Familie bleibt.

Und dann kann einfach ein zweiter Blindenführhund dazu kommen?
Das ist das schöne bei Labradoren: die jungen Hunde können von den älteren noch lernen.

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