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Wöchentliche Kundgebung von Reichsbürgern mit Reichsflagge und Reichskriegsflagge am Brandenburger Tor in Berlin.

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Laut Brandenburgs Verfassungsschutz: „Reichsbürger“ für Aussteigerprogramm empfänglicher als gedacht

Der Verfassungsschutz in Brandenburg hilft Rechtsextremisten, die sich aus der Szene lösen wollen. Potenzial sehen Ausstiegshelfer auch im „Reichsbürger“-Milieu.

Der Verfassungsschutz Brandenburg hat über sein Aussteigerprogramm für Extremisten seit Jahresanfang auch sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter erreicht. „Sie sind erstaunlich offen, und sie kommen auch auf uns zu“, sagte Verfassungsschutzchef Jörg Müller der Deutschen Presse-Agentur in Potsdam. „Die Empfänglichkeit für unser Aussteigerprogramm in diesem Milieu ist höher als wir es erwartet haben, das hat mich überrascht.“

„Reichsbürger“ erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht als Staat an. Laut Bundesamt für Verfassungsschutz wird ein kleiner Teil auch als rechtsextrem eingestuft. Die Zahl sogenannter Reichsbürger und Selbstverwalter liegt in Brandenburg laut Verfassungsschutz bei etwa 650.

Jörg Müller, Leiter des Verfassungsschutzes in Brandenburg.
Jörg Müller, Leiter des Verfassungsschutzes in Brandenburg.

© dpa/Monika Skolimowska

Zum Jahresanfang startete der Verfassungsschutz in Brandenburg ein eigenes Programm mit dem Namen „Wage Mut“, um Extremisten zu einem Ausstieg zu beraten und dabei zu begleiten. Auf Bundesebene und in anderen Bundesländern gibt es solche Aussteigerangebote bereits. Der Rechtsextremismus ist auch aus Sicht des Bundesinnenministeriums die größte Bedrohung für die Demokratie.

Karten mit Informationen zum Ausstiegs- Distanzierungsprogramm des Landes Brandenburg für Extremisten „Wage Mut“ liegen auf einem Tisch im Büro des Leiters des Verfassungsschutzes.
Karten mit Informationen zum Ausstiegs- Distanzierungsprogramm des Landes Brandenburg für Extremisten „Wage Mut“ liegen auf einem Tisch im Büro des Leiters des Verfassungsschutzes.

© dpa/Monika Skolimowska

Ausstiegshelfer des Verfassungsschutzes führten zahlreiche Gespräche mit möglichen Ausstiegswilligen, die sich von der Reichsbürgerbewegung lösen wollten. „Wenn die nicht abrutschen ins extremistische Milieu, ist es für uns ein Erfolg“, sagte Müller. Allerdings führe natürlich nicht jedes Gespräch auch dazu, dass „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ dann bereit zum Ausstieg seien. In acht von zehn Fällen gebe es erst mal nicht mehr als ein Gespräch.

23.000 „Reichsbürger und „Selbstverwalter“ bundesweit

Die Sicherheitsbehörden sprechen beim „Reichsbürger“-Milieu auch von einer sektenähnlichen Struktur und „pseudo-legitimierten Parallelstrukturen“. Gerade auch in Krisenzeiten locken solche Gruppen laut Experten mehr Menschen an, die etwa auf Sinnsuche sind, und bieten ein vermeintlich besseres Leben an. Der Verfassungsschutz rechnete dem Milieu der „Reichsbürger und „Selbstverwalter“ in Deutschland im Jahr 2022 insgesamt 23.000 Personen zu. Genannt wird unter anderem die Gruppierung „Königreich Deutschland“, die auch im Dorf Rutenberg in der Uckermark Fuß fassen wollte.

Jedes Gespräch zwischen Verfassungsschutz-Mitarbeitern und einem Rechtsextremisten, das zustande kommt, ist schon ein Erfolg.

Jörg Müller, Brandenburgs Verfassungsschutzchef

Die Zahl der Ausstiegswilligen, die durch das neue Aussteigerprogramm in Brandenburg in einer direkten Betreuung sind, liegt laut Müller bislang im „mittleren einstelligen Bereich“. „Aber wir bearbeiten insgesamt mehr Fälle. Jedes Gespräch zwischen Verfassungsschutz-Mitarbeitern und einem Rechtsextremisten, das zustande kommt, ist schon ein Erfolg.“ Dabei komme es aber nicht immer zu einem fest vereinbarten Ausstiegsplan.

Auch AfD-Mitglieder Zielgruppe des Programms

Sachsen-Anhalts Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten hat seit 2014 neun Männern aus der Szene herausgeholfen. Aktuell würden fünf Klienten begleitet, sagte der Leiter des Landesverfassungsschutzes, Jochen Hollmann, der Deutschen Presse-Agentur in Magdeburg.

Bei Extremisten, die etwa wegen Gewaltstraftaten in Haft sitzen, sei ein Umdenken ein langwieriger Prozess, sagte Müller. Details zu den konkreten Fällen nannte er nicht. Eine Zielgruppe des Ausstiegsprogramms seien auch AfD-Mitglieder, sagte er. „Da ist Potenzial dabei.“

Der Kontakt zu möglichen Ausstiegswilligen kommt laut Müller zu 70 Prozent über Haftanstalten, die Jugendhilfe, Schulen und Eltern zustande. In den anderen Fällen wird der Verfassungsschutz selber aktiv. Für das Aussteigerprogramm setzt der Verfassungsschutz auch Sozialarbeiter, eine Psychologin und externe Fachleute ein. Es soll Hilfe bieten für einen Übergang in ein selbstbestimmtes Leben ohne Extremismus und Hass.

Verfassungsschutz-Chef Müller hatte im Januar bereits gesagt, er gehe davon aus, dass mindestens zehn Prozent der Menschen im rechtsextremen Milieu empfänglich seien für einen Ausstieg aus der Szene. Der Verfassungsschutz geht von rund 2800 Rechtsextremisten in Brandenburg aus.

Der Brandenburger Verfassungsschutz verschärfte kürzlich auch seine Einschätzung der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative (JA) und stufte sie als gesichert rechtsextremistische Bestrebung ein. Den gesamten Landesverband der AfD stufte der Verfassungsschutz im Land 2020 als rechtsextremistischen Verdachtsfall ein. (dpa)

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