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Ein Wohnhaus (Mietshaus) in der Solmsstrasse im Kreuzberger Bergmannkiez.

© Kai-Uwe Heinrich

Update

Mieten-Volksentscheid in Berlin: SPD optimistisch, Initiativen zurückhaltend

Sozialwohngeld, mehr Rechte für Mieter und ein landeseigener Fonds, der Wohnungen kauft, baut, und modernisiert: So könnte ein Kompromiss anstelle eines Mieten-Volksentscheids aussehen. Die Maßnahmen könnten ab 1. Januar 2016 greifen.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Lange wurde um den Mieten-Volksentscheid gestritten, zuletzt verhandelt, nun gelobt. Die Gespräche seien vom "Geist des Vertrauens" geprägt, sagte SPD-Fraktionschef Raed Saleh am Mittwochvormittag bei der Vorstellung der Eckpunkte. Berlin könne stolz sein auf die Initiative. Und Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) sagte: "Gewinner sind die Mieter der Stadt."

Nach Angaben der beiden Politiker will die SPD-Fraktion den Kompromiss kurz nach der Sommerpause beraten, das Gesetz am 8. Oktober ins Abgeordnetenhaus einbringen und Mitte November beschließen. Laut Geisel soll dann das Gesetz zum 1. Januar 2016 umgesetzt werden. Dann wäre auch der Volksentscheid vom Tisch.

Deutlich zurückhaltender äußerten sich anschließend die Initiatoren des Volksbegehrens bei einer Pressekonferenz. Es sei noch zu früh, um schon von einem Kompromiss zu reden, sagten Vertreter der Mieten-Initiative. Bevor man auf einen Volksentscheid verzichten könne, müsse die Basis die Vorschläge prüfen und über sie entscheiden.

Kosten: 1,4 Milliarden Euro

Die Details waren am Vortag bekannt geworden. Sie betroffen die Berliner, die in 1,6 Millionen Mietwohnungen der Stadt leben. Die Kosten betragen nach Angaben der SPD-Politiker vom Mittwoch etwa 1,4 Milliarden Euro (statt befürchteter drei Milliarden Euro) für die nächste Wahlperiode, also insgesamt von 2017 bis 2021.

Der Senat und die Initiative für einen Mieten-Volksentscheid haben sich also nach politisch kontroversen und sachlich komplizierten Verhandlungen auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf geeinigt, auch wenn sich die Initiative nicht endgültig festgelegt hat. Aber wenn der Kompromiss trägt, wird die Volksabstimmung, die gleichzeitig mit der Abgeordnetenhauswahl 2016 stattfinden sollte, entbehrlich.

Und das sind die Beschlüsse

Was sieht das neue Gesetz „über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin“ vor? Der Kern des Kompromisses ist dem Vernehmen nach ein landeseigener Fonds, aus dem Neubauten, aber auch der Ankauf von Sozialwohnungen und Belegungsrechten, Modernisierungen und Instandsetzungen sowie der Kauf von Wohnungen für die städtischen Wohnungsunternehmen finanziell gefördert werden sollen. Um das zu ermöglichen, fließen dem Fonds sämtliche Fördermittel für wohnungspolitische Zwecke im Berliner Haushalt zu.

Benachteiligte Mieter werden bevorzugt

Außerdem soll es ein „Berliner Sozialwohngeld“ geben. Mit dieser öffentlichen Subvention werden die Nettokaltmieten in Sozial- und Kommunalwohnungen auf 30 Prozent des Nettoeinkommens der Mieter begrenzt. Diese Subjektförderung kommt auch Mietern von Wohnungen zugute, deren Anschlussförderung gestrichen worden ist. Zwangsräumungen werden gesetzlich erschwert. Die Rechte der Mieter in den landeseigenen Wohnungsunternehmen werden durch die Einrichtung von Mieterräten gestärkt, die jeweils zwei Vertreter (einer als Gast) in die Kontrollgremien der Unternehmen schicken dürfen.

Auch für den größten Streitpunkt zwischen Initiative und Senat fand sich eine Lösung: Die sechs städtischen Wohnungsbaugesellschaften sollen unter das Dach einer Anstalt des öffentlichen Rechts schlüpfen, aber privatrechtlich organisiert bleiben. Die neue „Holding“ wird steuernde Funktionen übernehmen. Das politische Ziel: Die städtischen Wohnungsunternehmen sollen Mieter, die „auf dem Wohnungsmarkt besonders benachteiligt sind“, bevorzugt behandeln.

Das Gesetzespaket soll eine Milliarde Euro kosten - in vier Jahren

Lange Zeit sah es so aus, als wenn die rot-schwarze Koalition und die Organisatoren des Volksentscheids keine gemeinsame Sprache finden könnten. Der Teufel steckte nicht nur im Detail des komplizierten Gesetzentwurfes. Es gab auch grundsätzliche Konflikte. SPD und CDU warnten beispielsweise vor den immens hohen Kosten der Mietenpolitik, die von der Initiative eingefordert wurde. Von 3,3 Milliarden Euro in der nächsten Wahlperiode 2017 bis 2021 war die Rede. Das jetzt vereinbarte Gesetzespaket kommt angeblich mit einer Milliarde Euro im gleichen Zeitraum aus.

"Kompromiss wäre gut für alle"

Der Senat wollte auch die unternehmensrechtliche Struktur der Wohnungsbaugesellschaften (GmbHs und Aktiengesellschaften), die sich betriebswirtschaftlich bewährt hat, nicht aufgeben. Um diesen Punkt wurde bis zuletzt gerungen, die Gründung einer Dachgesellschaft ist der Kompromiss. Erst seit Ende Juli wurde ernsthaft verhandelt, dann ging alles sehr schnell. Die SPD-Verhandlungsgruppe mit dem Bau-Staatssekretär Engelbert Lütke Daldrup an der Spitze gab am vergangenen Freitag intern grünes Licht für das erzielte Verhandlungsergebnis. Daraufhin lud der Vorstand der Mieten-Initiative zu einem außerordentlichen „Aktiven-Treffen“ ein, das am Dienstagabend stattfand.

Auch die CDU signalisiert schon Zustimmung

Etwa 40 Unterstützer diskutierten drei Stunden lang, eine endgültige Bewertung der Details wurde aber vertagt. Arbeitsgruppen sollen sich damit befassen, die große Runde der Aktiven trifft sich wieder in einer Woche. Die Eckpunkte des Kompromisses veröffentlichen am Mittwoch Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel und Fraktionschef Raed Saleh (beide SPD). Anschließend stellt die Initiative ihre Sicht der Dinge in einer Pressekonferenz dar. Überraschenderweise signalisierte der Koalitionspartner CDU schon am Dienstag grundsätzliche Zustimmung. „Ein Kompromiss wäre gut für alle, denn dann verlieren wir nicht viele Jahre mit aufreibenden Kontroversen, sondern könnten uns auf die Umsetzung des Mieterschutzes und mehr Wohnungsbau konzentrieren“, sagte der CDU-Bauexperte Matthias Brauner.

Auch Grüne und Linke begrüßten die bevorstehende Einigung. „Der Kompromiss zeigt, was zivilgesellschaftlicher Druck bewirken kann“, sagte die Grünen-Sozialpolitikerin Katrin Schmidberger. Offensichtlich habe die SPD aus der Niederlage beim Volksentscheid zum Tempelhofer Feld gelernt, ergänzte die Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop. Der Fraktionsgeschäftsführer der Linken, Steffen Zillich, bewertete den erwarteten Kompromiss als „großen Erfolg für den Mieten-Volksentscheid“, auch wenn der Gesetzentwurf nicht alle wohnungspolitische Probleme lösen könne.

Für beide Seiten hat der Komrpomiss Vorteile

Trägt das Verhandlungsergebnis, muss das Landesparlament den ausgehandelten Gesetzentwurf bis zum 15. November beschließen, und damit die Kernforderungen der Initiative übernehmen. Erst dann wird der Antrag auf eine Volksabstimmung überflüssig, die nach dem Willen der Organisatoren gleichzeitig mit der Abgeordnetenhauswahl im September 2016 stattfinden sollte. Der Verzicht käme Rot-Schwarz sehr entgegen, denn das Thema hätte mit Sicherheit den Wahlkampf mitbestimmt.

Deswegen hat Innensenator Frank Henkel (CDU) während der Verhandlungen mit der Initiative auch juristischen Druck aufgebaut. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit des ursprünglichen Gesetzentwurfs ist bis heute nicht abgeschlossen. Außerdem war es den Organisatoren aus juristischen Gründen nicht möglich, ihren sachlich fehlerhaften Entwurf nachzubessern. Deshalb wäre die Initiative bei einem erfolgreichen Volksentscheid gezwungen gewesen, ihr Gesetz durch das Parlament anschließend korrigieren zu lassen. Auch das war ein Grund, auf die Kraftprobe mit dem Senat zu verzichten und einen Kompromiss auszuhandeln.

Lesen Sie hier auch unser Mehr-Berlin-Dossier über den Konflikt zwischen Mietwohnungen und Airbnb: "Häuserkampf".

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