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„In Moabit wird aus einem Auto geschossen“, twitterte die Berliner Polizei in der Silvesternacht. Nicht der einzige Vorfall mit Schreckschusswaffen.

© Foto: Carsten Rehder/dpa

Massenhafter Einsatz an Silvester in Berlin: Gewerkschaft der Polizei will Register für Schreckschusspistolen

Niemand weiß, wie viele Berliner eine Schreckschusswaffe haben – denn die sind frei verkäuflich. Die Gewerkschaft der Polizei fordert nun eine Registrierungspflicht.

Feuerwehr und Polizei in Berlin sind „erschrocken“ über die Gewalt und Aggression gegen ihre Einsatzkräfte in der Silvesternacht – vielfach durch Schreckschusswaffen. Die Feuerwehr meldete am Neujahrsmorgen, dass einem Beamten sogar „eine Schreckschusspistole ins Gesicht“ gehalten wurde. Wie es im Präsidium hieß, seien Schreckschusswaffen in der Nacht massenhaft eingesetzt worden.

Bei Twitter ließ sich das auf dem Kanal der Polizei verfolgen. „In Moabit wird aus einem Auto geschossen. Kollegen stoppen das Auto und behalten eine Schreckschusswaffe ein“, hieß es am Abend zum Beispiel. Oder: „In Marzahn ‚kloppen’ sich etwa 30 Personen und #Schreckschusswaffen werden abgefeuert“.

Am Nachmittag hatte man das noch mit Humor genommen: „In #Neukölln ballerte jemand neben unseren Kollegen mit seiner Schreckschusswaffe rum. Oh Schreck, jetzt ist die Waffe weg“, hieß es. Je später die Nacht, desto ernster die Tweets: „In Prenzlauer Berg haben Kollegen zwei Männern eine Schreckschusswaffe abgenommen.“

Verballert: Schreckschusspatronen am Neujahrsmorgen am Breitscheidplatz.
Verballert: Schreckschusspatronen am Neujahrsmorgen am Breitscheidplatz.

© Jörn Hasselmann/Tagesspiegel

Wie viele Waffen bei dem Einsatz in der Silvesternacht konfisziert wurden, kann die Polizei nicht sagen. Dazu werde keine Statistik geführt, sagte eine Sprecherin. Geballert wurde überall damit, selbst in dichten Menschenansammlungen wie am Breitscheidplatz. Auf der Tauentzienstraße lagen am Neujahrsmorgen hunderte Patronen verstreut am Boden.

Das ist nicht die einzige Zahl, die fehlt: Niemand weiß, wie viele Schreckschusswaffen es in Berlin überhaupt gibt. Bislang können diese Modelle frei im Laden oder im Internet gekauft werden. Der Käufer muss über 18 Jahre alt sein, andere Voraussetzungen gibt es nicht. Eine Registrierungspflicht gibt es beim Kauf nicht. Diese fordert nun die Gewerkschaft der Polizei (GdP).

Wie Sprecher Benjamin Jendro sagte, sei dies die sinnvollste Maßnahme. Eine Verschärfung des Waffengesetzes lehnt die GdP ab, dieses sei scharf genug. Man könnte zwar die Hürden beim sogenannten Kleinen Waffenschein erhöhen, sagte Jendro, also „jedem Antragsteller zwei Stunden auf den Zahn fühlen“ – doch sei dies unrealistisch.

Rein personell könne die beim Polizeipräsidenten angesiedelte Waffenbehörde das nicht leisten. Dem Vernehmen nach forscht die Behörde überwiegend nach relevanten Vorstrafen.

24.719
Berliner haben einen Kleinen Waffenschein.

Mit dem Kleinen Waffenschein darf man legal erhältliche und täuschend echt aussehende Schreckschuss- und Gaspistolen sowie Pistolen zum Verschießen von Leuchtkugeln in der Öffentlichkeit tragen (sogenannte SRS-Waffen) – aber mit ihnen natürlich nicht in der Silvesternacht herumballern. Direkt ins Gesicht geschossen oder am Körper abgedrückt, können schwerste Verletzungen die Folge sein, sagt Jendro.

Bis Mitte Dezember 2022 gingen bei der Waffenbehörde 1925 neue Anträge ein, im Gesamtjahr 2021 waren es 2147 Anträge. Die Anzahl der Kleinen Waffenscheine steigt seit Jahren kontinuierlich. Mit Stand Ende Oktober 2022 gab es in Berlin 24.719 Kleine Waffenscheine, sagte eine Sprecherin des Präsidiums.

Ende Oktober 2018 waren es knapp 19.000 – mehr als doppelt so viele wie 2014. Dieser Boom sei eine Folge der Silvesternacht 2015 gewesen, berichtet GdP-Sprecher Jendro. Damals war es in Köln zu zahlreichen sexuellen Übergriffen auf Frauen durch Gruppen junger Männer vornehmlich aus dem nordafrikanischen und arabischen Raum gekommen. Die Zahl der Kleinen Waffenscheine ist allerdings kein Indiz für die Zahl der Schreckschusswaffen.

Hohe Nachfrage vor Silvester

Der Chefin eines Waffengeschäfts in der City West zufolge gibt es vor Silvester regelmäßig eine hohe Nachfrage nach Schreckschusspistolen, „das war auch jetzt so“. Jeder, der eine Waffe kaufe, müsse seinen Ausweis vorlegen. Die Daten werden notiert. Zudem werde der Kunde belehrt, wo und wie er die Waffe einsetzen darf. Diesen „Belehrungstext“ bekomme der Kunde schriftlich ausgehändigt.

Schreckschusswaffen sind den Angaben nach ab etwa 170 Euro erhältlich. „Es kaufen Jung und Alt, Männer und Frauen“, sagt die Geschäftsführerin der Filiale. Wie viele Waffen sie vor Silvester verkauft hat, dürfe sie nicht sagen.

Die GdP sieht den Run auf Waffenscheine und die Bewaffnung mit Reizgas-Sprühgeräten oder Schreckschusspistolen kritisch: „Waffen gehören in die Hände von Profis.“ Auch zur Selbstverteidigung taugten sie nicht, zu oft gelinge es den Angreifern, dem ungeübten Opfer die Waffe oder die Sprühdose einfach abzunehmen.

Und noch ein Argument nennt Jendro: „Selbst für Polizisten sind die Waffen nicht von echten zu unterscheiden.“ Richte ein Betrunkener seine Waffe auf einen Polizisten, würde dieser selbst zur Waffe greifen – was mitunter tragische Folgen habe.

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